Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Verschuldet im Hörsaal
In der Krise haben viele Studenten Geldsorgen – Gewerkschaften kritisieren Nothilfen
RAVENSBURG - Durch die CoronaKrise sind viele Studenten in finanzielle Nöte geraten. Der Bund stellt ihnen nun Überbrückungshilfen zur Verfügung, Bundesländer verlängern die Regelstudienzeit. Erste Hilfen – die gehen der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft aber nicht weit genug. Sie fordert mehr Geld und eine Reform des BAföGs.
Seit Juni können Studenten die sogenannte Überbrückungshilfe des Bundesbildungsministeriums beantragen. Je nach Kontostand bekommen Studenten einen Zuschuss von 100 bis 500 Euro. 100 Millionen Euro stehen dafür zur Verfügung. Zwischenzeitlich sind rund 124 000 Anträge bei den 57 Studentenwerken vor Ort eingegangen, berichtet Achim Meyer auf der Heyde, Generalsekretär des Deutschen Studentenwerks, auf Anfrage der „Schwäbischen Zeitung“. „Mehr als die Hälfte der Anträge wurde genehmigt, knapp 40 Prozent mussten abgelehnt werden, bei zehn Prozent der Anträge laufen Nachfragen.“
Ein Armutszeugnis, findet das Andreas Keller, stellvertretender Vorsitzenden der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). „Das ist keine Nothilfe, das grenzt an unterlassene Hilfeleistung“, sagt er der „Schwäbischen Zeitung“. Im Juni
wurden die Ergebnisse einer Befragung von knapp 1900 Studenten bekannt, nach der ein Drittel der Befragten von finanziellen Einbußen betroffen sei, berichtet Keller. 40 Prozent haben aufgrund der Corona-Krise ihren Job verloren und rund 20 Prozent können Mieten und Rechnungen nicht mehr bezahlen. Legt man nur diese jüngsten Zahlen zugrunde, so Keller, würde die Soforthilfe des Bundes im Umfang von 100 Millionen Euro für die am meisten Betroffenen für eine Einmalzahlung von etwas mehr als 150 Euro reichen. Die GEW fordert, das Budget auf bis zu einer Milliarde Euro aufstocken.
Das Prozedere ist aufwendig: Die Studenten müssen auf einem Onlineportal ihren Ausweis, die Immatrikulationsbescheinigung für das Sommersemester, ungeschwärzte Kontoauszüge seit Februar und eine Bescheinigung oder Selbsterklärung hochladen, dass nun ihr Nebenjob weggebrochen ist oder sie auf die Unterstützung ihrer Familie verzichten müssen. Wie die bayerischen Studentenwerke am Freitag mitteilten, wurden von rund 30 000 eingegangenen Anträgen knapp 17 000 automatisch aussortiert, weil sie unvollständig waren. „Wenn zum Beispiel eine Bescheinigung über die Immatrikulation fehlt, landet der Antrag gar nicht bei uns zur Bearbeitung“,
sagte ein Sprecher. „Die Antragstellung zur Überbrückungshilfe gleicht einem Glücksspiel“, heißt es in einer gemeinsamen Stellungnahme der Studentenvertreter aus mehreren Bundesländern. Die technische Umsetzung sei „dilettantisch“, erklärte Lukas Eichinger aus Sachsen. Der Dachverband der Studierendenvertretungen kritisiert das Antragsverfahren als „intransparent“.
Das Land Baden-Württemberg hat bereits im April den BW-Nothilfefonds aus den Mitteln des Landes aufgelegt. Studenten, die ihre Nebenjobs verloren haben, erhielten für die Monate April und Mai ein zinsloses Darlehen in Höhe von 450 Euro pro Monat, teilt Julia Eußner, Pressesprecherin im Ministerium für Wissenschaft in Baden-Württemberg, auf Anfrage mit.
Neben den Überbrückungshilfen können Studenten KfW-Studienkredite beantragen und sich so maximal 650 Euro ausbezahlen lassen. Seit dem 1. Mai sind knapp 20 000 Anträge gestellt worden, sagt Volker Abt, Pressesprecher im Bundesministerium für Bildung und Forschung, auf Anfrage der „Schwäbischen Zeitung“. Die Kredite sind zinsfrei, sobald sie innerhalb eines knappen Jahres getilgt werden. Danach sind aber wie gewohnt mehr als vier Prozent Zinsen fällig. „Nicht optimal“, nennt das Julia Eußner. Durch die Zinsbelastung werde die Notlage der Studenten keinesfalls gelindert. Andreas Keller kritisiert daran vor allem, dass Studenten schon verschuldet in ihre Zukunft starten.
Baden-Württemberg und Bayern haben die Regelstudienzeit für Studenten um ein Semester verlängert, die im Sommersemester 2020 eingeschrieben sind. Vor allem für BAföG-Empfänger ist dies wichtig, da diese wegen möglicher Verzögerungen im Studium ansonsten ihren Anspruch auf die staatliche Unterstützung verlieren könnten, sagte Wissenschaftsministerin Theresia Bauer in Stuttgart. Die Ministerin drängte seit April auf eine bundeseinheitliche Lösung, Berlin habe es aber wohl an Mut und Entschlossenheit gefehlt, so ihre Sprecherin.
Andreas Keller fordert derweil einen „Kurswechsel“in der Politik und spricht sich für eine drastische Reform des BAföGs aus. 2019 wurden 900 Millionen Euro weniger an BAföG-Mitteln ausgezahlt, als im Bundeshaushalt veranschlagt waren. Gleichzeitig bekommen nur noch 12 Prozent aller Studenten überhaupt diese Förderung, so Keller. Er fordert eine deutliche Erhöhung, eine Anpassung an steigenden Lebenshaltungskosten und die Abschaffung des Darlehensanteils zugunsten eines Vollzuschusses.