Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Europa droht Türkei mit Sanktionen

Verstöße gegen UN-Waffenemba­rgo im Libyen-Konflikt verschärfe­n internatio­nale Spannungen

- Von Thomas Seibert

INSTANBUL - Im Libyen-Konflikt nehmen die Spannungen zu. Regierungs­treue Milizen rückten am Wochenende weiter auf Sirte und die nahegelege­nen Ölquellen vor. Die internatio­nal anerkannte Regierung in Tripolis bereitet den Angriff gemeinsam mit der Türkei vor, die in den vergangene­n Monaten Tausende Kämpfer aus Syrien sowie schwere Waffen in das nordafrika­nische Land geschickt hat. Rebellenge­neral Khalifa Haftar, der durch den Vormarsch der Regierungs­truppen in die Defensive geraten ist, wünscht sich zur Abwehr des erwarteten Angriffs auf Sirte eine Interventi­on seiner Schutzmach­t Ägypten. Mitten in dieser Eskalation veröffentl­ichten Deutschlan­d, Frankreich und Italien eine Sanktionsd­rohung gegen die Türkei.

Sirte ist wegen seiner zentralen Lage und der Ölquellen in seiner Umgebung für alle Seiten im LibyenKonf­likt wichtig. Ein Angriff Haftars auf die Hauptstadt Tripolis im Westen des Landes war in den vergangene­n Monaten wegen der türkischen Hilfe für die Regierung gescheiter­t; seitdem ist der General, dessen Machtbasis in Ostlibyen liegt, auf dem Rückzug. Eine Niederlage in Sirte könnte den Krieg zugunsten der Regierung entscheide­n. In dem Land, das nach der Entmachtun­g von Diktator Muammar Gaddafi vor neun Jahren ins Chaos stürzte und seit 2014 zwei rivalisier­ende Regierunge­n hat, mischen mehrere ausländisc­he

Mächte mit. Ihnen geht es um Einfluss in Nordafrika und um einen Anteil am Ölreichtum Libyens. Auch regionalpo­litische Rivalitäte­n spielen eine Rolle. Während die Türkei auf der Seite der Regierung in Tripolis steht, erhält Haftar Unterstütz­ung von Ägypten, den Vereinigte­n Arabischen Emiraten (VAE) und Russland. In der EU gehört Frankreich zu den Unterstütz­ern des Rebellenge­nerals.

Seitdem der militärisc­he Druck auf Haftar wächst, werden die ägyptische­n Warnungen an die Türkei lauter. Die beiden Länder sind seit Jahren miteinande­r verfeindet; die Regierung in Kairo will unter allen Umständen vermeiden, dass sich der türkische Einfluss in Libyen bis an die ägyptische Grenze ausbreitet. Präsident Abdel Fattah al-Sisi hat deshalb Sirte zu einer „roten Linie“erklärt. Das mit Haftar verbündete Parlament

im ostlibysch­en Benghazi bat Ägypten vor wenigen Tagen offiziell um eine Militärint­ervention. Sisi sagte am Wochenende, sein Land werde im Fall eines Angriffs auf Sirte nicht tatenlos zuschauen.

Das UN-Waffenemba­rgo für Libyen wird von allen Seiten ignoriert. Die Türkei hat nach Erkenntnis­sen des US-Verteidigu­ngsministe­riums allein in den ersten drei Monaten des Jahres fast 4000 Kämpfer aus Syrien nach Libyen geschickt. Die Söldner werden von Ankara bezahlt und verstärken die Reihen der regierungs­treuen Milizen, die auch von türkischen Kampfdrohn­en und anderen Waffen profitiere­n. Beobachter des Luftverkeh­rs zwischen der Türkei und Libyen melden in jüngster Zeit vermehrte militärisc­he Transportf­lüge in das nordafrika­nische Land. Dem Pentagon zufolge bietet Russland zur

Verstärkun­g von Haftars Truppen bis zu 2500 russische und syrische Söldner auf; die VAE organisier­ten die Verlegung Tausender sudanesisc­her Kämpfer nach Libyen. Die Türkei wirft auch Frankreich vor, Haftar mit Waffen zu versorgen; im vergangene­n Jahr waren in einem Waffenlage­r Haftars französisc­he Raketen gefunden worden. Die Regierung in Paris weist alle Vorwürfe zurück und beschuldig­t die Türkei, internatio­nale Kontrollen mutmaßlich­er Waffenlief­erungen nach Libyen mit Kriegsschi­ffen zu verhindern.

Die neue europäisch­e Erklärung zu Libyen verstärkt die Spannungen zwischen Frankreich und der Türkei weiter. In der Stellungna­hme bekennen sich Deutschlan­d, Frankreich und Italien zur EU-Kontrollmi­ssion Irini im östlichen Mittelmeer und drohen bei Verstößen gegen das Waffenemba­rgo für Libyen mit Sanktionen. Da Irini lediglich die Transportw­ege zur See kontrollie­rt, bezieht sich die Sanktionsd­rohung allein auf die Türkei: Nur Ankara schickt Waffen per Schiff nach Libyen.

Waffentran­sporte über Land aus Ägypten oder per Luftweg aus Russland oder den VAE werden von den Europäern dagegen nicht kontrollie­rt, wie die amerikanis­che Regierung vor wenigen Tagen kritisiert­e. Die Europäer könnten zumindest alle Embargo-Brecher beim Namen nennen, wenn sie schon nicht alle Transporte überprüfte­n, sagte der NahostAbte­ilungsleit­er im US-Außenminis­terium, David Schenker.

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FOTO: HUANG LING/IMAGO IMAGES Wer liefert Waffen nach Libyen? Darum geht es in dem Streit um die Verletzung des Waffenemba­rgos.

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