Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

„Wächter des Allgäus“soll zum Besucherma­gnet werden

Investoren planen eine Erlebniswe­lt am Grünten – Warum Naturschüt­zer gegen das Projekt sind

- Von Frederick Mersi

RETTENBERG (lby) - Trubel oder stiller Naturgenus­s? Seit einem Jahr tobt ein Streit um die Pläne für die neue „Bergwelt“am „Wächter des Allgäus“, wie der 1738 Meter hohe Gipfel wegen seiner exponierte­n Lage genannt wird. Es geht um die Frage, wie der Tourismus am Berg künftig aussehen soll. Am Wochenende demonstrie­rten rund 80 Menschen gegen die Pläne.

Schon 2012 hatte ein Schweizer Investor Pläne für ein Hotel, ein Panorama-Drehrestau­rant und eine Sommerrode­lbahn. präsentier­t. Die entpuppten sich letztlich aber als „Luftnummer“, wie ein Mitglied der Alpgenosse­nschaft Grünten sagt. „Die haben uns Honig ums Maul geschmiert.“Die Genossensc­haft bewirtscha­ften unter anderem die Almen am Berg. Nicht einmal die Lifte habe der Investor betankt. 2017 meldeten die Betreiber der Grüntenlif­te stattdesse­n Insolvenz an.

Ein neuer Interessen­t kam ins Spiel: die Allgäuer Unternehme­rfamilie Hagenauer, Betreiberi­n der „Alpsee-Bergwelt“entfernt. Im Sommer 2019 stellte sie ihr Konzept für eine zweite „Bergwelt“vor. Dazu gehörten neue Beschneiun­gsanlagen für den Winterbetr­ieb, ein neues Gastronomi­e-Angebot auf dem Gipfel, eine Zehner-Gondelbahn und eine Walderlebn­isbahn als sogenannte­r Rollglider. Diese ist besonders umstritten. Unter anderem, weil die Bahn mit Manschette­n an Bäumen befestigt wird – aus Sicht der Gegner ein zu großer Eingriff in die Natur.

Obwohl diese Pläne weniger protzig als die des vermeintli­chen Schweizer Investors erschienen, regte sich Widerstand. Gegner des Projekts befürchtet­en einen „Rummelplat­z“auf dem Berg und gründeten im Juli 2019 die Bürgerinit­iative „Rettet den Grünten“.

Wie viel Tourismus ist zu viel? Im Allgäu wird darüber seit Langem diskutiert. Bei einer Befragung zum Thema durch die Hochschule Kempten stimmten 2019 knapp 50 Prozent der Aussage zu: „Wir brauchen nicht mehr und nicht weniger Tourismus.“Weitere knapp 22 Prozent der Befragten stimmten der Aussage zu, dass künftig weniger Tourismus im Allgäu nötig sei. Die geplante „Bergwelt“am Grünten werde sicherlich zu einem Anstieg der Tagestouri­sten führen, sagt Tourismus-Professor Alfred Bauer. „Da wird die Frage diskutiert: Muss es immer höher, schneller, weiter sein?“An einem anderen Allgäuer Berg, dem Riedberger Horn, hatten Proteste 2019 den Bau eines Lifts verhindert, der zwei Skigebiete miteinande­r verbinden sollte. Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU) kassierte das Projekt im Wahlkampf ein.

Am Grünten hat sich ein Jahr nach der Gründung der Bürgerinit­iative wenig verändert. Die umstritten­e Erlebnisba­hn ist nach Angaben der Investoren „derzeit“nicht mehr Teil des Konzepts, schriftlic­h auf Dauer abgesicher­t ist das aber nicht. Rund 80 Gegner des Projekts bildeten deshalb am Samstag ein rotes Fragezeich­en am Grünten.

Der Bürgermeis­ter der Gemeinde Rettenberg, Nikolaus Weißinger (CSU), steht hinter der „Bergwelt“am Grünten. Er erhofft sich „wichtige Impulse für unsere schöne Gemeinde“. Die Planungen würden noch konkretisi­ert, für sachliche Gespräche mit Projektgeg­nern sei er offen. Die Kritik der Bürgerinit­iative richtet sich auch gegen die Dimension der Pläne. Es gehe auch mal eine Nummer kleiner. Der Winterbetr­ieb sei mit Blick auf den Klimawande­l ohnehin weder nachhaltig noch wirtschaft­lich.

Die Familie Hagenauer äußert sich dazu nicht mehr im Gespräch mit Pressevert­retern. Das erste Bauprojekt am Grünten ist der Neubau der Hütte am Gipfel. Sie soll neben der alten Hütte entstehen, die der örtlichen Alpgenosse­nschaft gehört. 42 Betten, 400 Sitzplätze, und das mitten in einem Landschaft­sschutzgeb­iet – auch daran stören sich die Projektgeg­ner. Der Rettenberg­er Gemeindera­t hat den Bau einstimmig befürworte­t. Als nächstes entscheide­t der Oberallgäu­er Kreistag, ob er im Landschaft­sschutzgeb­iet die rechtliche­n Voraussetz­ungen dafür schafft. Wann das Gremium sich damit befasst, ist unklar. Ein Mitglied der Alpgenosse­nschaft sieht durch die Pläne auch Vorteile. Durch die Sanierung der Wanderwege würden Besucherst­röme besser gelenkt.

Die Bürgerinit­iative bleibt jedoch weiter skeptisch, sagt deren Sprecher Max Stark: „Da müssen wir weiter ein Auge drauf haben.“

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FOTO: HILDENBRAN­D/DPA Schon heute ist bei gutem Wetter viel los am Grünten.

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