Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
„Ein erheblicher Eingriff in Grundrechte“
Landesregierung will mehr Befugnisse für Polizei – Jurist Ollig hält das für verfassungswidrig
STUTTGART - In Baden-Württemberg sollen Polizisten mehr Befugnisse für Kontrollen bekommen. Am Donnerstag hat die Landesregierung den Gesetzesentwurf in den Landtag eingebracht. Bürgerrechtler warnen: Das Vorhaben von Grünen und CDU greife tief in die Freiheit der Bürger ein. Der Jurist Christian Ollig von der „Gesellschaft für Freiheitsrechte“hat Katja Korf erklärt, warum die Pläne aus seiner Sicht gegen die Verfassung verstoßen.
Herr Ollig, Innenminister Strobl nennt die geplanten Änderungen ein „Mehr-Sicherheit-für-BW-Gesetz“. Was kann man dagegen haben?
Das Argument der Sicherheit ist ohne Zweifel bedeutsam. Es darf aber nicht als leere Hülse zur Einschränkung unserer Grundrechte herangezogen werden. Wir glauben, dass die geplante Novelle in mehreren Punkten gegen unsere Verfassung verstößt.
Polizisten tragen in Baden-Württemberg schon jetzt Kameras an ihrer Uniform, dürfen damit im öffentlichen Raum filmen. Nun soll das auch in Wohnungen erlaubt werden. Warum ist das aus Ihrer Sicht ein Problem?
Weil es ein erheblicher Eingriff in die Grundrechte ist, Menschen in ihrer Wohnung zu filmen. Eine Wohnung ist ein sensibler, privater Bereich. Daher schützt die Verfassung diese ganz besonders vor staatlichen Eingriffen. So setzt das Grundgesetz eine richterliche Anordnung voraus, wenn ein technisches Überwachungsmittel in einer Wohnung eingesetzt wird, zum Beispiel eine Kamera. In der Novelle findet sich eine solche Anordnung jedoch nicht wieder. Fraglich ist ferner, ob der Einsatz von Kameras überhaupt zur Gefahrenabwehr geeignet ist; stichhaltige, wissenschaftliche Belege fehlen dafür bislang. Die Reform sollte jedenfalls begleitet werden von einer Evaluierung der Eignung dieses Instruments. Außerdem muss jeder Eingriff angemessen sein – untechnisch formuliert: Der Staat darf nicht mit Kanonen auf
Spatzen schießen. Insbesondere kann sich die betroffene Person aber bei einer mobilen Wohnraumüberwachung nicht durch Eigenbewegungen der Maßnahme entziehen. Betroffene werden in sensiblen Momenten zu Hause gefilmt, oft werden nahestehende Personen betroffen sein. Auch entscheidet die Polizei einseitig, ob und was sie filmt – daraus folgt eine Unausgeglichenheit zulasten der Betroffenen.
Die Polizei soll in Clubs, Bars oder Geschäftsräumen filmen dürfen. Halten Sie das für verfassungsgemäß?
Grundsätzlich schützt unsere Verfassung solche Räume weniger stark als Wohnungen. Doch die Landesregierung hat sich entschieden, diese Räume gleichzusetzen mit dem öffentlichen Raum, etwa mit Straßen und Plätzen. Das widerspricht der Wertung unseres Grundgesetzes. Zwar fällt je nach „Offenheit und Sozialbezug“der Schutz für Arbeits-, Betriebs- und Geschäftsräume schwächer aus als für Wohnungen. Dies bedeutet trotzdem nicht, dass solche Räume nur den Schutz öffentlicher Bereiche erfahren. Der Gesetzentwurf der Landesregierung müsste deshalb genauer differenzieren, wann die Polizei solche Räume filmen darf.
Außerdem soll es künftig erlaubt sein, Personen auf bestimmten Veranstaltungen ohne Grund zu kontrollieren.
Das ist äußerst problematisch. Ein zentrales Prinzip unserer Verfassung ist: Jeder darf ohne staatliche Kontrolle grundsätzlich tun und lassen, was er oder sie will. Das neue Gesetz soll es nun der Polizei erlauben, die Identität von Besuchern öffentlicher Veranstaltungen und Ansammlungen festzustellen und sie zu durchsuchen. Bei welchen Anlässen das gelten soll, ist nicht genau geregelt. Laut Gesetzentwurf müsse ein „besonderes Gefährdungsrisiko“vorliegen. Die Analyse, auf welche Veranstaltungen diese Einschätzung zutrifft, macht aber die Polizei selbst. Es bleibt insofern völlig unklar, welche Anhaltspunkte ein solches Gefährdungsrisiko vermuten lassen. Das verhindert eine effektive gerichtliche Kontrolle der Rechtmäßigkeit solcher Maßnahmen.
Was beanstanden Sie noch? Besucher einer Veranstaltung können im Vorfeld nicht wissen, ob sie mit einer Kontrolle rechnen müssen. Denn der Entwurf nennt keine genau bestimmbaren Voraussetzungen dafür, wann solche Kontrollen erlaubt sind. Es müsse „erfahrungsgemäß mit der Begehung von Straftaten gegen Leib, Leben oder Sachen von bedeutendem Wert“zu rechnen sein. Mit solchen Delikten dürfte bei nahezu jeder Großveranstaltung zu rechnen sein. Darunter fällt schon der Diebstahl eines teuren Smartphones. Somit könnte die Polizei bei fast allen Veranstaltungen Personen kontrollieren und durchsuchen. Solche schwammigen Vorgaben begünstigen nicht zuletzt „Racial Profiling“– also Personenkontrollen anhand gruppenbezogener Merkmale wie der Hautfarbe.
Neu im Gesetzesentwurf ist auch, dass die Polizei leichter Personen überwachen darf. Welche Bedenken haben Sie da?
Überwachung heißt in diesem Fall: Die Polizei darf heimlich Menschen filmen, abhören oder verdeckte Ermittler einsetzen. Hier geht es darum, dass Ermittler Verdächtige überwachen dürfen, bevor eine Straftat passiert. Das Bundesverfassungsgericht hat in einem aktuellen Urteil hohe Hürden für solche Maßnahmen aufgestellt. Es bedarf demnach einer drohenden Gefahr für „überragend wichtige Rechtsgüter“. Darunter verstehen die Verfassungsrichter Gefahren für den Körper, das Leben, die Bewegungsfreiheit oder Güter der Allgemeinheit, deren Bedrohung die Grundlagen des Staates oder der Existenz der Menschen berührt. Kurz: Nur eine Gefahr für das Wichtigste und Wesentlichste, was wir als Bürger haben, kann eine solche Überwachungsmaßnahme rechtfertigen. Es müsste beispielsweise der Verdacht eines Terroranschlags bestehen. Die Novelle erlaubt die Überwachung jedoch schon, wenn Straftaten „mit erheblicher Bedeutung“drohen. Das wäre nach der jetzigen Fassung bereits bei einem gewerbsmäßigen Diebstahl oder einer Geldfälschung gegeben. Damit entspricht dieser Entwurf nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen.
Baden-Württemberg hat sein Polizeigesetz 2017 schon einmal verschärft. Sind Sie enttäuscht, dass so etwas unter einem Ministerpräsidenten der Grünen möglich war? Die Grünen verstehen sich ja als Bürgerrechtspartei.
Wir arbeiten nicht parteipolitisch. Unser Ziel ist es, für die menschenfreundlichste Umsetzung der Grundund Menschenrechte unseres Grundgesetzes zu kämpfen. Wir sind von jeder politischen Entscheidung enttäuscht, die dazu nicht beiträgt. Baden-Württemberg hat neben Bayern, Nordrhein-Westfalen und Sachsen eindeutig eines der schärfsten Polizeigesetze in Deutschland. Wir sehen leider bundesweit einen Trend, der Polizei immer weitreichendere Eingriffsrechte zu geben.