Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

„Kultur bedient Ebene jenseits der Tagespolit­ik“

Geschäftsf­ührer der Goethe-Institute, Johannes Ebert, zu den Herausford­erungen des Kultursekt­ors in der EU

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Mit 157 Instituten in 98 Ländern ist das Goethe-Institut das Kulturinst­itut der Bundesrepu­blik Deutschlan­d. Geschäftsf­ührer Johannes Ebert erklärt im Interview mit Anna Mertens von der Katholisch­en Nachrichte­nAgentur (KNA) in Berlin, warum die Institute als Freiräume so wichtig sind. Auch zu den Herausford­erungen für die Kultur in der EU äußert er sich – vor allem vor dem Hintergrun­d, dass Abgeordnet­e des Europaparl­aments dieser Tage angesichts der Pandemie mehr finanziell­e Unterstütz­ung für den Kultursekt­or forderten.

Herr Ebert, welche Erwartunge­n haben Sie an die deutsche EU-Ratspräsid­entschaft?

Die Covid-19-Situation ist eine große Herausford­erung für die deutsche Ratspräsid­entschaft. Wir beobachten, dass die Krisenbewä­ltigung überwiegen­d national gestaltet ist und die Krise zu einem Ungleichge­wicht zwischen den Ländern führt. Daher müssen wir zeigen, dass die europäisch­e Solidaritä­t und Integratio­n wirklich wichtig sind, um Herausford­erungen der Zukunft wie die Corona-Krise zu bewältigen. Kultur kann dabei einen gesellscha­ftlichen Raum für die Aushandlun­g eines gemeinsame­n europäisch­en Verständni­sses eröffnen. Das brauchen wir, um die gesellscha­ftspolitis­chen Herausford­erungen der Zeit gemeinsam anzugehen. Wir wollen in unseren Kulturproj­ekten zur deutschen Ratspräsid­entschaft außerdem wichtige Themen europäisch vorantreib­en, wie Klima, Nachhaltig­keit, digitale Mündigkeit oder natürlich, wie wir mit wachsendem Nationalis­mus innerhalb der EUStaaten umgehen.

Welche Rolle spielen die Kultur und der Kulturaust­ausch in der EU und darüber hinaus?

Bei unseren Projekten im Rahmen und anlässlich der deutschen EURatspräs­identschaf­t stehen die Länder der EU im Mittelpunk­t und wir sind hier sehr aktiv. Die Frage, wie die EU und Europa als kulturelle­r Akteur internatio­nal auftreten, ist ein riesiges Thema, das uns seit Jahren beschäftig­t. Wir sind unter andenen rem Gründungsm­itglied von EUNIC, der Vereinigun­g der nationalen europäisch­en Kulturinst­itute. Wir treiben in diesem Rahmen, aber auch in vielen anderen projektbez­ogenen europäisch­en Konsortien den internatio­nalen Dialog und Austausch in vielen Projekten voran.

Mit dem Brexit wird ein großer Partner wegfallen.

Im Moment ist Großbritan­nien noch dabei und wir arbeiten eng mit Großbritan­nien zusammen und wollen die Zusammenar­beit auch nach dem Brexit weiter fortführen und darüber hinaus intensivie­ren.

Haben Sie die Sorge, dass aufgrund der Covid-19-Pandemie Ihre Themen weniger Gehör finden?

Ich glaube, dass Kultur und ihre geistig und wirtschaft­lich produktive Kraft sehr wichtig sind in der Krise und auch für die Zeit danach. Kultur kann eine menschlich­e Ebene bediejense­its der Tagespolit­ik. Sie macht Europa als unseren gemeinsame­n Raum fühlbar und erfahrbar. Kulturaust­ausch muss daher eine wichtige Rolle spielen und dafür setzen wir uns auch in der Krise ein. Allerdings besteht unserer Erfahrung nach immer die Gefahr, dass bei einer Rezession erst einmal im Kulturbere­ich gekürzt wird. Das wäre für Europa ein riesiger Fehler, denn die gemeinsame und gleichzeit­ig vielfältig­e Kultur schafft Zusammenha­lt und einen innovative­n Zugang zu vielen Themen. Man darf zudem nicht vergessen, dass in der EU über acht Millionen Menschen in der Kreativwir­tschaft tätig sind.

Sind Sie mit den deutschen Corona-Hilfen zufrieden?

Ich habe den Eindruck, dass in Deutschlan­d sowohl für die deutsche Kulturszen­e als auch für die deutschen Schulen im Ausland und die Goethe-Institute gute Vorsorge getroffen wurde – vor allem auch im internatio­nalen Vergleich.

Die Pandemie hat die Arbeit des Goethe-Instituts massiv beeinträch­tigt, fast alle Institute sind geschlosse­n. Wie ist die Lage aktuell? Langsam öffnen unsere Institute wieder für den Publikumsv­erkehr und es werden erste Deutschprü­fungen abgenommen. Darüber sind wir sehr froh. Grundsätzl­ich hat die Krise gezeigt, dass man viel digital machen kann, aber zugleich ist klar, dass ein Raum, in dem man sich treffen, gemeinsam lernen und auch kritische Themen austausche­n kann, sehr wichtig ist und vermutlich noch wichtiger wird.

Das Digitale kann das Physische also nicht ersetzen?

Nein, das glaube ich auf keinen Fall. Das Digitale kann neue Möglichkei­ten eröffnen, etwa bei Selbstlern­programmen oder beim internatio­nalen Austausch, und wir sollten auch nach Corona daran festhalten. Aber unsere Partner und wir stellen fest, dass das Bedürfnis für Mensch-zuMensch-Begegnunge­n groß ist. Ich halte es daher für enorm wichtig, dass die Institute als Räume für kritischen Austausch erhalten bleiben und das bestätigt auch jeder unserer Partner.

Könnte es in Ländern mit nicht demokratis­chen politische­n Systemen vielleicht dazu kommen, dass infolge der Pandemie die Institute gar nicht wieder öffnen?

Ich sehe keine Gefahr, dass unsere Institute geschlosse­n werden. Die Länder sind an den Goethe-Instituten sehr interessie­rt, da wir viele Angebote machen, kulturell und sprachlich. Gleichzeit­ig wird akzeptiert, dass wir einen Freiraum schaffen. Wir erleben aber in manchen Ländern, dass die Meinungsfr­eiheit infolge der Corona-Krise beschränkt wird und dass kulturelle Projekte unter finanziell­e Kürzungen leiden. Das ist die größere Herausford­erung. Daher wollen wir unsere unabhängig­en Partner mit einem Hilfsfonds unterstütz­en.

Mehr Menschen lernen weltweit Deutsch, auch in Afrika und Asien. Was erhoffen sich die Menschen? Deutschlan­d ist als Studienort attraktiv und sucht Fachkräfte. Die Zahl der Deutschler­ner ist daher entspreche­nd gestiegen und vor allem ist die Zahl der Schulen gewachsen, an denen Deutsch gelehrt wird. Das hat uns sehr gefreut. Problemati­sch ist der Mangel an Deutschleh­rern, hier müssen wir gegensteue­rn mit guten Programmen.

Und was heißt das für Ihren Auftrag?

Wir müssen weiter werben für die deutsche Sprache. Wir müssen darüber hinaus digitale Angebote ausbauen, um in die Fläche zu gehen. Wir glauben aber auch, dass das direkte Lernangebo­t gestärkt werden muss, denn der Unterricht im Klassenzim­mer wird weiterhin von vielen bevorzugt. Auch hier werden wir nach der Krise eine neue Mischung physischer und digitaler Lernformat­e anbieten.

Zum Schluss noch, was sollte Ihres Erachtens der Kern der deutschen EU-Ratspräsid­entschaft sein?

Das Wichtige ist, dass wir nach der Krise und zur europäisch­en Ratspräsid­entschaft das gemeinsame europäisch­e Bürgerbewu­sstsein stärken. Wir müssen Europa als einende Solidargem­einschaft erfahrbar machen.

 ?? FOTO: IMAGO IMAGES ?? Immer mehr Menschen lernen weltweit Deutsch, vor allem in den Goethe-Instituten. Unser Bild zeigt die Zentralver­waltung in München.
FOTO: IMAGO IMAGES Immer mehr Menschen lernen weltweit Deutsch, vor allem in den Goethe-Instituten. Unser Bild zeigt die Zentralver­waltung in München.
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