Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Varta elektrisiert
Der Batteriekonzern aus Ellwangen kündigt einen Leistungsschub für Lithium-Ionen-Zellen an
NÖRDLINGEN - Es ist eine Ansage, die Varta-Chef Herbert Schein am Montag im bayerischen Nördlingen macht: In den kommenden Jahren will das Unternehmen die Energiedichte seiner Lithium-Ionen-Batteriezellen um 50 Prozent steigern. Noch in diesem Jahr will der MdaxKonzern Zellen auf den Markt bringen, die um rund 30 Prozent leistungsfähiger sind, als das, was bisher Standard ist.
Produziert werden die kleinen Kraftpakete am Varta-Standort Nördlingen, gut 30 Kilometer vom Hauptsitz Ellwangen entfernt. Wegen der ungestümen Nachfrage baut der Konzern seine Produktion dort noch einmal deutlich aus: um 15 000 auf dann 60 000 Quadratmeter. „In Nördlingen entsteht die modernste Lithium-Ionen-Batteriezellenfabrik für den Wachstumsmarkt der Wearables. Sie ist einzigartig in der Welt“, sagt Schein ganz unbescheiden.
Schon im kommenden Jahr will Varta die Produktion in dem neuen Werk aufnehmen; mit einer neuartigen, hochautomatisierten Produktionstechnologie sollen dann jährlich 200 Millionen Batteriezellen – sogenannte Coins – von den Bändern rollen, 600 neue Arbeitsplätze entstehen.
Einsatz finden die Knopfzellen in Geräten, die direkt am Körper getragen werden (Wearables) – Fitnessuhren, Ohrhörer oder Brillen mit Displays. In diesem schnell wachsenden Segment reklamiert Varta bei der Batterietechnik die Markt- und Technologieführerschaft für sich. „Wenn Sie kabellos Musik hören oder kommunizieren, dann ist es mit großer Wahrscheinlichkeit eines unserer Produkte, das den Strom für die Geräte liefert“, erklärt Schein anlässlich der verspäteten Grundsteinlegung in Nördlingen im Beisein von Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU).
Bayern und der Bund fördern den Ausbau der Lithium-IonenTechnologie und die Forschung an dem Standort mit zusammen 102 Millionen Euro – 32 Millionen Euro davon kommen aus der Münchener Staatskanzlei. Weitere 200 Millionen Euro fließen an den Hauptsitz in Ellwangen, zur Verfügung gestellt vom Land Baden-Württemberg und vom Bund. Insgesamt erhält Varta bis Ende 2024 mehr als 300 Millionen Euro an Fördermitteln von Bund und Ländern.
Die Fördermittel in Ellwangen und Nördlingen seien „gut angelegtes Geld“, sagt Söder und kündigt an, die Batterietechnologie bei Varta weiter zu unterstützen. Man setze bei dieser Zukunftstechnologie auf das Zusammenspiel zwischen Varta, Bayern und Baden-Württemberg. Nicht verkneifen konnte sich der bayerische Ministerpräsident in diesem Zusammenhang einen Seitenhieb auf die Entscheidung von Bundesforschungsministerin Anja Karliczek (CDU), den Zuschlag für den Bau einer Batterieforschungsfabrik Münster zu geben. „Die Batterie ist im Süden zu Hause. In Münster gibt es keine Batteriekultur. Uns wäre es lieber gewesen, das alles hier in Bayern und Baden-Württemberg zu konzentrieren“, sagte Söder.
Konzernchef Schein zufolge ist die Lithium-Ionen-Technologie für die „nächsten zehn bis 15 Jahre“das Maß der Dinge – nicht nur für Knopfzellen, wie sie in Wearables eingesetzt werden, sondern auch für Batterien für Elektroautos, für Industrieroboter, für fahrerlose Transportsysteme und für Energiespeicher. Deshalb will Varta seine innovative Technologie im Bereich der Knopfzellen so bald wie möglich auch auf größere Formate übertragen. Diese sollen dann in Ellwangen vom Band laufen.
Ob damit der Einstieg ins Automotive-Geschäft folgt, ließ Schein auf Nachfrage offen. „Natürlich freuen wir uns, wenn Varta zusammen mit der Automobilindustrie an der Zukunft der Mobilität mitwirken darf“, sagt der Manager. Doch spruchreif sei noch nichts.
Maximilian Fichtner, stellvertretender Direktor am Helmholtz-Institut Ulm und Sprecher des Batterieclusters Polis, in dem alternative Speichersysteme erforscht werden, bestätigt Scheins Einschätzung. „Lithium-Ionen-Akkus gehören zu den ausgereiftesten und leistungsfähigsten Speichertechnologien“, sagt Fichtner. Doch für die Zukunft brauche es Alternativen. Denn in diesem Batterietyp werde nicht nur Lithium verbaut, das möglicherweise in 20 bis 30 Jahren zur Neige geht, sondern auch Kobalt, das bereits in einigen Jahren knapp werde. Hinzu kommt, dass Kobalt in Afrika unter teils katastrophalen Bedingungen abgebaut wird.
Varta selbst hat den Kobaltanteil in seinen Batteriezellen nach eigener Aussage bereits „radikal reduziert“. Auch die Rohstoffversorgung mit Lithium bereitet dem Konzern zurzeit kein Kopfzerbrechen. „Wir sehen aktuell keinen Lithium-Engpass für unsere Produktion“, sagt Schein, bestätigt aber, an Alternativen, den sogenannten Festkörperzellen, zu arbeiten.
Fichtner zufolge könnten Magnesiumund Natriumbatterien perspektivisch Lithium-Ionen-Zellen ablösen. Bei diesen Kandidaten sei die Forschung schon am weitesten fortgeschritten. Die beiden Elemente hätten ein hohes Potenzial für die Speicherung, seien verfügbar, umweltfreundlich und sicher.
Das ist zwar Zukunftsmusik – zumal die Lithium-Ionen-Technologie noch nicht ausgereizt ist. Doch die Batterie gilt als Zukunftstechnologie. Weder Deutschland noch Europa wollen den nächsten Technologiesprung der asiatischen Konkurrenz überlassen, die – mit Ausnahme von Varta – heute den Weltmarkt dominiert. Im Rahmen eines sogenannten „wichtigen Vorhabens von gemeinsamem europäischen Interesse“wird die Weiterentwicklung der Batterietechnologie daher mit üppigen Fördermitteln vorangetrieben. 300 Millionen Euro finden so bis Ende 2024 den Weg in die Konzernkassen von Varta. Zusätzlich investiert das Unternehmen massiv eigene Mittel in die Batterietechnologie. Und das dürfte nicht das Ende sein.