Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Jedes fünfte Kind ist arm

Laut Studie leiden Heranwachs­ende besonders unter der Corona-Krise – Sozialverb­ände kritisiere­n Regierung

- Von Michael Gabel und Dieter Keller

BERLIN – Die Corona-Krise verschlech­tert vor allem die Situation ärmerer Kinder. Zu diesem Ergebnis kommt die Bertelsman­n-Stiftung in einer am Mittwoch veröffentl­ichten Studie.

Wie viele Kinder in Deutschlan­d sind von Armut bedroht?

Laut Berechnung­en der Studienaut­oren sind es 2,8 Millionen Kinder und Jugendlich­e (21,3 Prozent). Die Zahlen seien „seit Jahren gleichblei­bend hoch“, heißt es. Als armutsgefä­hrdet gelten Kinder, die in einem Haushalt leben, dessen Einkommen weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens aller Haushalt beträgt.

Inwiefern leiden ärmere Kinder besonders unter den Corona-Maßnahmen?

Zum einen rechnen die Autoren der Studie damit, dass infolge von Entlassung­en und Kurzarbeit mehr Familien Hartz-IV-Leistungen beantragen müssen. Zum anderen fielen Hilfsangeb­ote wie die kostenlose Verpflegun­g in Schulen oder Kitas weg. Hinzu kämen besondere Belastunge­n für ärmere Familien wie nicht vorhandene Lernplätze in der Wohnung oder das Fehlen eines Laptops.

Wie lässt sich die Situation verbessern?

Das Bundesbild­ungsminist­erium hat ein 500-Millionen-Euro-Programm ins Leben gerufen, um bedürftige Familien bei der Anschaffun­g von Laptops und Tablets zu unterstütz­en. Aus dem Bundesarbe­itsministe­rium heißt es, die Hartz-IV-Regelsätze würden wohl zum 1. Januar 2021 erhöht. Für Jugendlich­e zwischen 14 und 17 Jahren soll es 39 Euro mehr, also 367 Euro im Monat, geben. Für Kinder unter sechs Jahren soll der Zuschlag um 28 auf 278 Euro angehoben werden. Dagegen sollen die 308 Euro, die es für Kinder von 6 bis 13 Jahren gibt, unveränder­t bleiben. Hintergrun­d: 2021 ist, wie alle fünf Jahre, eine Neuberechn­ung aller Sätze fällig. Dafür werden die tatsächlic­hen Ausgaben von Geringverd­ienern aufwändig erfasst. Die Sätze könnten etwas höher ausfallen, weil Ende August noch die aktuelle Lohn- und Preisentwi­cklung berücksich­tigt wird. Der Satz für alleinsteh­ende Erwachsene soll um sieben auf 439 Euro erhöht werden, für Paare um sechs auf 395 Euro pro Person. Zu diesen Beträgen kommen noch die Kosten für Miete und Heizung je nach dem Preisnivea­u des Wohnorts hinzu.

Reichen die Maßnahmen aus? Sozialverb­ände und Opposition­sparteien im Bundestag bestreiten das. Sie fordern eine umfassende Reform, die ärmeren Familien zielgerich­teter helfen soll. Maria Loheide, Vorstandsm­itglied der Diakonie, favorisier­t eine einheitlic­he finanziell­e Kinder-Grundförde­rung. Das Nebeneinan­der aus Kindergeld, Kinderfrei­betrag, Kinderzusc­hlag sowie Bildungs- und Teilhabepa­ket sei zu komplizier­t und überdies ungerecht.

Wie groß ist das Problem in Süddeutsch­land ?

Die bundesweit niedrigste­n Zahlen haben Bayern (6,3 Prozent) und Baden-Württember­g (8,1 Prozent). Besonders hoch sind die SGB II-Quoten von Kindern und Jugendlich­en in den beiden Stadtstaat­en Bremen und Berlin, heißt es in der Studie. Große Unterschie­de gibt es in Baden-Württember­g zwischen einzelnen Kreisen. Besonders in den Städten ist die Kinderarmu­t hoch. In Mannheim ist sie mit 19,8 Prozent am höchsten. Am niedrigste­n ist die Rate im Hohenlohek­reis mit 3,4 Prozent.

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