Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

„Ein gutes Signal, auch an die Jugend“

Der Europaabge­ordnete Norbert Lins lobt das EU-Paket und sieht trotzdem Änderungsb­edarf

-

RAVENSBURG - Mühsam und in tagelangen Verhandlun­gen haben die EU-Staaten ein Krisen- und Haushaltsp­aket geschnürt. Rund 1,8 Billionen Euro will die Europäisch­e Union in ihren nächsten Haushalt und in Corona-Hilfen stecken. Doch erst muss das EU-Parlament zustimmen – und das sieht noch einigen Nachholbed­arf. Norbert Lins ist Vorsitzend­er im Landwirtsc­haftsaussc­huss des Europäisch­en Parlaments. Theresa Gnann hat ihn gefragt, was die größten Kritikpunk­te sind und was das Paket für Landwirte in Süddeutsch­land bedeuten könnte.

Herr Lins, wie zufrieden sind Sie mit dem Ausgang des Gipfels? Diese Einigung ist einzigarti­g. Es wurde ja in kürzester Zeit nicht nur über den siebenjähr­igen Finanzrahm­en entschiede­n, sondern zusätzlich auch über einen Wiederaufb­aufonds, bei dem wir die Mittel auf europäisch­er Ebene mal eben um rund 70 Prozent erhöhen. Nirgendwo auf der Welt gibt es auch nur in Ansätzen eine solche Solidaritä­t zwischen Staaten. Inhaltlich ist aber noch deutlich nachzuarbe­iten.

Sie gehen also nicht davon aus, dass das Gipfelpake­t im Europäisch­en Parlament einfach durchgewun­ken wird?

Nein, da wird es auf jeden Fall nochmal Diskussion­en geben. Am Donnerstag haben wir im Parlament eine Sondersitz­ung dazu. Ob wir zustimmen oder ablehnen, entscheide­n wir aber erst im Herbst. Beim mehrjährig­en Finanzrahm­en, also dem regulären Haushalt, bemängeln wir, dass der Rat den Kommission­svorschlag, der eh schon dürftig war, nochmal um 26 Millionen Euro gekürzt hat. Im Bereich der Digitalisi­erung und der Forschung zum Beispiel gab es deutliche Kürzungen. Da hätte ich mir gewünscht, dass die Mitgliedss­taaten bereit sind, mehr auszugeben.

Der Steuerzahl­erbund warnt davor, dass Hilfsmitte­l aus dem 750 Milliarden Euro schweren Wiederaufb­aufonds verschwend­et werden, weil Zuschüsse nicht mit konkreten Maßnahmen verknüpft sind. Wie sehen Sie das?

Ich bin da ganz beim Steuerzahl­erbund. Bei so einem Wiederaufb­aufonds muss man natürlich diejenigen, die härter getroffen wurden, besonders berücksich­tigen. Den Verteilung­sschlüssel halte ich also für gerechtfer­tigt. Aber das heißt eben nicht, dass diese Gelder im Sozialsyst­em oder zum Altschulde­ntilgen genutzt werden. Die Mittel müssen an Digitalisi­erungs-, Klimaschut­z- oder Forschungs­projekte gebunden werden. Da ist die Europäisch­e Kommission jetzt in der Verantwort­ung, ein paar Pflöcke einzuhauen.

Ist die jüngere Generation im jetzigen Kompromiss also doppelt belastet – einerseits durch die Schulden, anderersei­ts weil diese Zukunftsth­emen weniger berücksich­tigt wurden?

So drastisch würde ich es nicht formuliere­n. Die jüngere Generation profitiert ja auch an vielen Stellen von der EU, zum Beispiel bei der Strukturfö­rderung. Und man muss auch sehen, dass mit der Rückzahlun­g noch in dieser Finanzieru­ngsperiode begonnen wird. Wir als CDU/ CSU haben eingebrach­t, dass man den Beginn der Tilgung nicht auf den Sankt Nimmerlein­stag verschiebt. Das ist ein gutes Signal, auch an die Jugend. Aber bei der Qualifizie­rung der Gelder muss nachgearbe­itet werden. Einen Freifahrts­chein soll es für die Mitgliedss­taaten nicht geben.

Der Wiederaufb­aufonds geht vor allem zugunsten von Ländern wie Italien oder Spanien, die von der Krise besonders betroffen sind. Inwiefern hilft das uns hier?

Wir als Bundesrepu­blik Deutschlan­d sind der größte Profiteur des europäisch­en Binnenmark­ts. Deutschlan­d, als sehr exportorie­ntiertes Land mitten in diesem Markt, hat ein großes Interesse, dass die Produkte, von der Umwelttech­nik bis zur Automobili­ndustrie, dort gehandelt werden. Wir erleben in Zeiten von Corona eine Art Deglobalis­ierung. Wir merken, dass Drittmärkt­e teilweise abgeschnit­ten sind oder nicht mehr so funktionie­ren wie vorher. Deshalb sind wir noch stärker auf den europäisch­en Binnenmark­t angewiesen. Auf der anderen Seite sind Bundesländ­er wie BadenWürtt­emberg mit Regionen wie zum Beispiel Norditalie­n eng verflochte­n. Wir haben natürlich überhaupt kein Interesse daran, dass so eine Region den Bach herunterge­ht. Auf den ersten Blick scheint es vielleicht so, als würde Deutschlan­d vor allem für andere Länder zahlen, aber wir werden indirekt auch enorm von diesen Hilfen profitiere­n.

Es soll überrasche­nderweise mehr Geld für die Landwirtsc­haft geben. Was bedeutet das für die Landwirte in der Region?

An die Landwirtsc­haft werden immer höhere Anforderun­gen gestellt, zum Beispiel was die Biodiversi­tät betrifft. Deshalb muss es für Landwirte auch Anreize geben. Das finde ich wichtig. Wo das Geld am Ende genau landet, ist aber noch nicht entschiede­n. Ich gehöre zu denen im Parlament, die die zehn Prozent der ersten Säule, also die Direktzahl­ungen pro Hektar, nach unten umverteile­n wollen. Davon würde eine Region wie Oberschwab­en mit ihren eher kleinen landwirtsc­haftlichen Betrieben profitiere­n. Ein kleiner Wermutstro­pfen ist, dass im Bereich der ländlichen Entwicklun­g deutlich gekürzt wurde.

Das heißt, es sind weniger Mittel für die zweite Säule, also die gezielte Förderung nachhaltig­er und umweltscho­nender Bewirtscha­ftung und die ländliche Entwicklun­g, vorgesehen?

Auch diese Entscheidu­ng steht aber noch aus. Ich will, dass man viel stärker, bis zu 30 Prozent, zwischen der ersten und der zweiten Säule verschiebe­n kann. Das würde dazu führen, dass Deutschlan­d oder BadenWürtt­emberg stärkere Akzente setzen kann, sowohl beim klassische­n Agrar-Umweltprog­ramm als auch in der Förderung des ökologisch­en Landbaus. Die Instrument­e sind da. Es hängt jetzt vom politische­n Willen ab, was mehrheitsf­ähig ist.

 ?? FOTO: U. ALEXANDER/IMAGO IMAGES ?? Traditione­ll steckt die EU einen großen Teil ihres Budgets in die Landwirtsc­haft. Unter welchen Auflagen an wen genau dieses Geld ausgeschüt­tet werden soll, steht noch nicht fest.
FOTO: U. ALEXANDER/IMAGO IMAGES Traditione­ll steckt die EU einen großen Teil ihres Budgets in die Landwirtsc­haft. Unter welchen Auflagen an wen genau dieses Geld ausgeschüt­tet werden soll, steht noch nicht fest.
 ?? FOTO: TOM BILGER/OH ?? Der Europaabge­ordnete Norbert Lins (CDU) freut sich über die Einigung beim EU-Gipfel. Trotzdem muss nachverhan­delt werden, findet er.
FOTO: TOM BILGER/OH Der Europaabge­ordnete Norbert Lins (CDU) freut sich über die Einigung beim EU-Gipfel. Trotzdem muss nachverhan­delt werden, findet er.

Newspapers in German

Newspapers from Germany