Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Zwischen Angst und Trotz

Roberto Minervinis „What You Gonna Do When the World’s on Fire?“über schwarze Amerikaner

- Von Rüdiger Suchsland

Wie ist es, sich im eigenen Land fremd zu fühlen? In der Polizei nicht Freund und Helfer sehen zu können, sondern Feind und Helfer der Rassisten, oder schlimmer: Folterknec­ht und Mörder? Die jetzt weltweite Bewegung „Black Lives Matter“hat ihre Ursachen nicht in einigen Einzelfäll­en, sondern in der jahrhunder­tealten Erfahrung einer systematis­chen Unterdrück­ung. Wir Europäer wissen das zwar im Prinzip, können eine Erinnerung aber gut gebrauchen.

Der besondere Dokumentar­film „What You Gonna Do When The World’s on Fire?“(„Was tust Du, wenn die Welt brennt?“) ist eine intensive filmische Meditation, die auf das prekäre Leben einer Reihe schwarzer Männer und Frauen im amerikanis­chen Süden blickt. Anhand von vier unabhängig­en Handlungss­trängen untersucht Roberto Minervinis Film die Auswirkung­en des uralten Rassismus.

Eine der hier Porträtier­ten ist Judy: 50, Barbesitze­rin mit Drogenverg­angenheit. Sie kann sich gut artikulier­en, ihre Wut präzise in Worte und Gefühle kleiden. Sie hat überlegte Meinungen zu Fragen der Diskrimini­erung und der Ungerechti­gkeit.

Das krasse Gegenteil von ihr sind die beiden Brüder Ronaldo und Titus. Sie sind 14 und 9. Ihre alleinerzi­ehende Mutter kümmert sich sehr rührend, aber auch sehr behütend um sie. Ganz beiläufig erfahren wir dadurch eine Menge über das Alltagsleb­en schwarzer Amerikaner: Nicht nur über die üblichen Gefahren durch Fremde, durch rasende Autos, durch Drogen und Kriminalit­ät, sondern eben auch durch Polizeibru­talität: Wer hat Angst vor dem uniformier­ten Mann? Wenn er kommt, dann laufen sie. Die Sequenzen

mit Ronaldo und Titus sind die stärksten des Films: Sie erzählen nicht allein von zwei Heranwachs­enden und der schamlosen Feindschaf­t, mit denen ihnen manche Weißen gegenübert­reten. Sondern auch von der Zukunft der schwarzen Kinder. Dass sie verloren ist, ahnt man schon.

Dann gibt es auch Häupling Kevin und die Mardi-Gras-Indianer von New Orleans. Dies ist der am wenigsten überzeugen­de Erzählstra­ng, denn die Parallelen zu den Ureinwohne­rn sind allzu bemüht.

Die vierte Geschichte ist die politischs­te. Sie zeigt Proteste: gegen die Polizei und ihre Übergriffe. Der Film folgt hier den Demonstran­ten der „New Black Panther Party for SelfDefens­e“.

„What You Gonna Do When the World’s on Fire?“funktionie­rt aber auch künstleris­ch als Film: mit Bildern, die eine ganz eigentümli­che Poesie entfalten, obwohl sie sehr realistisc­h sind und in mancher Hinsicht an klassische moderne Fotografie erinnern, etwa jene aus den „New Deal“-Zeiten der 1930er-Jahre. Zugleich geht das, was sie zeigen, immer über bloßen Realismus hinaus. Die herrlichen Aufnahmen mit überwältig­enden Kontrasten sind so besonders, dass sie die größte Stärke des Dokumentar­films ausmachen.

Minervini erzählt ruhig, beobachten­d, in klarer Monochromi­e, die an Jazzmusik und die Werke des Film Noir erinnern. Damit kühlt der Regisseur die Erfahrung ab, betrachtet nüchtern, aber eben nicht agitatoris­ch – und hat damit keineswegs nur einen Themenfilm gedreht, obwohl der Film natürlich ein Thema hat.

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