Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Mehr als Wahlkampfgetöse
Es ist, als gäbe es auf der Abwärtsspirale kein Halten mehr. Kaum ein Tag vergeht, an dem sich die USA und China nicht mit Nadelstichen piesacken. Das Kabinett Donald Trumps schließt ein chinesisches Konsulat, in dem es, so wörtlich, ein Spionagenest sieht. Peking zahlt mit gleicher Münze zurück, während der amerikanische Außenminister die 1972 von Richard Nixon eingeleitete Annäherung an die Volksrepublik für gescheitert erklärt. Sicher scheint nur, dass es vorerst weiter abwärtsgeht. Mindestens noch bis zum 3. November, dem Tag des US-Präsidentschaftsvotums.
Trump braucht das Feindbild China, um von eigenen Fehlern abzulenken. Ein Präsident, dessen chaotisches, inkompetentes Corona-Krisenmanagement auch Wohlwollende mancher Illusionen beraubte, braucht die Konfrontation, um seinem „America first“Futter zu geben. Im Grunde macht er dort weiter, wo er 2016 aufgehört hat. Schon damals erklärte er China neben Mexiko zum Hauptschuldigen an der Misere des Mittleren Westens, wo eine Fabrik nach der anderen zum Industriedenkmal geworden war. Trump fuhr schweres verbales Geschütz auf, nur um sich später, im Amt, seines guten Verhältnisses zu Xi Jinping zu rühmen. Noch im März bescheinigte er Xi, ein großer Führer zu sein.
Es greift aber zu kurz, die harte Linie allein mit Wahlkampfkalkül zu begründen. Pompeo, der das „blinde Engagement“mit China beenden will, spricht nur aus, was viele Politiker in Washington denken. Nicht nur Trumps Republikaner, auch prominente Demokraten haben längst begonnen, neu zu denken. Pompeo steht nicht allein, wenn er in polemischer Zuspitzung fragt, was es Amerika gebracht habe, der Volksrepublik die Tür zur Welt zu öffnen. Nicht nur Trump beklagt die Industriebrachen als Folge naiver Handels- und Chinapolitik, gewerkschaftsnahe Demokraten sehen es ähnlich. Protektionistische Barrieren finden sich auch in Konzepten der Opposition. Sollte ab Januar Joe Biden im Weißen Haus residieren, dürfte auch er fragen, ob die Beziehung, wie sie sich seit Nixons historischer Reise nach Peking entwickelte, tatsächlich noch eine zum gegenseitigen Vorteil ist.