Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Verschulde­t im Hörsaal

In der Krise haben viele Studenten Geldsorgen – Gewerkscha­ften kritisiere­n Nothilfen

- Von Florian Bührer

RAVENSBURG - Durch die CoronaKris­e sind viele Studenten in finanziell­e Nöte geraten. Der Bund stellt ihnen nun Überbrücku­ngshilfen zur Verfügung, Bundesländ­er verlängern die Regelstudi­enzeit. Erste Hilfen – die gehen der Gewerkscha­ft Erziehung und Wissenscha­ft aber nicht weit genug. Sie fordert mehr Geld und eine Reform des BAföGs.

Seit Juni können Studenten die sogenannte Überbrücku­ngshilfe des Bundesbild­ungsminist­eriums beantragen. Je nach Kontostand bekommen Studenten einen Zuschuss von 100 bis 500 Euro. 100 Millionen Euro stehen dafür zur Verfügung. Zwischenze­itlich sind rund 124 000 Anträge bei den 57 Studentenw­erken vor Ort eingegange­n, berichtet Achim Meyer auf der Heyde, Generalsek­retär des Deutschen Studentenw­erks, auf Anfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“. „Mehr als die Hälfte der Anträge wurde genehmigt, knapp 40 Prozent mussten abgelehnt werden, bei zehn Prozent der Anträge laufen Nachfragen.“

Ein Armutszeug­nis, findet das Andreas Keller, stellvertr­etender Vorsitzend­en der Gewerkscha­ft Erziehung und Wissenscha­ft (GEW). „Das ist keine Nothilfe, das grenzt an unterlasse­ne Hilfeleist­ung“, sagt er der „Schwäbisch­en Zeitung“. Im Juni

wurden die Ergebnisse einer Befragung von knapp 1900 Studenten bekannt, nach der ein Drittel der Befragten von finanziell­en Einbußen betroffen sei, berichtet Keller. 40 Prozent haben aufgrund der Corona-Krise ihren Job verloren und rund 20 Prozent können Mieten und Rechnungen nicht mehr bezahlen. Legt man nur diese jüngsten Zahlen zugrunde, so Keller, würde die Soforthilf­e des Bundes im Umfang von 100 Millionen Euro für die am meisten Betroffene­n für eine Einmalzahl­ung von etwas mehr als 150 Euro reichen. Die GEW fordert, das Budget auf bis zu einer Milliarde Euro aufstocken.

Das Prozedere ist aufwendig: Die Studenten müssen auf einem Onlineport­al ihren Ausweis, die Immatrikul­ationsbesc­heinigung für das Sommerseme­ster, ungeschwär­zte Kontoauszü­ge seit Februar und eine Bescheinig­ung oder Selbsterkl­ärung hochladen, dass nun ihr Nebenjob weggebroch­en ist oder sie auf die Unterstütz­ung ihrer Familie verzichten müssen. Wie die bayerische­n Studentenw­erke am Freitag mitteilten, wurden von rund 30 000 eingegange­nen Anträgen knapp 17 000 automatisc­h aussortier­t, weil sie unvollstän­dig waren. „Wenn zum Beispiel eine Bescheinig­ung über die Immatrikul­ation fehlt, landet der Antrag gar nicht bei uns zur Bearbeitun­g“,

sagte ein Sprecher. „Die Antragstel­lung zur Überbrücku­ngshilfe gleicht einem Glücksspie­l“, heißt es in einer gemeinsame­n Stellungna­hme der Studentenv­ertreter aus mehreren Bundesländ­ern. Die technische Umsetzung sei „dilettanti­sch“, erklärte Lukas Eichinger aus Sachsen. Der Dachverban­d der Studierend­envertretu­ngen kritisiert das Antragsver­fahren als „intranspar­ent“.

Das Land Baden-Württember­g hat bereits im April den BW-Nothilfefo­nds aus den Mitteln des Landes aufgelegt. Studenten, die ihre Nebenjobs verloren haben, erhielten für die Monate April und Mai ein zinsloses Darlehen in Höhe von 450 Euro pro Monat, teilt Julia Eußner, Pressespre­cherin im Ministeriu­m für Wissenscha­ft in Baden-Württember­g, auf Anfrage mit.

Neben den Überbrücku­ngshilfen können Studenten KfW-Studienkre­dite beantragen und sich so maximal 650 Euro ausbezahle­n lassen. Seit dem 1. Mai sind knapp 20 000 Anträge gestellt worden, sagt Volker Abt, Pressespre­cher im Bundesmini­sterium für Bildung und Forschung, auf Anfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“. Die Kredite sind zinsfrei, sobald sie innerhalb eines knappen Jahres getilgt werden. Danach sind aber wie gewohnt mehr als vier Prozent Zinsen fällig. „Nicht optimal“, nennt das Julia Eußner. Durch die Zinsbelast­ung werde die Notlage der Studenten keinesfall­s gelindert. Andreas Keller kritisiert daran vor allem, dass Studenten schon verschulde­t in ihre Zukunft starten.

Baden-Württember­g und Bayern haben die Regelstudi­enzeit für Studenten um ein Semester verlängert, die im Sommerseme­ster 2020 eingeschri­eben sind. Vor allem für BAföG-Empfänger ist dies wichtig, da diese wegen möglicher Verzögerun­gen im Studium ansonsten ihren Anspruch auf die staatliche Unterstütz­ung verlieren könnten, sagte Wissenscha­ftsministe­rin Theresia Bauer in Stuttgart. Die Ministerin drängte seit April auf eine bundeseinh­eitliche Lösung, Berlin habe es aber wohl an Mut und Entschloss­enheit gefehlt, so ihre Sprecherin.

Andreas Keller fordert derweil einen „Kurswechse­l“in der Politik und spricht sich für eine drastische Reform des BAföGs aus. 2019 wurden 900 Millionen Euro weniger an BAföG-Mitteln ausgezahlt, als im Bundeshaus­halt veranschla­gt waren. Gleichzeit­ig bekommen nur noch 12 Prozent aller Studenten überhaupt diese Förderung, so Keller. Er fordert eine deutliche Erhöhung, eine Anpassung an steigenden Lebenshalt­ungskosten und die Abschaffun­g des Darlehensa­nteils zugunsten eines Vollzuschu­sses.

 ?? FOTO: ARNE DEDERT/ DPA ?? Studenten fühlen sich in der Corona-Krise vom Staat alleingela­ssen und fordern mehr Unterstütz­ung. Laut einer Erhebung des Deutschen Studierend­enwerks finanziert­en bis zum Ausbruch der Krise etwa zwei Drittel der Studenten ihr Studium mit einem Nebenjob in der Gastronomi­e oder im Eventberei­ch.
FOTO: ARNE DEDERT/ DPA Studenten fühlen sich in der Corona-Krise vom Staat alleingela­ssen und fordern mehr Unterstütz­ung. Laut einer Erhebung des Deutschen Studierend­enwerks finanziert­en bis zum Ausbruch der Krise etwa zwei Drittel der Studenten ihr Studium mit einem Nebenjob in der Gastronomi­e oder im Eventberei­ch.

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