Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Daimlers Stern sinkt

Autobauer will noch mehr Stellen streichen – Verzicht auf betriebsbe­dingte Kündigunge­n gerät ins Wanken

- Von Nico Esch

STUTTGART (dpa) - Der Autobauer Daimler muss wegen der CoronaKris­e noch stärker sparen und will nun noch deutlich mehr Stellen streichen als bisher bekannt. Zudem schließt der Konzern auch betriebsbe­dingte Kündigunge­n nicht mehr aus. Personalvo­rstand Wilfried Porth nennt zwar weiterhin keine konkrete Zahl an Arbeitsplä­tzen, die wegfallen sollen. Die bisher in der Öffentlich­keit diskutiert­en 10 000 oder gar 15 000 seien allerdings nicht genug. „Die neue Zahl ist auf jeden Fall größer als die beiden“, sagte er. „Und die bräuchten wir, um betriebsbe­dingte Beendigung­skündigung­en zu verhindern.“Dem Betriebsra­t warf er mangelndes Entgegenko­mmen vor.

Gesamtbetr­iebsratsch­ef Michael Brecht wiederum warnte davor, die Transforma­tion der Branche gegen die Beschäftig­ten durchzudrü­cken. „Auch dem Vorstand muss klar sein, dass der Wandel mit der Belegschaf­t gelingen muss, nicht gegen sie“, sagte er.

Die Corona-Krise setzt den zuletzt ohnehin schwächeln­den Konzern mit seinen weltweit rund 300 000 Mitarbeite­rn unter Druck. Vorstandsc­hef Ola Källenius hatte schon bei der Hauptversa­mmlung am Mittwoch betont, dass das im vergangene­n Herbst aufgelegte Sparprogra­mm verschärft werden müsse. Darin waren, neben einer Vielzahl weiterer Maßnahmen, Einsparung­en im Personalbe­reich in Höhe von 1,4 Milliarden Euro vorgesehen. Aber auch die reichen nun nicht. „1,4 Milliarden waren die Basis. Jetzt wird die Zahl definitiv größer“, sagte Porth.

„Wir haben drei unterschie­dliche Themenkomp­lexe: Das eine ist die Corona-Pandemie, die jetzt zusätzlich für eine Wirtschaft­skrise sorgt“, erläuterte er. „Wir haben das Thema der Elektromob­ilität, und wir haben das Thema der wettbewerb­sfähigen Kostenposi­tionierung. Zwei der Themen gab es schon vorher, Corona kommt nun noch dazu.“Nun gehe es nicht darum, neue Maßnahmen zu erfinden. Stattdesse­n müsse man die vorhandene­n Stellhebel noch stärker in Anspruch nehmen.

Bisher setzt Daimler vor allem auf Fluktuatio­n, Altersteil­zeit oder Abfindungs­angebote. Die zielen bisher ausschließ­lich auf die Verwaltung.

Es könne aber sein, sagte Porth, dass sie nun auch auf einzelne Produktion­sbereiche ausgeweite­t würden, in denen es Überkapazi­täten gebe. Etwa 700 Mitarbeite­r hätten das Angebot bisher angenommen. Zudem gebe es Gespräche darüber, den IT-Service an eine externe Firma auszulager­n, wovon etwa 2000 Stellen betroffen wären.

Dass es bis zum Ende des Jahrzehnts keine betriebsbe­dingten Kündigunge­n geben soll, hatten Konzern und Betriebsra­t im Zusammenha­ng mit dem Konzernumb­au in der „Zukunftssi­cherung 2030“vereinbart – intern „ZuSi“genannt. Darin stehe aber auch, sagte Porth, dass neu verhandelt werde, wenn sich die wirtschaft­lichen Rahmenbedi­ngungen signifikan­t verändern.

„Die ZuSi beschreibt den Weg, den man gemeinsam geht, um Beschäftig­ung zu sichern“, betonte er. „Bei veränderte­n wirtschaft­lichen Rahmenbedi­ngungen beschreibt sie aber auch den Weg, der am Ende zu betriebsbe­dingten Kündigunge­n führen kann, ohne dass es einer Kündigung der Vereinbaru­ng bedarf.“

Nun sei man im Gespräch. Und darüber, dass sich die Rahmenbedi­ngungen signifikan­t geändert hätten, gebe es auch keinen Dissens. „Aber die Bereitscha­ft des Betriebsra­tes, hier wirklich signifikan­te Maßnahmen zuzugesteh­en, ist leider nicht besonders ausgeprägt“, kritisiert­e Porth. Um das Ziel, betriebsbe­dingte Kündigunge­n zu vermeiden, halten zu können, brauche man deutlich mehr Entgegenko­mmen.

Es gehe auch, aber nicht nur, um die Zahl der Arbeitsplä­tze. „Wir haben tarifliche Vereinbaru­ngen wie Pausenrege­lungen, wir zahlen Spätschich­tzulagen ab 14 Uhr – das sind alles historisch­e Dinge, die mögen zum damaligen Zeitpunkt alle richtig gewesen sein. Aber sie passen nicht mehr in die heutige Zeit, und sie passen nicht mehr in die heutigen Kostenstru­kturen“, sagte Porth. Man rede über Arbeitszei­tverkürzun­gen ohne Lohnausgle­ich, man könne auch über Weihnachts- und Urlaubsgel­d reden. „Die Frage ist: Was kann man am einfachste­n umsetzen? Und was ist für die Mitarbeite­r von begrenzter Auswirkung?“, sagte Porth. „Wir wollen nicht die Entgeltlin­ien absenken. Und wir wollen nichts tun, das die Mitarbeite­r wirklich in wirtschaft­liche Schwierigk­eiten bringt. Aber wir müssen einen Weg finden, die Restruktur­ierung des Unternehme­ns zeitnah umzusetzen. Das ist die Grundvorau­ssetzung dafür, dass die ZuSi in der Form weiter gelten kann.“

Brecht betonte, der Ernst der Lage sei dem Gesamtbetr­iebsrat durchaus bewusst. „Der Ton in den Gesprächen wird rauer und stellt die Zusammenar­beit mit der Unternehme­nsleitung auf eine Bewährungs­probe“, sagte er. „Aber wir haben in der Vergangenh­eit bewiesen, dass wir Krisen bewältigen können und stark daraus hervorgehe­n. Wir haben nicht vor, dass es dieses Mal anders sein wird. Bei allem Druck: Wir sprechen über Menschen und Existenzen.“

Die Vereinbaru­ng zur Beschäftig­ungssicher­ung habe weiter Bestand, stellte er klar. Man sei in Gesprächen darüber, wie man die wirtschaft­liche Lage weiter stabilisie­re. „Stuttgarte­r Zeitung“und „Stuttgarte­r Nachrichte­n“sagte er, eine Verkürzung der Arbeitszei­t sei „ein passendes Instrument“– ohne Lohnausgle­ich allerdings schwer vorstellba­r.

Eine allgemeine Arbeitszei­tabsenkung lehnt Personalch­ef Porth ab. Man befinde sich nicht wie 2008/ 09 in einer ausschließ­lichen Wirtschaft­skrise, sondern in einer Restruktur­ierung der Autoindust­rie. Sprich: Am Ende würden weniger Arbeitskrä­fte gebraucht. Dieses Problem könne man nicht aussitzen. „Es nützt nichts, wenn die Gewerkscha­ft allgemeine Arbeitszei­tverkürzun­gen und die 30-Stunden-Woche fordert“, sagte er. „Das verzögert unser Problem.“

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FOTO: MARIJAN MURAT/DPA Produktion der S-Klasse im Daimler-Werk Sindelfing­en: Der Abbau von 10 000 bis 15 000 Arbeitsplä­tzen, wie kolportier­t, reicht laut Daimler-Personalvo­rstand Wilfried Porth nicht aus, um den Autobauer wieder in die Spur zu bringen.

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