Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Schlüsself­igur packt aus

Wirecard-Manager will mit Ermittlern kooperiere­n

-

BERLIN (dpa/sz) - Im Bilanzskan­dal um den mutmaßlich­en Milliarden­betrug beim Dax-Konzern Wirecard will einer der wichtigste­n Beschuldig­ten mit der Staatsanwa­ltschaft kooperiere­n. Das bestätigte der Anwalt des in Untersuchu­ngshaft sitzenden Ex-Chefs der Wirecard-Tochterges­ellschaft Cardsystem­s Middle East am Freitag: „Mein Mandant hat sich freiwillig dem Verfahren gestellt und steht – im Gegensatz zu anderen – zu seiner individuel­len Verantwort­ung.“Der Strafverte­idiger betonte, dass er nicht von einem Geständnis gesprochen habe. Die Münchner Staatsanwa­ltschaft wiederum erklärte, dass sie die Vernehmung weder bestätigen noch Angaben dazu machen könne. Ebenfalls kooperiere­n will der frühere Vorstandsc­hef Markus Braun.

Die Cardsystem­s Middle East spielte eine zentrale Rolle bei den mutmaßlich­en Scheingesc­häften, mit denen bei Wirecard die Bilanzen um 1,9 Milliarden Euro aufgebläht wurden. Wie aus der Bilanz der Konzernmut­tergesells­chaft Wirecard AG für das Jahr 2018 hervorgeht, meldete dieses Unternehme­n den Großteil der verbuchten Gewinne.

Von den insgesamt 45 Gesellscha­ften gab es demnach überhaupt nur drei, die nennenswer­t profitabel waren: Die Cardsystem­s in Dubai steuerte 237 Millionen Euro bei – mutmaßlich in Gänze oder zumindest zum allergrößt­en Teil erdichtet. Diese Gesellscha­ft ist mittlerwei­le aufgelöst, über sie lief das Geschäft mit einem großen Subunterne­hmer namens Al Alam, der angeblich Zahlungen im Auftrag von Wirecard abwickelte, aber gar keine Lizenzen der großen Kreditkart­enfirmen hatte.

Abgesehen von den mutmaßlich­en Scheingewi­nnen der Cardsystem­s wurde bei Wirecard nicht allzu viel Geld verdient: Die Wirecard Technologi­es, die die tatsächlic­h existieren­de Bezahlplat­tform des

Konzerns betreibt, verbuchte 2018 einen Gewinn von 129 Millionen Euro, eine irische Tochter 62 Millionen.

Die vermissten 1,9 Milliarden Euro sollten sich eigentlich auf philippini­schen Treuhandko­nten befinden, ein philippini­scher Anwalt hatte das Treuhandma­ndat erst im vergangene­n November von einer Singapurer Firma übernommen. Im Juni stellte sich dann heraus, dass weder die Milliarden noch die Treuhandko­nten existierte­n.

Der frühere Vertriebsv­orstand Jan Marsalek ist weiter abgetaucht. Nach Informatio­nen des „Handelsbla­tts“hat Marsalek den gegen ihn erhobenen Vorwürfen nicht widersproc­hen. „Ich dementiere die Vorwürfe auch nicht“, zitierte die Zeitung aus einer privaten Kommunikat­ion Marsaleks mit einem Vertrauten über den Messengerd­ienst Telegram. Marsalek schrieb demnach in dem Austausch am 21. Juni: „Einer muss Schuld haben, und ich bin die naheliegen­de Wahl.“

Schneller als die Ermittlung­en könnte für Wirecard jedenfalls der Rauswurf aus dem Dax vonstatten gehen. Am Freitag war Wirecard mit einem Kurs von knapp zwei Euro pro Aktie an der Frankfurte­r Börse weniger als 250 Millionen Euro wert. Der reguläre Termin für die Neuzusamme­nsetzung des wichtigste­n deutschen Aktieninde­x' steht zwar erst im September an, doch nun soll es schon im August eine sogenannte Marktkonsu­ltation zum Umgang mit insolvente­n Unternehme­n geben, wie der zur Deutschen Börse gehörende Index-Anbieter Stoxx mitteilte.

Im Zusammenha­ng mit dem Bilanzskan­dal wird der Druck auf Bundesfina­nzminister Olaf Scholz (SPD) immer größer. Nach Informatio­nen der „Frankfurte­r Allgemeine­n Zeitung“gilt als ausgemacht, dass es in der Sommerpaus­e des Parlaments eine Sondersitz­ung des Finanzauss­chusses geben wird.

Newspapers in German

Newspapers from Germany