Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Auf dem Weg in die Zweitklassigkeit
Nach desolaten Rennen hagelt es Kritik für Ferrari-Teamchef Binotto – auch von der Konkurrenz
BUDAPEST (SID) - Vielleicht ist Sebastian Vettel in diesen Tagen ganz froh, dass es bald vorbei ist. Am Ende der Saison „muss“er Ferrari verlassen, hieß es bislang stets – doch mit jeder desolaten Vorstellung der Scuderia wird deutlicher, dass die Wertung auch anders ausfallen kann: Vettel „darf“dieses Team verlassen, das wirkt wie ein sinkendes Schiff.
Und er wird wohl nicht der einzige prominente Abgang sein. Italiens Presse beschwor nach dem erniedrigenden Rennen in Ungarn schon das Stühlerücken herauf. „Wieder eine Demütigung für Ferrari – bald werden in Maranello Köpfe rollen“, urteilte die Gazzetta dello Sport, „nichts kann Ferrari in dieser Phase retten.“
Vettel holte mit Rang sechs noch das Maximum heraus, genau wie sein Teamkollege Charles Leclerc (als 11. ohne Punkte) wurde er vom herausragenden Sieger Lewis Hamilton im Mercedes überrundet. Tuttosport sieht Ferrari daher schon in der „Serie B der Formel 1“und geht ebenfalls von „einem Personalwechsel“aus, der Corriere della Sera sieht ein „katastrophales“rotes Auto und kommt zum selben Schluss: „In Maranello werden jetzt drastische Änderungen auf Management-Ebene erwartet.“
Massive Veränderungen fordert auch Luca di Montezemolo. Der langjährige Ferrari-Präsident sieht die Gefahr einer mehrjährigen Krise bei seinem Ex-Team. „Diese Saison ist verloren, doch ich bin auch für die nächsten Jahre besorgt. Das Ferrari-Management muss sofort mutige Beschlüsse ergreifen“, sagte der 72-Jährige, der von 1991 bis 2014 Ferraris Präsident war, bei Radio Rai.
In den Fokus rückt immer mehr Teamchef Mattia Binotto. „Die heutigen Probleme sind auf die Organisation zurückzuführen. Eine einzige Person trägt viel Verantwortung“, sagte Montezemolo. „Teamchef Mattia Binotto ist allein an der Spitze und muss sich auch um die Piloten kümmern. Die Organisation muss sofort geändert werden. Wenn das Auto nicht besser wird, wird das nächste Jahr für Ferrari noch schlimmer werden.“
Auch Binotto weiß, dass er die Scuderia möglichst schnell wieder in Spur bringen muss. „Das gesamte Autoprojekt muss überarbeitet werden“, sagte der 50-Jährige am Montag auf der Ferrari-Homepage. „Ich bin mir sehr wohl darüber im Klaren, dass es keinen Zauberstab in der Formel 1 gibt, aber wir müssen einen Gang hochschalten um die Kurve zu kriegen, sowohl kurz- als auch langfristig.“Dazu fügte Binotto an: „Es könnte notwendig sein, unsere Organisation zu überprüfen, um unsere Arbeitsmethoden dort zu verbessern, wo der Bedarf am größten ist.“
Für den Teamchef wäre wohl nur eine schnelle Verbesserung die Rettung. Mittlerweile scheint fraglich, ob Binotto nicht sogar schon vor Vettel das Feld räumen muss – ob er diese Saison übersteht. Denn auf der einen Seite ist da ja diese sportliche Krise, Vettel machte mit einem einfachen Satz das ganze Ausmaß deutlich: „Uns war vor dem Rennen klar, dass wir überrundet werden.“Denn diese deutliche Niederlage war nicht Ergebnis eines unglücklichen Rennverlaufs, sondern simple Mathematik: Mercedes ist so viel schneller als Ferrari, dass die Überrundung kaum zu vermeiden war.
Mindestens genau so schwer wiegt aber, wie diese Krise zustande kam und auch, wie sie moderiert wird. Ferrari war im vergangenen Sommer plötzlich beängstigend schnell und zwar genau so lange, bis der Weltverband FIA einige Schlupflöcher im Reglement mit Klarstellungen stopfte. Seither ist der Motor nicht mehr konkurrenzfähig. Nicht nur die Gegner gehen daher davon aus, dass Ferrari die Prüfsensoren austrickste und dem Motor dadurch zeitweise mehr Benzin zuführte als erlaubt. Offiziell bewiesen wurde das nie – doch es scheint, als habe Maranello bewusst die Regeln umgangen und steckt ohne diesen Vorteil nun in der Sackgasse. Die Scuderia, vor allem Binotto, gibt sich angesichts der erdrückenden Faktenlage allerdings wenig demütig.
Mercedes-Motorsportchef Toto Wolff reagierte am Wochenende gereizt. Binottos Einlassungen seien „eine weitere komplette Bullshit-Geschichte“, sagte der Österreicher, „es gibt ja ein klares Motorenreglement. Natürlich gab es Klarstellungen, die waren auch wichtig, aber sie waren in keiner Weise überraschend. Denn wenn man sich an die Regeln gehalten hat, dann war das alles sowieso klar.“
Fünf Monate noch, dann wird Vettel ein Team verlassen, das auf der Strecke zu langsam ist, und neben der Strecke nicht mehr integer wirkt. Ferrari tut wirklich alles, um ihm den Abschied nicht zu schwer zu machen.