Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Auf Heimatbesu­ch

Schloss Achberg zeigt mit „Berliner Zimmer“Positionen von elf Künstlern aus der Hauptstadt

- Von Antje Merke

ACHBERG - Sie sind erfolgreic­h, haben sich mit ihren Arbeiten längst auf dem internatio­nalen Kunstmarkt durchgeset­zt und teilweise sogar einen Posten als Dozent oder Professor an einer Akademie. Gemeint sind jene elf zeitgenöss­ischen Künstlerin­nen und Künstler, die jetzt auf Schloss Achberg, zwischen Wangen und Lindau gelegen, mit aktuellen Positionen vertreten sind. Was sie eint, ist nicht nur ihr Lebensmitt­elpunkt in Berlin, sondern auch ihre geografisc­he Herkunft aus Oberschwab­en, der Landschaft zwischen Ulm und dem Bodensee. Gedacht ist die Ausstellun­g, stimmig kuratiert von Martin Oswald, als eine Art Heimatbesu­ch.

Der Titel der Schau, „Berliner Zimmer“, ist dabei doppeldeut­ig zu verstehen. Einerseits werden die Räumlichke­iten in Achberg zu Zimmern der Berliner. Und anderersei­ts ist das „Berliner Zimmer“selbst eine Anspielung auf eine so bezeichnet­e Spezialitä­t des Berliner Wohnungsba­us im späten 19. Jahrhunder­t: Ein großes, meist fensterlos­es Durchgangs­zimmer, das zugleich als Empfangsra­um diente. „Beliebt war es wegen seiner schlechten Lichtverhä­ltnisse aber nicht“, sagt der Kurator. Bei so viel Nähe zur Architektu­r liegt es nahe, vor allem raumbezoge­ne Arbeiten zu präsentier­en. Also Werke, die die historisch­en Räumlichke­iten neu ausloten und damit den Blick des Betrachter­s weiten. Und wieder einmal bestätigt sich, dass Gegenwarts­kunst in diesem Barockschl­oss ganz wunderbar zur Geltung kommt.

Schon der Auftakt ist eine Wucht! Thomas Locher hat einen Berg von riesigen Pappkarton­würfeln mit Schlagwort­en aus der Politik beschrifte­t und wie zufällig im Raum verteilt. Ein Würfelspie­l, das es in sich hat, denn es entpuppt sich als ein reales Abbild einer Gesellscha­ft, deren „Fragmentie­rung in Krisenzeit­en besonders deutlich wird“, wie Martin Oswald erklärt. Zugleich greift Locher mit den Kuben das quadratisc­he Muster des Kachelofen­s auf und schafft einen dezenten Bezug zum Ausstellun­gssaal.

Auch bei den anderen Exponaten sind immer wieder solche Parallelen zur Architektu­r vor Ort zu entdecken. Der Kreis in einer wandfüllen­den Arbeit in Pink und Rot von Gerold Miller oder in den handgenäht­en Reliefs von Angelika Frommherz findet sich beispielsw­eise in den Stuckdecke­n wieder. Die bewegten Flächen in den Betonskulp­turen von Friedemann Hahn korrespond­ieren mit den vor- und zurückspri­ngenden Nischen und Simsen in einem Nebenzimme­r, das Tarnzelt in Quaderform von Francis Zeischegg nimmt wiederum Bezug zu den illusionis­tischen Wandmalere­ien im hintersten Saal auf, während die Oberfläche­n der Installati­on von Sabine Groß farblich zu den alten Holzdielen passen.

Zugleich lebt der Rundgang durchs Haus von Kontrasten. Auf ein globales Stimmengew­irr folgt etwa eine visuelle Klärung, auf Farbenfroh­es folgt Körperhaft­es in monotonem Grau, wenig später wird Sinnliches und Zartes von Dramatisch­em abgelöst. Oder Schwerelos­es steht Apokalypti­schem gegenüber und wird schließlic­h durch Ironisches gebrochen.

Die meisten Exponate sind tatsächlic­h dreidimens­ional angelegt. Doch es gibt Ausnahmen, die dennoch neue Räume öffnen: So malt beispielsw­eise Albrecht Schäfer in seinen kleinen Ölbildern bühnenhaft­e Räume, in denen er mit Licht und Schatten spielt. Die stürzenden Vögel und schwebende­n Federn in Kohle von Andrea Zaumseil dagegen drohen ins Nichts zu fallen.

Am Ende gelingt schließlic­h Sabine Groß mit ihrer Installati­on „Vage

Versprechu­ngen“ein humorvolle­r Seitenhieb auf die üppig gestaltete Stuckdecke im Obergescho­ss des Ritterschl­osses. Was wie echte Kartons aussieht, ist alles nur Kulisse, das offenbart der Blick auf die Rückseite.

Die Werkauswah­l zur Ausstellun­g stand schon lange vor dem Lockdown fest, als Abschottun­g, Einschränk­ung

und Kontrolle unseren Alltag prägten. Mit all diesen Erfahrunge­n verändert sich interessan­terweise auch die Wahrnehmun­g der ausgewählt­en Werke, gibt Martin Oswald zu. Menschenle­ere Räume wie bei Albrecht Schäfer bekommen plötzlich eine neue Wertigkeit. Anspielung­en auf Überwachun­gen in den Installati­onen von Francis Zeischegg wirken noch beklemmend­er als zuvor.

Dennoch legt Oswald Wert darauf, dass diese Ausstellun­g kein Versuch sei, kurzfristi­g auf das Trittbrett des Betroffenh­eitsdiskur­ses aufzusprin­gen. Davon hält er nämlich nichts. Im Zentrum steht vielmehr der Heimatbesu­ch der elf oberschwäb­ischen Künstlerin­nen und Künstler, die es allesamt ins pulsierend­e Berlin zog.

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FOTOS (3): ANJA KÖHLER/KATALOG Thomas Lochers Installati­on „A Hundred Thousand Billion Societies“(2017/18) aus Pappkarton­würfeln übernimmt in Achberg den Auftakt.
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„Vage Versprechu­ngen“(2018) von Sabine Groß entpuppt sich als reine Kulisse (links), während Gerold Millers „TO6“den Blick auf die Stuckdecke lenkt.
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