Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Der mühsame Weg zur sauberen Lieferkette
Die Grünen fordern Sorgfaltspflichten auch für kleine Betriebe, das geht selbst Vorzeige-Unternehmen zu weit
RAVENSBURG - Mit 400 Mitarbeitern beschäftigt Ritter Sport ein Viertel seiner Belegschaft allein in Nicaragua. Sie schauen auf den Kakaoplantagen nach dem Rechten. Dabei sorgt sich der baden-württembergische Schokoladenhersteller um Umweltstandards und um die Frage: Wie geht es den Menschen auf den Plantagen? Das Engagement ist freiwillig. Die Bundesregierung möchte Unternehmen künftig aber dazu verpflichten, Lieferketten menschenrechtskonform und umweltfreundlich zu gestalten. Und zwar ab einer Größe von 500 Mitarbeitern. Während von Industrie- und Handelsverbänden Kritik kommt, greift der Opposition der Vorschlag noch zu kurz: Langfristig müsse man die gesamte Wirtschaft in das Gesetz miteinbeziehen, sagte Grünen-Chef Robert Habeck am Mittwoch. Also auch kleine und kleinste Unternehmen. Für Ritter Sport ein ideales, aber zu hoch gesetztes Ziel.
Zumindest für den Anfang. „Gerade sorgt sich sogar der Elektriker, ob er noch seinen Kupferdraht beziehen kann. Ich will niemanden von seiner Pflicht entbinden, aber man muss realistisch bleiben. Größere Unternehmen haben einfach mehr Ressourcen“, sagt Ritter-Sport-Sprecherin Petra Fix der „Schwäbischen Zeitung“. Das Unternehmen aus Waldenbuch bei Stuttgart zahle jedes Jahr mindestens elf Millionen Euro extra, um Kakaobohnen nachhaltig beziehen zu können. Das Geld fließt zum Beispiel in die Kontrolle, aber auch die Schulung der Landwirte: „Wir wollen den Bauern nachhaltiges Wirtschaften deutlich machen. Liefern sie bessere Qualität, können sie höhere Preise verlangen.“Dazu sei viel Vertrauensarbeit nötig, sagt Fix. Der Schokoladenhersteller kooperiert seit inzwischen 30 Jahren direkt vor Ort mit den Landwirten. Und man sei noch lange nicht perfekt. Beim Palmöl zum Beispiel ließe man in Monokultur produzieren, weniger umweltverträglich. Daher müsse ein Lieferkettengesetz Ziele schrittweise ausweiten und Übergangsfristen einräumen.
Über den gesetzlichen Rahmen ist noch nicht entschieden. Die Bundesregierung hat angekündigt, die Wirtschaft bei der Ausarbeitung miteinzubeziehen. Aber schon vor möglichen Gesprächen erteilt der BadenWürttembergische Handelsverband einem nationalen deutschen Sorgfaltspflichtengesetz eine Absage, erklärt Hauptgeschäftsführerin Sabine Hagmann auf Anfrage der „Schwäbischen Zeitung“. Statt Gesetzen baue man auf Kooperation. Die Textilindustrie lege Wert auf eine verantwortungsvoll gestaltete Wertschöpfungskette und Nachhaltigkeit. Aber das Gesetz „würde Unternehmen dafür haftbar machen, dass Lieferanten im Ausland soziale und ökologische Mindeststandards einhalten.“Außerdem entstünden Textilhändlern Wettbewerbsnachteile. Die Folgen seien höhere Kosten und Rechtsunsicherheiten.
„Die Unternehmen dürfen nicht als Ersatzpolizei für die Einhaltung von Recht und Gesetz in den Produktionsländern herhalten. Das überfordert die Unternehmen“, erklärt Hagmann.
Tatsächlich sei es manchmal gar nicht so einfach, jedes Produktionsdetail zu erfassen. Zum Beispiel, wenn Prozesse und Materialien nicht digital erfasst würden, erklärt Benedikt Tröster, Sprecher des OutdoorAusrüsters Vaude. Gerade bei Kleidungsstücken seien die Lieferketten komplex. „Da sind viele Komponenten verbaut. Es ist nicht immer transparent, wo Knöpfe, Kordeln oder Reißverschlüsse herkommen.“Dabei bemüht sich das Unternehmen, möglichst alle Schritte in der Lieferkette nachzuvollziehen. Seit 2012 lässt Vaude seine Produktionsstätten von der unabhängigen Fair-Wear-Foundation regelmäßig überprüfen. 184 Verstöße gegen Arbeitssicherheit, gerechte Löhne oder geregelte Arbeitszeiten zählten die Kontrolleure 2018 in den chinesischen und vietnamesischen Nähfabriken von Vaude. Auf den anderen Stufen der Wertschöpfung, etwa auf Baumwollplantagen, kontrolliere ein Team des Unternehmens selbst die Arbeitsbedingungen oder setze auf Partner.
Der Verband der Textilhersteller in Baden-Württemberg, Südwesttextil,
erklärt, dass die Unternehmen der deutschen Textil- und Bekleidungsindustrie schon jetzt weltweit nach höchsten Umwelt- und Sozialstandards arbeiteten. Der gesamte Vorstand könne die Motivation hinter einem Lieferkettengesetz nachvollziehen, heißt es auf Anfrage. Man wolle mehr Transparenz, bekenne sich seit 2010 zu den Selbstverpflichtungen im „Code of Conduct“, der Themen wie Menschenrechte, Arbeitsnormen, Umweltschutz und Korruptionsbekämpfung umfasse. Ein verpflichtendes Lieferkettengesetz will der Verband trotzdem nicht mittragen. Mittelständler fürchteten einen erheblichen bürokratischen Aufwand. Dieser wiege umso schwerer, je kleiner ein Unternehmen ist. Außerdem wehre man sich dagegen, „dass deutsche Hersteller für das Fehlverhalten selbst unbekannter Beteiligter hier in Deutschland haften sollen und verklagt werden können, selbst wenn man über mehrere Stufen in keinem direkten Geschäftsverhältnis steht.“Noch dazu würden die Regeln nur für deutsche Unternehmen gelten, nicht für ausländische Modehandelsketten.
Eben weil die rechtliche Lage überall anders sei, helfe kein nationaler Alleingang bei einem Lieferkettengesetz. „Effektiver ist, bestehende Berichtspflichten auf europäischer Ebene weiterzuentwickeln. Eine europaweite Regelung würde auch ein europäisches Level-Playing-Field – also gleiche Wettbewerbungsbedingungen – schaffen. Dies ist eine Aufgabe für die deutsche EU-Ratspräsidentschaft“, erklärt auch Joachim Lang, der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), auf Anfrage der „Schwäbischen Zeitung“. Er schlägt vor, einen Ombudsmann bei der Bundesregierung zu installieren, damit alle – Unternehmen, Verbände, aber auch NGOs – ihre Erfahrungen an die Politik weiterleiten können. Diese Dialogbereitschaft des BDI teilt auch Südwesttextil. Die öffentliche Debatte lasse wenig Raum, politisch nichts zu tun.
Für den Textilverband ist eine gesetzlich Regelung eher Belastung als Chance. Bei Ritter Sport sieht man das anders. „Wenn die Kakaobäume veralten, nicht nachhaltig gewirtschaftet wird, bluten wir letztlich auch irgendwann aus“, sagt RitterSport-Sprecherin Fix. Verantwortung als Geschäftsgrundlage.