Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Gelber Ekelball Sonne
Sommerhasser machen im Internet mobil und erhalten Unterstützung von Dermatologen
SCHWERTE (dpa) - Während sich die meisten Menschen über strahlenden Sonnenschein und Badewetter freuen, gibt es hierzulande auch Andersgesinnte. Diese Mitbürger hoffen auf null Sonnenstunden und zählen die Tage bis zum nächsten Gewitter: Sie nennen sich Sommerhasser und sind so etwas wie die Gegenbewegung zu den Sonnenanbetern. Ihr größter Feind: die Hitze.
Carpe diem. Im Sommer hat dieses Motto Hochkonjunktur. „Gehe raus! Genieße den Tag! Mach was daraus!“, hört man von allen Seiten, wenn die Sonne scheint und das Freibad lockt. Doch beileibe nicht jeder liebt heiße Temperaturen, blauen Himmel und Sonnenschein. Und vielen geht der Druck, etwas unternehmen zu müssen, massiv auf die Nerven. Auf dem Soziale-Medien-Kanal Facebook haben sich Menschen zusammengetan, die dicke Wolkendecken und Schauer bevorzugen – und derzeit nur noch die Tage bis zum Herbst zählen.
„Willkommen bei der Minderheit“, heißt es bei der „Gruppe der aussätzigen Sommerhasser“. Ein paar Hundert Facebook-Mitglieder haben sich dort versammelt, um sich gegenseitig durch den Sommer zu helfen. Was sie an der warmen Jahreszeit besonders nervt? „Es ist vor allem die Hitze“, sagt Sarah Bartmann, die die Gruppe in einem heißen August vor acht Jahren ins Leben gerufen hat.
Die dreifache Mutter aus Schwerte in Nordrhein-Westfalen bezeichnet sich selbst gerne als Regenkind, hasst den Sommer schon seit ihrer Kindheit und hat mit ihrer Gruppe in dem sozialen Netzwerk viele Gleichgesinnte gefunden.
Gemeinsam ärgern sie sich über einen Wetterbericht mit Aussicht auf freundliche Tage, freuen sich über null Sonnenstunden, teilen graue Regenbilder und bezeichnen die Sonne gerne mal auch als „gelben Ekelball“. Die Temperaturen sind Dauerthema in den unzähligen Kommentarzeilen – je niedriger desto besser, versteht sich.
Der Sommerhass habe sich bei einigen Mitgliedern der Gruppe auch erst aus gesundheitlichen Gründen manifestiert, sagt Bartmann. Die 33Jährige leidet selbst seit Jahren unter Migräne, wie sie erzählt. Hohe Temperaturen und Sonnenstrahlen schlügen ihr wortwörtlich auf den Kopf.
Andere seien einfach nur genervt vom Dauerschwitzen und dem Lärm, der durch das „Draußen-Sein-Müssen“zunehme. „Menschen mähen den Rasen zu den ungünstigen Zeiten, abends wird laut auf der Terrasse oder dem Balkon Fernsehen geschaut – mir kommt es so vor, als seien die Menschen im Sommer einfach rücksichtsloser“, erklärt Bartmann. Und auch der Druck, sich gefälligst über schönes Wetter freuen zu müssen, sei nervig.
Das beobachtet auch Sonia Sippel vom Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen. Eine Schattenseite des Sommers sei eben dieses Gefühl, dass man merkwürdig oder sonderbar sei, wenn man die warme Jahreszeit nicht möge. „Es fängt schon bei der Wetterprognose an, bei der der Sommer in der Regel mit positiven Adjektiven beschrieben wird und das restliche Wetter eher als schlecht deklariert wird“, so die Diplompsychologin. Auch so entstehe eine Norm, was gut sei und was nicht.
Ihre negative Haltung zum Sommer polarisiere, hat Bartmann selbst erfahren. Es sei aber doch auch in Ordnung, die Rollläden dicht zu machen und sich im Haus zurückzuziehen. Im Herbst störe das schließlich niemanden. Im Sommer dagegen müsse man sich für solche Taten stets rechtfertigen. Auf Facebook dagegen könne sie in ihrer – wie sie es selbst ausdrückt – „Selbsthilfegruppe“meckern, Tipps zum Runterkühlen austauschen und auch ab und zu über exzessive Sonnenanbeter lästern.
Zumindest bei diesem Thema bekommen die Sommerhasser Unterstützung von Dermatologen. „Das exzessive Sonnenbaden ungeschützt ist natürlich schädlich für die Haut, weil wir wissen, dass jegliche UVStrahlen auf Dauer zu Hautkrebs führen können“, sagt Christoph Liebich vom Berufsverband der Deutschen Dermatologen. Die Zahl der Hautkrebspatienten in Deutschland sei in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen.
Doch warum zieht es Menschen im Sommer trotz dieses Wissens ständig in die Sonne? Die lange Sonnenscheindauer führt laut Diplompsychologin Sippel zu einer gesteigerten Tatkraft, das „dämpfende“Hormon Melatonin werde an Sonnentagen weniger ausgeschüttet. Dadurch entstehe auch eine Art „GuteLaune-Zwang“, der Menschen wie die Sommerhasser frustriere. „Doch zum Glück lässt sich das Wetter nicht beeinflussen. So ist für jeden was dabei“, stellt die Diplompsychologin fest.