Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Toter und Verletzte bei Polizeieinsatz
Der Mann und seine Begleiterin waren aus der Psychiatrie geflüchtet und mit Messer bewaffnet
BAD SCHUSSENRIED - Ein 29-Jähriger ist nach einem Polizeieinsatz in der Innenstadt von Bad Schussenried am Mittwochmorgen gestorben. Der Mann und seine 43-jährige Begleiterin, beide nach Informationen der „Schwäbischen Zeitung“Patienten am Zentrum für Psychiatrie (ZfP) Bad Schussenried, waren mit einem Messer bewaffnet. Trotz mehrmaliger Aufforderung weigerten sie sich, ihre Messer niederzulegen, woraufhin die Beamten zur ihren Waffen griffen.
Eine Mitarbeiterin einer Bäckereifiliale hat den Vorfall direkt miterlebt. Plötzlich seien Schüsse gefallen. „Drei oder vier müssen es gewesen sein“, sagt die Frau etwa zwei Stunden später der „Schwäbischen Zeitung“. Genau wüsste sie es nicht mehr; zu groß sei ihre Angst gewesen. Sie blickt dabei in Richtung des Schussenrieder Rathauses. Dort sind die Ermittler in diesem Moment noch zugange und sichern Spuren. Zwei kleinere Zelte haben sie aufgebaut, weil es an diesem Vormittag immer wieder leicht regnet.
Der Rettungshubschrauber, der in der Nähe des Tatorts gelandet war, hat längst wieder abgehoben. Einsatzkräfte des Deutschen Roten
Kreuzes packen zusammen. Auch mehrere Polizeifahrzeuge fahren davon. Was bleibt, sind die Absperrbänder, die schätzungsweise rund 100 Meter rund um den Tatort angebracht worden waren. Was sich innerhalb der Absperrung gegen 9 Uhr an diesem Vormittag abgespielt hat, gaben die Staatsanwaltschaft Ravensburg und das Polizeipräsidium Ravensburg am Abend bekannt.
Die 43-jährige Frau und der 29jährige Mann flohen am Morgen aus dem offenen Maßregelvollzug der Klinik für forensische Psychiatrie in Bad Schussenried, schreiben die Ermittler. Seit mehreren Jahren waren sie dort untergebracht. Die beiden begaben sich in Richtung Innenstadt, woraufhin die Psychiatrie die Polizei alarmierte.
Etwa zeitgleich, kurz vor 9 Uhr, wurde der Polizei gemeldet, eine Geschäftsinhaberin in der Innenstadt werde mit einem Messer bedroht. Vor Ort stellten die Polizisten dann fest, dass sowohl die 43-jährige Frau als auch der 29-jährige Mann ein Messer bei sich hatten.
Im weiteren Verlauf des Geschehens soll der 29-jährige Mann einen der beiden Polizeibeamten mit dem Messer in der Hand verfolgt haben. Trotz Aufforderung habe er dieses nicht abgelegt, woraufhin der Beamte mit seiner Dienstwaffe den 29-Jährigen in die Hüfte schoss. Der Mann starb kurz nach der Einlieferung in einer Klinik.
Die 43-jährige Frau soll sich dem zweiten Polizeibeamten ebenfalls mit einem Messer in der Hand genähert haben. Nach mehrmaliger Aufforderung habe sie dieses ebenfalls nicht abgelegt, woraufhin der zweite Polizist mit seiner Dienstwaffe schoss. Er traf sie am Oberschenkel, so der bisherige Stand der Ermittlungen. Sie kam mit keinen lebensgefährlichen Verletzungen in ein Krankenhaus. „Um jeden Anschein der Befangenheit auszuschließen“, haben die zuständige Staatsanwaltschaft Ravensburg und das Polizeipräsidium Ravensburg nach eigenen Angaben die Ermittlungen übernommen. Eigentlich wäre das Polizeipräsidium Ulm zuständig.
Dass es sich bei den beiden Beteiligten um Patienten des ZfP handelt, bestätigte Christoph Vieten, zuständiger Regionaldirektor am ZfP Südwürttemberg, der „Schwäbischen Zeitung“. Die Frau habe sich seit 2015 dort in Behandlung befunden, der Mann seit 2014. Beide Patienten hatten vor ihrer Einweisung in das Krankenhaus eine Straftat begangen, waren dann jedoch nicht ins Gefängnis gekommen, weil sie nachweislich an einer Persönlichkeitsstörung litten. Um welche psychische Erkrankung es sich dabei handelt, dazu machte das Krankenhaus keine Aussage.
Vieten sagte, er könne sich das Verhalten der beiden Patienten nicht erklären und sei fassungslos. Niemand am ZfP habe diese Entwicklung vorhersehen können. Beide Patienten hätten sich seit ihrer Einweisung sehr gut stabilisiert, hätten aktiv in der Klinik an ihrer Rehabilitation mitgearbeitet und galten als ungefährlich. Bei der Frau seien die zuständigen Ärzte dabei gewesen, die Entlassung vorzubereiten. Sie habe in einer Außengruppe in Bad Schussenried gelebt, er auf einer offenen Station. Daher hätten auch beide freien Ausgang in die Stadt gehabt. Der Mann sei in Biberach seit September einer regelmäßigen Arbeit nachgegangen.
Am Mittwochvormittag wollten der Mann und die Frau einen Bekannten in der geschlossenen Abteilung der Forensik in Bad Schussenried besuchen. Dabei hätten sie ein aggressives und auffälliges Verhalten gezeigt, schildert Vieten. Das Pflegepersonal habe daraufhin versucht, sie zum Bleiben zu überreden, was ihnen nicht gelang. Angaben des Innenministeriums zufolge waren im Jahr 2019 zwei Menschen in BadenWürttemberg durch Polizeiwaffen gestorben; im Jahr davor gab es keine Opfer.