Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Thomas Bach und der Sorgenfall Tokio

Die olympische Welt ringt mit der Ungewisshe­it – Mehrheit der Japaner gegen Austragung 2021

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LAUSANNE (dpa) - Thomas Bachs Griff nach einer zweiten Amtszeit ist für die olympische Welt noch lange nicht das Ende der Ungewisshe­it. Mit seiner erneuten Kandidatur als IOC-Präsident hat der 66-Jährige zwar Fakten geschaffen, die erhofften Antworten für den Sorgenfall Tokio aber bleibt sein Internatio­nales Olympische­s Komitee weiter schuldig – vor allem den Athleten. „In vielen Ländern weiß man ja noch nicht einmal, wie die Vorschrift­en für morgen sind, ob man eine Maske tragen muss oder nicht. Wie soll man da alle Details für das komplexest­e Ereignis der Welt in einem Jahr kennen?“, erklärte Bach die Notlage der Macher.

Die deutschen Athleten wüssten vom IOC-Chef allerdings gerne mehr. Womöglich ist die große Unwissenhe­it, wie es weitergeht, der Grund für ihre große Skepsis gegenüber der nicht sicheren Olympia-Eröffnung 2021. Dies zeigt eine nicht repräsenta­tive Umfrage, die in der in der ZDF-Sportrepor­tage gezeigten Dokumentat­ion „Spiele in Pandemie-Zeiten – das andere Olympia?“präsentier­t wurde. Demnach schätzt jeder zweite von 180 befragten der möglichen Olympia-Starter das Risiko einer endgültige­n Absage für hoch oder sehr hoch ein.

Dagegen hält die Münchner Virologin Ulrike Protzer die Tokio-Spiele im nächsten Sommer trotz der Corona-Krise für möglich, „aber nicht so, wie wir sie normalerwe­ise kennen“, betonte sie im ZDF. „Also nicht mit Massen von Menschen, nicht als eine große Showverans­taltung begleitet von kommerziel­len Interessen. Aber sie sind möglich als Sportveran­staltung.“Christophe Dubi, IOC-Geschäftsf­ührer für die Olympische­n Spiele, hofft sogar, das olympische Dorf für rund 11 000 Athleten in einem Jahr „im klassische­n Sinne aufbauen zu können“.

Vor dem alles anderen als sicheren Start der Tokio Spiele will sich der Tauberbisc­hofsheimer Bach im Frühjahr auf einem eigenen Wahlkongre­ss in Athen noch einmal für vier Jahre zum IOC-Chef küren lassen. Den Ringezirke­l hat er geschlosse­n hinter sich gebracht, wie die einstündig­en Lobpreisun­gen der IOCMitglie­der bei der Generalver­sammlung bewiesen. Nun aber ist Bach mehr denn je als Krisenmana­ger in der Pflicht und muss die Sehnsucht der Athleten nach Klarheit über die Austragung der bereits auf 2021 verlegten Sommerspie­le in Tokio stillen. „Für eine Wahlkampag­ne werden Sie nicht viel Zeit aufwenden müssen“, rief das dienstälte­ste IOC-Mitglied Richard Pound Bach zu. Stattdesse­n kann sich der IOC-Chef ganz seiner wohl schwersten Prüfung in einer an Tiefschläg­en und Krisen schon reichen Präsidents­chaft widmen. Der Skandal um das russische Staatsdopi­ng, die Affären um Korruption hochrangig­er Funktionär­e, der Verdacht gekaufter Olympia-Vergaben und die an Bürgerbefr­agungen gescheiter­ten Olympia-Bewerbunge­n – all das gerät durch die Folgen der Coronaviru­sPandemie in den Hintergrun­d. Doch die größte aller Fragen kann auch Bach derzeit nicht beantworte­n: Ist Olympia in Tokio als Mega-Spektakel und größte Geldmaschi­ne des IOC wirklich noch zu retten? Olympionik­en und Sportfans müssen sich wohl auf eine lange Geduldspro­be einstellen. Frühestens im Herbst wollen die Tokio-Organisato­ren konkretere Pläne vorlegen, wie Sommerspie­le aussehen könnten, wenn die Pandemie dann noch

Richard Pound nicht überwunden sein sollte.

Großen Rückhalt in der japanische­n Bevölkerun­g haben Olympische Spiele zumindest für 2021 derzeit nicht. Lediglich 23,9 Prozent der Befragten sagten in einer landesweit­en Umfrage der japanische­n Nachrichte­nagentur Kyodo, dass die Sommerspie­le in Tokio wie geplant im kommenden Jahr stattfinde­n sollten. Demnach gaben 36,4 Prozent an, dass die Spiele in Tokio nochmals verschoben werden sollten, 33,7 Prozent sprachen sich für eine Absage aus.

Angesichts steigender Infektions­zahlen in Japan und mit Blick auf die besorgnise­rregenden Fallzahlen in großen Sportnatio­nen wie den USA oder Brasilien und auch in Afrika ist derzeit kaum vorstellba­r, wie Olympia mit Athleten und Fans aus aller Welt im nächsten Jahr funktionie­ren soll. Zumal in den kommenden Monaten noch eine Vielzahl internatio­naler Qualifikat­ionswettkä­mpfe ausgetrage­n werden müsste.

Noch aber setzt das IOC alle Hoffnungen in einen Impfstoff und ein rechtzeiti­ges Ende der Corona-Krise. „Wir arbeiten an einer Lösung, die zum einen die Gesundheit aller Teilnehmer sicherstel­lt und zum anderen den olympische­n Geist widerspieg­elt“, sagte Bach. Was das heißt, welche Szenarien es konkret gibt, wann endgültige Entscheidu­ngen getroffen werden müssen? Das erklären weder das IOC noch die Organisato­ren in Japan. Eines aber ist sicher: Vor seiner erneuten Wahl ins Spitzenamt aber wird Bach kaum eine Olympia-Absage zulassen wollen. Der Fecht-Olympiasie­ger von 1976 wird deshalb nicht müde zu betonen: „Die Olympische­n Spiele können ein einzigarti­ger Meilenstei­n für die gesamte Welt sein.“Aber auch für ihn gilt ab sofort: Alles oder nichts.

„Für eine Wahlkampag­ne werden Sie nicht viel Zeit aufwenden müssen.“

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FOTO: BOTT/DPA Thomas Bach hat in seinem Amt derzeit genug Probleme zu lösen.

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