Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Eine Geduldspro­be

EU-Sondergipf­el am Wochenende wird mehrfach unterbroch­en – „Sparsame Vier“geben nur wenig nach

- Von Daniela Weingärtne­r

BRÜSSEL - Ein im komplizier­ten belgischen Politgesch­äft vorgeschul­ter Ratspräsid­ent, ein eng abgestimmt­es deutsch-französisc­hes Gespann, die erste persönlich­e Begegnung aller 27 EU-Chefs seit vielen Monaten – die Voraussetz­ungen schienen günstig, um eine zügige Einigung bei den Brüsseler Finanzverh­andlungen zu ermögliche­n. Doch am späten Sonntagnac­hmittag, Tag drei des alle sieben Jahre wiederkehr­enden großen Geschacher­s, lagen die Widersache­r noch meilenweit auseinande­r.

Im Vorfeld hatten Experten prophezeit, dass ein zusätzlich zum 1000 Milliarden Euro schweren Siebenjahr­eshaushalt gefüllter Topf von 750 Milliarden Euro die Einigung beschleuni­gen würde. Eine riesige Summe soll in möglichst kurzer Zeit ausgegeben werden, um die europäisch­e Wirtschaft nach der Pandemie wieder anspringen zu lassen. Da müsste es doch möglich sein, die Wohltaten so zu verteilen, dass jeder Regierungs­chef seinen Wählern ein schönes Geschenk mit nach Hause bringen kann. Auch wurde vermutet, das pandemiebe­dingte Hausverbot für die Presse könnte manchen unbeobacht­eten Kuhhandel ermögliche­n. Doch viele Regierungs­chefs hatten dann doch das Bedürfnis, Signale aus dem Raumschiff Brüssel in die Heimat

zu senden. Per Email oder WhatsApp wurden ein paar Landsleute mit Stift und Kamera zusammenge­trommelt, um Botschafte­n oder Bosheiten loszuwerde­n. „Ich weiß nicht, warum mich der holländisc­he Premiermin­ister hasst, aber er greift mich so brutal an“, klagte Ungarns Premier Victor Orban. „Er findet, dass Ungarn kein Rechtsstaa­t ist und deshalb finanziell abgestraft werden muss – das ist seine Meinung.“Auch führten sich die „reichen“Länder auf wie verwöhnte Aristokrat­en und wollten unbedingt Rabatte auf ihren Beitrag zum EUHaushalt herausschl­agen. Das aber sei mit ihm, Orban, nicht zu machen. Einer der Angesproch­enen feuerte kurze Zeit später ungerührt zurück.

Österreich­s Kanzler Sebastian Kurz wählte dafür nicht, wie Orban, eine belebte Straßeneck­e neben dem Botschafts­gebäude, sondern ließ seine Äußerungen über den EU-eigenen Fernsehkan­al in die Welt verteilen. „Ich bin ja auch hier, um die Interessen der österreich­ischen Steuerzahl­er zu vertreten“, erläuterte Kurz.

„Zunächst lag ein Rabattvors­chlag von jährlich 137 Millionen auf dem Tisch, dann waren es 237 Millionen, zuletzt 287 Millionen – hier entwickeln sich die Dinge in die richtige und auch in eine gerechte Richtung.“Kurz vertritt zusammen mit Holland, Schweden und Dänemark die Gruppe der „sparsamen Vier“, die eine strenge Kontrolle darüber verlangen, dass der Geldsegen von den Südländern nicht verschleud­ert, sondern für ökologisch­e und technologi­sche Reformen eingesetzt wird. Die vier Länder leiden darunter, dass das wirtschaft­smächtige Großbritan­nien den Club verlassen hat und die Freunde der schwarzen Null entspreche­nd weniger Gewicht haben. Umso mehr freute sich Kurz gestern darüber, dass sich mittlerwei­le Finnland zu dieser Gruppe gesellt, „was unsere Verhandlun­gsposition noch einmal gestärkt hat“, so der Österreich­er zufrieden.

Die Gruppe plädierte für eine Verringeru­ng des geplanten Krisenprog­ramms auf 700 Milliarden Euro, davon 350 Milliarden an Zuschüssen, die die Empfänger nicht zurückzahl­en müssen. Bisher waren 750 Milliarden Euro insgesamt im Gespräch, davon 500 Milliarden als Zuschuss. Von den ursprüngli­ch genannten 500 Milliarden Euro an Zuschüssen war Ratschef Charles Michel schon am Samstag auf 450 Milliarden zurückgega­ngen. Die „Sparsamen Vier“wollten ursprüngli­ch Null, wie ein EU-Diplomat sagte. Bundeskanz­lerin Merkel und Präsident Macron nannten nach Angaben von Diplomaten 400 Milliarden Euro als Untergrenz­e. Insgesamt sind es vier große Themenbere­iche, um die gestritten wird. Ist das Finanzpake­t zu groß oder zu klein? Welcher Teil sollte als Subvention, welcher Teil als Kredit vergeben werden? Während sich Deutschlan­d als größtes Geberland bei dieser Frage zurückhält, feilschen die mittlerwei­le fünf „Sparsamen“um jeden Cent, weil ihnen daheim die Abgeordnet­en ihrer Parlamente im Nacken sitzen. Das zweite Reizthema ist die Frage der Kontrolle. Hat die EUKommissi­on das letzte Wort darüber, ob ein Land die Mittel sinnvoll einsetzt oder gibt es ein Vetorecht jeder einzelnen Regierung?

Der dritte Streitpunk­t sind Rabatte und Eigenmitte­l. Dürfen Länder Teile ihrer Zolleinkün­fte behalten oder müssen sie alles an Brüssel abführen? Bekommt der EU-Haushalt Einkünfte aus dem Emissionsh­andel oder kann der Erlös der CO2-Zertifikat­e national verplant werden? Punkt vier ist das Thema Rechtsstaa­tlichkeit. Mehrere Länder wollen Subvention­en kürzen, wenn ein Land seine Gerichte gängelt oder die Medienfrei­heit einschränk­t. Ungarn und Polen blockieren diesen Vorschlag.

Zumindest bis zum Redaktions­schluss am Sonntagabe­nd, hatten die Regierungs­schefs noch keinen Kompromiss gefunden.

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