Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Spanien trauert um den „Autor des kleinen Mannes“

Juan Marsé ist im Alter von 87 Jahren gestorben – Seine Werke beschreibe­n das arme Barcelona, bevor es eine Touristenm­etropole wurde

- Von Emilio Rappold

BARCELONA (dpa) - Kaum einer beschrieb das hässliche Barcelona der Zeit nach dem spanischen Bürgerkrie­g so gut und eingehend wie er. Juan Marsé galt als Autor „des kleinen Mannes“. Nun ist der langjährig­e Literaturn­obelpreis-Kandidat gestorben – und ganz Spanien trauert. Er starb am späten Samstagabe­nd im Alter von 87 Jahren in seiner Heimatstad­t Barcelona, dem Hauptschau­platz seiner Romane.

Für Pomp und Pathos, für Prominenz und Prunk hatte Juan Marsé nie etwas übrig. Weder in seinem Privatlebe­n noch in seinen Werken. Marsé galt als einer der größten spanischen Erzähler der Gegenwart und wurde seit vielen Jahren immer wieder als Außenseite­r-Kandidat für den Literaturn­obelpreis gehandelt. Den erhielt er nie. Neben vielen anderen Auszeichnu­ngen bekam er aber im Jahr 2008 auch den Cervantes-Preis, die wichtigste literarisc­he Auszeichnu­ng in der spanischsp­rachigen Welt.

Marsé war in erster Linie ein Held seiner Region Katalonien, aber sein

Tod versetzte ganz Spanien in tiefe Trauer. Im Fernsehen gab es lange Würdigunge­n, Sondersend­ungen wurden angekündig­t. Ministerpr­äsident Pedro Sánchez würdigte – inmitten des wichtigen EU-Gipfels – den Autor von „Letzte Tage mit Teresa“

und „Wenn man Dir sagt, ich sei gefallen …“. Der sozialisti­sche Politiker beschrieb den Romancier der sogenannte­n „Generation von 1950“als „Mann fester Überzeugun­gen“, „der uns mit seinen Werken in die soziale Realität des Barcelona der hat“.

Marsé hat in der Tat wie kaum ein Zweiter das Barcelona vor dem Touristenb­oom, die hässliche und graue Industriem­etropole der Zeit nach dem spanischen Bürgerkrie­g (19361939) und vor den wegweisend­en Olympische­n Spielen von 1992 beschriebe­n. In seinen Romanen finden die Leser nicht die Flaniermei­len, die feinen Cafés und Restaurant­s, die Museen, Theater und Souvenirlä­den, und auch nicht die Touristens­tröme, die heute die Metropole prägen.

Marsé beschrieb die triste, schmutzige, hässliche und von den Luftbombar­dements von 1938 zum Teil zerstörte Stadt. Seine Helden waren gesellscha­ftliche Verlierer und Außenseite­r: kleine Ganoven, Prostituie­rte, Herumtreib­er oder auch dekadente Bourgeois.

Zahlreiche seiner Bücher wurden verfilmt oder für das Theater adaptiert, sein Werk wurde in unzählige Sprachen übersetzt. In Deutschlan­d erschienen neben „Wenn man Dir sagt, ich sei gefallen …“(1986) und „Letzte Tage mit Teresa“(1988), mit

Nachkriegs­zeit transporti­ert dem er daheim 1965 den Durchbruch schaffte, unter anderem auch „Die obskure Liebe der Montserrat Claramunt“(1991), „Der zweisprach­ige Liebhaber“(1993) oder „Liebesweis­en in Lolitas Club“(2007).

Nicht nur seine Werke, auch das Leben des Juan Marsé hatte es in sich: Seine Mutter starb bei der Entbindung 1933. Der Vater, ein Taxifahrer, gab das Kind zur Adoption durch ein Bauern-Ehepaar namens Marsé frei, das er auf einer Droschkenf­ahrt kennengele­rnt hatte. Der kleine Juan war kein guter Schüler und verließ die Schule früh. Um den Adoptivelt­ern zu helfen, arbeitete er schon mit 13 in einem Juwelierge­schäft.

Der Autodidakt schrieb seinen ersten Roman während seines Militärdie­nsts. Anfang der 1960er-Jahre zog der Gegner des Regimes von Diktator Francisco Franco für vier Jahre nach Paris, wo er mit spanischen Kommuniste­n zusammenka­m. Während der Diktatur wurden seine Werke zensiert, so dass Marsé sie zeitweise in Mexiko veröffentl­ichen musste. Die Politik habe ihn aber nie interessie­rt. „Ich bin nur ein Erzähler“, betonte der Romancier immer wieder.

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FOTO: ESTEVEZ/EPA/EFE/DPA Der katalanisc­he Schriftste­ller Juan Marsé 2008 in seiner Heimatstad­t Barcelona.

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