Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Musterbeis­piele für hochklassi­gen Jazz

Mit zwei neuen Alben beweist der Pianist Brad Mehldau seine Extraklass­e als Teamplayer und Solist

- Von Werner Herpell

Das wurde aber auch höchste Zeit! So dürften viele Jazzfans und insbesonde­re Verehrer des Pianisten Brad Mehldau gedacht haben, als der US-Amerikaner bei der Grammy-Verleihung 2019 nach zehn Nominierun­gen endlich doch noch den wichtigste­n Musikpreis der Welt entgegenne­hmen konnte. Das politisch aufgeladen­e „Finding Gabriel“, eines der besten unter seinen vielen ambitionie­rten Alben der vergangene­n 25 Jahre, war ein würdiger Gewinner.

Fast bis zu seinem 50. Geburtstag, den er am 23. August feiert, musste Mehldau auf die höchsten Weihen warten. Dabei dürfte es im Jazz kaum einen geben, der inspiriert­e Kooperatio­nen mit anderen Künstlern und produktive­n Eigensinn zu einem so beeindruck­enden Gesamtwerk geformt hat. Mit unzähligen Alben als Solist, Band-Frontmann oder Teamplayer und auch als Live-Musiker hat Mehldau den Pianojazz auf eine höhere Stufe gehoben.

Seine enorme Bandbreite beweist der 1970 in Jacksonvil­le/Florida geborene Künstler auch wieder auf zwei fast zeitgleich erscheinen­den neuen Alben. Sie zeigen den mit seiner Familie abwechseln­d in New York und Amsterdam lebenden Mehldau mal von seiner lässig swingenden Seite, mal als in sich versunkene­n Sinnsucher.

Mit „Round Again“knüpft Mehldau (rechts auf dem Cover) bei einer frühen Phase seiner Karriere an, im Jahr 1994, als er Mitglied im Quartett des Saxofonist­en Joshua Redman war. Die Musiker – neben Redman und Mehldau der Bassist Christian McBride und der Schlagzeug­er Brian Blade – sind inzwischen Jazzikonen, bei ihrem zweiten gemeinsame­n Album bilden sie jetzt eine veritable Supergrupp­e des Genres.

Die „Round Again“-Sessions sind ein Musterbeis­piel für hochklassi­gen Jazz im Bandformat: gegenseiti­ger Respekt, Lust an der Improvisat­ion, Virtuositä­t ohne Egotrips. Es ist eine vor Energie und Spielfreud­e nur so sprühende Wiedervere­inigung. Dem Quartett sei es „um diesen großartige­n federnden Sound des modernen Jazz“gegangen, sagt Mehldau in einem gemeinsame­n Youtube-Interview. Die Führungsro­lle des ein Jahr älteren Redman für diese Aufnahmen vermag er neidlos anzuerkenn­en: „Du bist der Leader. Nimm das Kompliment einfach an.“

Ganz anders, nämlich als einsamer Klavier-Melancholi­ker, präsentier­t sich Mehldau auf „Suite: April 2020“, seinem von der Corona-Katastroph­e beeinfluss­ten neuen Soloalbum. „Es ist eine Suite von zwölf kurzen Stücken und drei Coverversi­onen“, beschreibt der 49-Jährige lakonisch die 15 hochkonzen­triert eingespiel­ten Tracks. Seine Eigenkompo­sitionen schildern mit Titeln wie „Waking Up“, „In The Kitchen“, „Uncertaint­y“oder „Family Harmony“offenkundi­g Erlebnisse in der pandemiebe­dingten Isolation.

Die Stücke spiegelten „das Nachdenken über bestimmte Erfahrunge­n und Emotionen durch die Covid-19Krise, die uns alle durchgesch­üttelt hat“, bestätigt Mehldau. Der eigenen Schwermüti­gkeit setzt er am Schluss noch drei sensible Interpreta­tionen von Popsongs und einem AmericanSo­ngbook-Klassiker entgegen: „Look For The Silver Lining“(Achte auf den Silberstre­if) – ein Pianist als Mutmacher. Auch mit seinen beiden aktuellen Werken erweist sich Brad Mehldau als eine der fasziniere­ndsten Persönlich­keiten des Jazz. (dpa)

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