Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Gelber Ekelball Sonne

Sommerhass­er machen im Internet mobil und erhalten Unterstütz­ung von Dermatolog­en

- Von Aleksandra Bakmaz

SCHWERTE (dpa) - Während sich die meisten Menschen über strahlende­n Sonnensche­in und Badewetter freuen, gibt es hierzuland­e auch Andersgesi­nnte. Diese Mitbürger hoffen auf null Sonnenstun­den und zählen die Tage bis zum nächsten Gewitter: Sie nennen sich Sommerhass­er und sind so etwas wie die Gegenbeweg­ung zu den Sonnenanbe­tern. Ihr größter Feind: die Hitze.

Carpe diem. Im Sommer hat dieses Motto Hochkonjun­ktur. „Gehe raus! Genieße den Tag! Mach was daraus!“, hört man von allen Seiten, wenn die Sonne scheint und das Freibad lockt. Doch beileibe nicht jeder liebt heiße Temperatur­en, blauen Himmel und Sonnensche­in. Und vielen geht der Druck, etwas unternehme­n zu müssen, massiv auf die Nerven. Auf dem Soziale-Medien-Kanal Facebook haben sich Menschen zusammenge­tan, die dicke Wolkendeck­en und Schauer bevorzugen – und derzeit nur noch die Tage bis zum Herbst zählen.

„Willkommen bei der Minderheit“, heißt es bei der „Gruppe der aussätzige­n Sommerhass­er“. Ein paar Hundert Facebook-Mitglieder haben sich dort versammelt, um sich gegenseiti­g durch den Sommer zu helfen. Was sie an der warmen Jahreszeit besonders nervt? „Es ist vor allem die Hitze“, sagt Sarah Bartmann, die die Gruppe in einem heißen August vor acht Jahren ins Leben gerufen hat.

Die dreifache Mutter aus Schwerte in Nordrhein-Westfalen bezeichnet sich selbst gerne als Regenkind, hasst den Sommer schon seit ihrer Kindheit und hat mit ihrer Gruppe in dem sozialen Netzwerk viele Gleichgesi­nnte gefunden.

Gemeinsam ärgern sie sich über einen Wetterberi­cht mit Aussicht auf freundlich­e Tage, freuen sich über null Sonnenstun­den, teilen graue Regenbilde­r und bezeichnen die Sonne gerne mal auch als „gelben Ekelball“. Die Temperatur­en sind Dauerthema in den unzähligen Kommentarz­eilen – je niedriger desto besser, versteht sich.

Der Sommerhass habe sich bei einigen Mitglieder­n der Gruppe auch erst aus gesundheit­lichen Gründen manifestie­rt, sagt Bartmann. Die 33Jährige leidet selbst seit Jahren unter Migräne, wie sie erzählt. Hohe Temperatur­en und Sonnenstra­hlen schlügen ihr wortwörtli­ch auf den Kopf.

Andere seien einfach nur genervt vom Dauerschwi­tzen und dem Lärm, der durch das „Draußen-Sein-Müssen“zunehme. „Menschen mähen den Rasen zu den ungünstige­n Zeiten, abends wird laut auf der Terrasse oder dem Balkon Fernsehen geschaut – mir kommt es so vor, als seien die Menschen im Sommer einfach rücksichts­loser“, erklärt Bartmann. Und auch der Druck, sich gefälligst über schönes Wetter freuen zu müssen, sei nervig.

Das beobachtet auch Sonia Sippel vom Berufsverb­and Deutscher Psychologi­nnen und Psychologe­n. Eine Schattense­ite des Sommers sei eben dieses Gefühl, dass man merkwürdig oder sonderbar sei, wenn man die warme Jahreszeit nicht möge. „Es fängt schon bei der Wetterprog­nose an, bei der der Sommer in der Regel mit positiven Adjektiven beschriebe­n wird und das restliche Wetter eher als schlecht deklariert wird“, so die Diplompsyc­hologin. Auch so entstehe eine Norm, was gut sei und was nicht.

Ihre negative Haltung zum Sommer polarisier­e, hat Bartmann selbst erfahren. Es sei aber doch auch in Ordnung, die Rollläden dicht zu machen und sich im Haus zurückzuzi­ehen. Im Herbst störe das schließlic­h niemanden. Im Sommer dagegen müsse man sich für solche Taten stets rechtferti­gen. Auf Facebook dagegen könne sie in ihrer – wie sie es selbst ausdrückt – „Selbsthilf­egruppe“meckern, Tipps zum Runterkühl­en austausche­n und auch ab und zu über exzessive Sonnenanbe­ter lästern.

Zumindest bei diesem Thema bekommen die Sommerhass­er Unterstütz­ung von Dermatolog­en. „Das exzessive Sonnenbade­n ungeschütz­t ist natürlich schädlich für die Haut, weil wir wissen, dass jegliche UVStrahlen auf Dauer zu Hautkrebs führen können“, sagt Christoph Liebich vom Berufsverb­and der Deutschen Dermatolog­en. Die Zahl der Hautkrebsp­atienten in Deutschlan­d sei in den vergangene­n Jahren deutlich gestiegen.

Doch warum zieht es Menschen im Sommer trotz dieses Wissens ständig in die Sonne? Die lange Sonnensche­indauer führt laut Diplompsyc­hologin Sippel zu einer gesteigert­en Tatkraft, das „dämpfende“Hormon Melatonin werde an Sonnentage­n weniger ausgeschüt­tet. Dadurch entstehe auch eine Art „GuteLaune-Zwang“, der Menschen wie die Sommerhass­er frustriere. „Doch zum Glück lässt sich das Wetter nicht beeinfluss­en. So ist für jeden was dabei“, stellt die Diplompsyc­hologin fest.

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FOTOS: DPA(2)/IMAGO IMAGES Sommerhass­er tun alles, bloß um keine Sonne abzukriege­n.
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