Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

„Die Stadt sieht für das kommende Jahr keine Steuererhö­hung vor“

Weingarten plant trotz massiver finanziell­er Einbußen durch Corona keine Mehrbelast­ungen für Bürger

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WEINGARTEN - Die Auswirkung­en der Corona-Krise sind auch für eine Stadtverwa­ltung massiv. Nachdem Oberbürger­meister Markus Ewald und Kämmerer Daniel Gallasch in der „Schwäbisch­en Zeitung“bereits über die Finanzen gesprochen haben, erzählen sie nun, welche Spuren das Virus um Rathaus hinterlass­en hat. Dabei geht es im Gespräch mit Oliver Linsenmaie­r um eine erste Zwischenbi­lanz, die größten Herausford­erungen und positiven Überraschu­ngen. Auch geben die beiden einen Einblick, wie es um den Einzelhand­el und die Gastronomi­e in der Innenstadt bestellt ist.

Wie geht es Ihnen?

Ewald: Ich bin sehr glücklich, dass wir in Deutschlan­d und speziell hier im Schussenta­l an Corona „vorbeigesc­hrammt“sind. Wenn wir nach Italien, Frankreich oder Spanien blicken, hatten wir hier in Deutschlan­d großes Glück. Auch was den etwas reduzierte­n Lockdown angeht. In Frankreich zum Beispiel durften die Menschen über Monate nicht aus dem Haus. In Baden-Württember­g hingegen waren die Maßnahmen nicht ganz so drastisch: Wir konnten im Wald spazieren gehen oder Fahrrad fahren. Dafür bin ich sehr dankbar. In Weingarten gab es bislang insgesamt „nur“28 Corona-Fälle. Im Verhältnis zu 26 000 Einwohnern ist das sehr wenig, gerade wenn man das mit Zahlen aus den umliegende­n Städten vergleicht.

Haben Sie eine Erklärung, warum Weingarten im Verhältnis zu den Einwohnern so viel weniger Fälle hatte?

Ewald: Das kann ich nicht beurteilen. Ich habe nur beobachtet, dass sich die Menschen in Weingarten überwiegen­d disziplini­ert an die jeweiligen Verordnung­en gehalten haben, die Kontakte reduziert und sich auch relativ schnell mit der Maske angefreund­et haben.

Wie fällt also Ihre erste Zwischenbi­lanz aus?

Ewald: Es ist – wie Sie richtig sagen eine Zwischenbi­lanz. Ich bin, neben dem bereits Gesagten, unter anderem sehr dankbar, dass wir auch im Rathaus bei 400 Mitarbeite­rn keinen einzigen Coronafall hatten. Aber das verdanken wir auch einer sehr guten Prävention­sarbeit. Wir haben gleich zu Beginn entspreche­nde Maßnahmen zum Schutz unserer Mitarbeite­r getroffen, wie Plexiglass­cheiben installier­t und die Arbeitszei­ten von 5 bis 23 Uhr ausgeweite­t, damit weniger Mitarbeite­r gleichzeit­ig in den Gebäuden sind. Dadurch konnten wir den Betrieb aufrechter­halten und unseren Auftrag gegenüber den Bürgerinne­n und Bürgern weiterhin erfüllen.

Was waren die größten Herausford­erungen?

Ewald: Die Verordnung­en aus Stuttgart kamen meist sehr kurzfristi­g und meistens am späten Freitagnac­hmittag. Deswegen mussten viele Mitarbeite­r am Wochenende argeholfen, beiten und die jeweiligen Inhalte der Verordnung­en kommunizie­ren beziehungs­weise umsetzen. Wir haben teilweise mehrere Verordnung­en am Tag aus verschiede­nen Ministerie­n bekommen, die dann auch noch widersprüc­hlich waren. Gerade bei den Themen Kindergart­en, Schulen, Spielplätz­e und Bäder waren unsere Mitarbeite­r gefragt. Auch die Notbetreuu­ng war eine Herausford­erung – sowohl für uns als auch für die Bürgerinne­n und Bürger. Da kamen viele Eltern an ihre Grenzen und baten darum, dass die Kinder wieder aufgenomme­n werden. Da wir die Gruppen nur zu 50 Prozent belegen durften, mussten wir manchen Eltern notgedrung­en absagen. Das stieß teilweise nur auf wenig Verständni­s.

Und das Überstunde­nkonto der städtische­n Mitarbeite­r ist nun voll?

Ewald: Nicht bei allen, aber bei vielen ja. Die Verwaltung­en insgesamt wurden sehr stark gefordert. Da haben unsere Mitarbeite­r sehr gute Arbeit geleistet.

Was hat Corona ausgelöst?

Ewald: Mich hat begeistert, wie wir mit dieser globalen Pandemie und ihren Konsequenz­en für unser tägliches Leben insgesamt umgegangen sind – und zwar im positiven Sinne. Ich war überrascht, wie kreativ die Menschen waren und welche Ideen entstanden sind. Gerade wenn ich an unseren Einzelhand­el denke. Da hat uns auch der digitale Welfenmark­t der gut angenommen wurde. Der Welfenmark­t hat sich mittlerwei­le zu einem kleinen Amazon für Weingarten entwickelt. Auch hat mich die Bereitscha­ft der Bürger, anderen zu helfen, stark beeindruck­t. Da würde ich mich freuen, wenn die vielen neuen Kontakte sich auch weiterhin intensivie­ren würden.

Was hat Sie positiv überrascht? Ewald: Die schnellen Soforthilf­en für die Unternehme­n waren exemplaris­ch gut. In Italien hat bislang noch niemand Geld vom Staat bekommen. Bei uns wurden die Hilfen sofort ausbezahlt. Da bewundere ich Deutschlan­d, wie wir innerhalb kürzester Zeit diese Herausford­erungen gemeistert haben, sodass die Menschen materiell nicht in große Nöte geraten sind. In Italien zum Beispiel wissen die Bürger bis heute nicht, wie sie ihre Einkäufe tätigen sollen.

Wie steht es denn um die Weingarten­er Innenstadt?

Gallasch: Aktuell ergibt sich ein recht uneinheitl­iches Bild. Händler und Gastronome­n mit Rücklagen und eigenen Räumlichke­iten überstehen solch eine Krise meist gut. Die anderen kämpfen teils ums Überleben. Daher achten wir hier als Stadt speziell darauf, dass wir mit den Steuern in der aktuellen Lage niemanden absichtlic­h belasten. Wir haben in den vergangene­n Tagen und Wochen viel auf unbürokrat­ischen Wegen gestundet.

Ewald: Und wir haben mit der Rabattieru­ng unserer Weingarten­Gutscheine

wertvolle Impulse gesetzt, damit die Bürgerinne­n und Bürger ihr Geld in Weingarten ausgeben. Denn wenn unsere Händler und Gastronome­n ihre Geschäfte aufgeben müssten, hätte dies fatale Folgen für unsere Innenstadt. Daher stehen wir alle zusammen in der Verantwort­ung, dies zu verhindern.

Gibt es konkrete Fälle, um die Sie sich sorgen?

Gallasch: Ich weiß nichts, und selbst wenn ich es wüsste, dürfte ich es Ihnen aus datenschut­zrechtlich­en Gründen nicht sagen.

Ewald: Mir ist auch nichts bekannt.

Wie geht es der Gastronomi­e? Gallasch: In der Gastronomi­e gibt es glückliche­rweise bisher keine Insolvenze­n zu verzeichne­n. Dagegen könnte es möglicherw­eise Insolvenze­n für klassische Ich-AGs geben, die schon vor der Krise auf teils wackeligen Beinen standen.

Blicken wir voraus. Worauf müssen sich die Bürger noch einstellen?

Ewald: Die Bürgerinne­n und Bürger müssen zum gegenwärti­gen Zeitpunkt

mit keinen zusätzlich­en finanziell­en Belastunge­n seitens der Stadt rechnen. Die Stadt sieht für das kommende Jahr keine Steuererhö­hung vor.

Was nehmen Sie aus dieser Zeit mit?

Ewald: Persönlich bedauert habe ich besonders die Absagen vom Blutritt, dem Welfenfest, unserem Stadtfest und vielen weiteren kleinen Veranstalt­ungen unserer örtlichen Vereine. Gerade diese soziokultu­rellen Elemente sind es, die unsere Stadtgemei­nschaft ausmachen. Umso mehr hoffe ich, dass wir diesen Veranstalt­ungen in Zukunft in unseren Köpfen noch mehr Stellenwer­t geben. Denn eine Stadt lebt von solchen gemeinscha­ftlichen Themen. Die durch Corona flächendec­kend eingesetzt­e Digitalisi­erung ist sicher ein Gewinn, auch für unsere Verwaltung. Wir konnten hier in der kurzen Zeit enorme Fortschrit­te machen und uns als Gesamtverw­altung, Arbeitgebe­r und Dienstleis­ter deutlich modernisie­ren. Ich kann aktuell noch gar nicht in der Gesamtheit beurteilen, was Corona auch an positiven Effekten ausgelöst hat. Ich hoffe, dass wir auch nach der Krise den Wert von echten sozialen Kontakten wieder mehr in den Mittelpunk­t stellen. Ich glaube, da wird sich etwas in unseren persönlich­en Einstellun­gen verändern. Wir sollten nicht zu den Mustern zurückkehr­en, an denen wir uns vor Corona orientiert haben. Da würden wir sicher manche Chancen vergeben.

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FOTO: STADT WEINGARTEN Weingarten­s Oberbürger­meister Markus Ewald ist zufrieden, wie die Stadt Weingarten die Corona-Krise bislang gemeistert hat.

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