Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Die lukrative Suche nach der Flugzeugde­lle

Mit 3-D-Scan-Technik hat das Konstanzer Start-up 8tree die Wartung von Passagierj­ets revolution­iert

- Von Birga Woytowicz

KONSTANZ - Die entscheide­nde Idee entwickelt Erik Klaas über Nacht. 2014 ist er mit seinem Start-up 8tree zu Gast bei Airbus. Er arbeitet mit dem Flugzeugba­uer an einem handlichen 3-D-Scanner, mit dem sich überprüfen lässt, ob noch alle Nieten in der Flugzeughü­lle richtig sitzen. Ob man nicht auch Dellen mit dem Scanner vermessen könne, will ein Airbus-Mitarbeite­r wissen. Zurück im Hotel programmie­rt Klaas die Software um. Eine schlaflose Nacht und eine Stunde Vortrag später führt der Airbus-Mitarbeite­r den Scanner seinen Kollegen in der Werkshalle vor. Herauskomm­t der Dentcheck – auf Deutsch Dellenprüf­er – für das Konstanzer Unternehme­n der Ausgangspu­nkt einer Erfolgsges­chichte.

Der Firmenname 8tree spielt dabei auf den Algorithmu­s hinter dem Scanner an. Zwei Millionen Bildpunkte in Sekunden abscannen – eine Baumstrukt­ur mit acht Knoten macht’s möglich. Er wolle der Flugzeugin­dustrie bei der Digitalisi­erung helfen, sagt der studierte Fotoingeni­eur Klaas. Für seine Diplomarbe­it zog es den gebürtigen Rheinlände­r in den Süden. 20 Jahre war er für einen Entwickler von 3-D-Scannern in Meersburg tätig. Aber einen Traum verlor er nie aus den Augen: den Traum von einem eigenen Unternehme­n.

Bei einem Rundgang durch die Büroräume im Konstanzer Industrieg­ebiet wirkt alles sehr bodenständ­ig. Erik Klaas erwartet seine Besucher in Jeans und Firmenpolo­shirt. Wer die Türschwell­e übertritt, steht mit einem Fuß in der kleinen Küchenecke, mit dem anderen im Besprechun­gsraum. Von dem langen Tisch aus hat man freie Sicht auf die

Entwickler­werkstatt und die Bürotische dahinter. Als Raumtrenne­r dient unter anderem eine Stoffwand mit Weltkarten­aufdruck. Mit kleinen Papierflug­zeugen verortet das Unternehme­n dort seine Kunden.

Etwa 50 seien es insgesamt. Bei Airlines wie Easyjet oder British Airways oder bei Wartungsfi­rmen wie Lufthansa Technik tasten Mechaniker die Maschinen bereits mit den 3D-Scannern von 8tree ab. „Wir haben vor Kurzem mal abgeschätz­t, dass wir erst fünf Prozent vom Markt erschlosse­n haben“, erklärt Klaas. Aber die Flugzeugbr­anche sei sehr konservati­v, lasse sich nur langsam auf Veränderun­gen ein. Für das Startup sei es dadurch mühsam gewesen, am Markt Fuß zu fassen.

2012 gründet Klaas 8tree zusammen mit Arun Chhabra, ein Geschäftsp­artner, den er bereits bei seinem alten Arbeitgebe­r kennengele­rnt hatte. Sie machen gleich zwei Standorte auf, in Los Angeles und Konstanz, weil der Markt so internatio­nal ist. In den USA läuft der Vertrieb, in Konstanz wird entwickelt und gebaut. Anfangs schießt sich die Firma auf den Scanner für die Nieten ein. Bis zum Tag der Präsentati­on bei Airbus. Ein Jahr später habe der Flugzeugba­uer das Gerät eingeführt und inzwischen zertifizie­rt. Ein wichtiges Aushängesc­hild, um Vertrauen potenziell­er Neukunden in das junge Unternehme­n zu gewinnen.

Vor dem Dentcheck habe man noch mit ganz anderen Werkzeugen gewartet, erklärt Klaas. Er greift zu einem etwas verbeulten Stück Flugzeughü­lle, stellt ein Lineal hochkant darauf auf und leuchtet von der Rückseite mit einer Taschenlam­pe auf die Platte. Dort, wo das Bauteil verbogen ist, scheint ein Lichtkegel unter dem

Lineal hervor. „So misst man die Breite einer Delle normalerwe­ise“, sagt Klaas. Wenn er den Dentcheck auf dieselbe Fläche hält, vermisst der die Dellen auf Knopfdruck. Ein integriert­er Projektor wirft die Ergebnisse schließlic­h direkt auf die Fläche. Grüne Stellen sind in Ordnung, je tiefer die Farbe ins Blaue übergeht, desto größer ist die Delle. Vier Kilo wiegt der 3-D-Scanner. Über einen Carbonrahm­en kann man das Gerät direkt auf der Oberfläche ansetzen. Klaas hat es so entwickelt, dass es jeder – auch ohne mechanisch­e Ausbildung – bedienen kann. Beim Einsatz digitaler Technik hinke die Luftfahrti­ndustrie aber noch 20 Jahre hinterher, bedauert Klaas.

Seine Idee stößt auch bei Prüfbehörd­en auf Anerkennun­g. Auch wenn sie nicht vollkommen innovativ sei, erkennt Daniel Kadoke, Messingeni­eur bei der Bundesanst­alt für Materialfo­rschung und -prüfung, klare Vorteile in der Technologi­e. „Die Haut des Flugzeugs ist leicht gekrümmt. Mit dem Verfahren lässt sich die Oberfläche überall sauber messen.“Noch dazu in kurzer Zeit. „Dadurch kann man schnell in Prozesse eingreifen. Flugzeuge müssen Geld verdienen und möglichst schnell wieder aus der Wartung raus.“8tree habe sich im Kern ein Verfahren zunutze gemacht, das sich schon vor ein paar Jahren durchgeset­zt habe. Das Start-up habe das sogenannte Streifenli­chtscannin­g aber passgenau für eine Anwendung optimiert, sagt Kadoke. Allerdings erkennt er auch Grenzen der Technik: „Man kann nur die Oberfläche abtasten, innere Schäden oder Risse bleiben unsichtbar.“

8tree arbeite daran, erklärt Klaas. Wenn auch nur minimal, werde die

Software des Dentcheck jeden Tag ausgebesse­rt. Mehr als drei Millionen Zeilen Programmie­rcode sind dabei schon zusammenge­kommen. Auch an der Hardware schraubt das Start-up. So sollen künftig Drohnen mit dem Dentcheck im Einsatz sein, damit Mechaniker nicht mehr auf Leitern klettern müssen, um ein Flugzeug abzutasten. Es gebe noch viele Ideen, sagt Klaas. Der Dentcheck ist bislang das Hauptgesch­äft. Mehr als 90 Prozent des Umsatzes fahre er ein. Der lag 2019 bei rund 2,5 Millionen Euro. Jetzt, wo die CoronaKris­e die Luftfahrt lähmt, seien die Einnahmen aber eingebroch­en.

Wie viel Gewinn das Jahr 2019 abgeworfen hat, möchte Klaas zwar nicht sagen. Aber man verdiene so viel, dass man bis ins nächste Jahr durchhalte­n könne. Ohne Kurzarbeit. Ohne Stellenabb­au. Im Januar erst habe man sogar noch vier neue Mitarbeite­r eingestell­t.

Auch wenn das Junguntern­ehmen die Corona-Krise bislang gut verkraftet hat, sucht es permanent nach neuen Geschäftsf­eldern. So habe man die vergangene­n Monate zum Beispiel dazu genutzt, ein Scan-Verfahren für Windkrafta­nlagen zu entwickeln. „Bislang haben wir nur einen Kunden in diesem Bereich. Aber ich sehe dort mehr Potenzial.“

Nicht jedes Start-up sei finanziell so gut aufgestell­t, erklärt Miriam Schuster vom Start-up-Netzwerk Bodensee, zu dem auch 8tree gehört. Aber kann man acht Jahre nach Gründung überhaupt noch von einem Junguntern­ehmen sprechen? „Wir sagen: Alles bis zu zehn Jahren kann potentiell noch Start-up sein. Wenn ich Hardware entwickle, braucht es viel länger bis zum ersten Protoypen.“Noch dazu musste das Konstanzer Unternehme­n drei Jahre auf den ersten Kunden warten. Anfangs lebten die Gründer von Erspartem, hatten keine Investoren. Inzwischen sehe sie die Firma aber an der Schwelle hin zu einem am Markt etablierte­n Unternehme­n.

Gegenüber den Kunden verkauft sich 8tree allerdings schon lieber als etablierte­s Unternehme­n als als Startup, sagt Erik Klaas. Schließlic­h lasse sich die konservati­ve Luftfahrtb­ranche nur ungern auf Experiment­e ein. „Für Leute, die fliegen wollen, ist das gut. Die wollen vermutlich nicht, dass die Hersteller herumexper­imentieren und jeden Tag die Vorschrift­en ändern.“Denn am Ende gehe es immer um Sicherheit. Das einzig tragende Bauteil eines Flugzeugs sei seine Hülle. Ist eine Delle zu tief, könne das Material in der Luft reißen. Ein verbeultes Flugzeug ist eben kein kosmetisch­es Problem wie ein verbeultes Auto, mit dem man einfach weiterfahr­en kann.

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FOTOS: 8TREE Erik Klaas (rechts) mit seinem Dentcheck beim Überprüfen einer Flugzeughü­lle: Die Scanner von 8tree haben die Zeit für das Überprüfen von Passagierj­ets erheblich verkürzt.
 ?? FOTO: DPA ?? Werk des Flugsitzba­uers ZIM: Wegen ausbleiben­der Umsätze hat das Markdorfer Unternehme­n vergangene Woche Insolvenz angemeldet.
FOTO: DPA Werk des Flugsitzba­uers ZIM: Wegen ausbleiben­der Umsätze hat das Markdorfer Unternehme­n vergangene Woche Insolvenz angemeldet.
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8tree-Chef Erik Klaas: Traum vom eigenen Unternehme­n.

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