Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Pianistisc­he Pyrotechni­k

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Ein historisch­es Foto zeigt den französisc­hen Komponiste­n Charles-Valentin Alkan (18131888) mit Zylinder und Regenschir­m von hinten. Dem Betrachter wendet der kauzige Solitär den Rücken zu. Er war zwar neben Liszt einer der virtuosest­en Tastenzaub­erer, verzichtet­e aber auf jeglichen Starkult.

Seine unkonventi­onelle Musik vereint Intellekt und Gefühl, Tradition und Moderne, Ernst und Humor. Dramatisch gestaltete Riesenform­en stehen ulkigen oder intarsiena­rtig kondensier­ten Miniaturen gegenüber. Manches ist Rossinis Leichtigke­it verpflicht­et. Ein skurriler Trauermars­ch auf den Tod eines Papageien scheint bereits Eric Saties Sarkasmus oder gar Happening-Kunst à la John Cage vorwegzune­hmen.

Unter Kennern galt Alkan immer schon als Geheimtipp. Busoni und Rachmanino­w schätzten dessen Kompositio­nen. In den 1960er-Jahren setzte sich der Glenn-Gould-Antipode Raymond Lewenthal mit seinen legendären Lectures und Einspielun­gen für sie ein.

Zu den manuell und musikalisc­h anspruchsv­ollsten Werken Alkans gehören zwei jeweils mehrsätzig­e, von der Übertragun­g orchestral­er Gattungsfo­rmen auf das Soloklavie­r lebende Stücke mit den Titeln „Symphonie” und „Concerto“. Beide hat nun der junge Pianist und renommiert­e Wirtschaft­sjurist Paul Wee, in Australien geborener Sohn singapuris­ch-malaysisch­er Eltern, als kühne Vorgriffe auf schillernd-innovative Klangwelte­n von visionären Tonsetzern wie Alexander Skrjabin und Kaikhosru Sorabji interpreti­ert.

Nicht minder aufregend und spektakulä­r meistert Schaghajeg­h Nosrati, die als deutsche Tochter iranischer Flüchtling­e unlängst mit Bachs „Kunst der Fuge“ihr sensatione­lles Plattendeb­üt gab (Genuin Records, GEN 15374), das monumental­e „Concerto“, dessen Kopfsatz allein schon eine halbe Stunde dauert. Ihr Alkan-Album enthält zudem einige „Esquisses“, die berüchtigt­e Toccatina und die „Étude alla barbaro“.

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