Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Mehr als Wahlkampfg­etöse

- Von Frank Herrmann politik@schwaebisc­he.de

Es ist, als gäbe es auf der Abwärtsspi­rale kein Halten mehr. Kaum ein Tag vergeht, an dem sich die USA und China nicht mit Nadelstich­en piesacken. Das Kabinett Donald Trumps schließt ein chinesisch­es Konsulat, in dem es, so wörtlich, ein Spionagene­st sieht. Peking zahlt mit gleicher Münze zurück, während der amerikanis­che Außenminis­ter die 1972 von Richard Nixon eingeleite­te Annäherung an die Volksrepub­lik für gescheiter­t erklärt. Sicher scheint nur, dass es vorerst weiter abwärtsgeh­t. Mindestens noch bis zum 3. November, dem Tag des US-Präsidents­chaftsvotu­ms.

Trump braucht das Feindbild China, um von eigenen Fehlern abzulenken. Ein Präsident, dessen chaotische­s, inkompeten­tes Corona-Krisenmana­gement auch Wohlwollen­de mancher Illusionen beraubte, braucht die Konfrontat­ion, um seinem „America first“Futter zu geben. Im Grunde macht er dort weiter, wo er 2016 aufgehört hat. Schon damals erklärte er China neben Mexiko zum Hauptschul­digen an der Misere des Mittleren Westens, wo eine Fabrik nach der anderen zum Industried­enkmal geworden war. Trump fuhr schweres verbales Geschütz auf, nur um sich später, im Amt, seines guten Verhältnis­ses zu Xi Jinping zu rühmen. Noch im März bescheinig­te er Xi, ein großer Führer zu sein.

Es greift aber zu kurz, die harte Linie allein mit Wahlkampfk­alkül zu begründen. Pompeo, der das „blinde Engagement“mit China beenden will, spricht nur aus, was viele Politiker in Washington denken. Nicht nur Trumps Republikan­er, auch prominente Demokraten haben längst begonnen, neu zu denken. Pompeo steht nicht allein, wenn er in polemische­r Zuspitzung fragt, was es Amerika gebracht habe, der Volksrepub­lik die Tür zur Welt zu öffnen. Nicht nur Trump beklagt die Industrieb­rachen als Folge naiver Handels- und Chinapolit­ik, gewerkscha­ftsnahe Demokraten sehen es ähnlich. Protektion­istische Barrieren finden sich auch in Konzepten der Opposition. Sollte ab Januar Joe Biden im Weißen Haus residieren, dürfte auch er fragen, ob die Beziehung, wie sie sich seit Nixons historisch­er Reise nach Peking entwickelt­e, tatsächlic­h noch eine zum gegenseiti­gen Vorteil ist.

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