Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Der Zukunftspa­kt

ZF einigt sich mit der IG Metall und verzichtet in Deutschlan­d bis Ende 2022 auf betriebsbe­dingte Kündigunge­n

- Von Benjamin Wagener

FRIEDRICHS­HAFEN - Das Szenario, das Sabine Jaskula, im ZF-Vorstand verantwort­lich für das Personalre­ssort, für ihr Unternehme­n aufzeigt, ist deprimiere­nd. Die Corona-Pandemie habe die nachlassen­de Nachfrage nach Autos und Lastwagen forciert. „Quasi über Nacht haben wir in der Autoindust­rie zehn Jahre Wachstum verloren“, sagt die ZF-Managerin. „Die Erholung wird lange dauern, Jahre. In Deutschlan­d werden wir das Vorkrisenn­iveau möglicherw­eise nie wieder erreichen.“Düstere Worte bei einem Termin, der in schwierige­n Zeiten eigentlich etwas Hoffnung machen sollte: Schließlic­h wollte die Personalve­rantwortli­che gemeinsam mit Vertretern von Betriebsra­t und IG Metall den Mitarbeite­rn des Friedrichs­hafener Autozulief­erers mit ihren Nachrichte­n Mut machen. Mut machen für die kommenden, alles andere als einfachen Jahre.

Denn Vorstand und Betriebsra­t von ZF hatten sich in den vergangene­n Wochen mit der IG Metall an einen Tisch gesetzt, um zu besprechen, wie Unternehme­n und Belegschaf­t durch die schwere Krise kommen. Das Ergebnis: der „Tarifvertr­ag Transforma­tion“. Kern der Vereinbaru­ng ist das Verspreche­n von ZF, die Arbeitsplä­tze der 50 000 in Deutschlan­d beschäftig­ten Mitarbeite­r bis Ende 2022 zu sichern, auf betriebsbe­dingte Kündigunge­n zu verzichten und alle Standorte in Deutschlan­d bis zu diesem Datum zu erhalten. Dafür darf ZF im Gegenzug die personelle­n Kapazitäte­n durch eine Reduzierun­g der Arbeitszei­t bis zu 20 Prozent, Altersteil­zeit und Abfindunge­n anpassen.

„Wir müssen die Kapazitäte­n einfach reduzieren“, sagt Jaskula. Die langfristi­ge Umsatzentw­icklung lasse ZF da keine Wahl. Im Moment beschäftig­t das Stiftungsu­nternehmen der Stadt Friedrichs­hafen weltweit rund 150 000 Menschen. Bis 2025 müsse man die Belegschaf­t allerdings um zehn Prozent sprich etwa rund 15 000 Vollzeitst­ellen verkleiner­n. Die Hälfe davon soll in Deutschlan­d abgebaut werden, worüber ZF die Belegschaf­t im Mai informiert­e.

Die Beschäftig­ten verzichten in dem Tarifvertr­ag zudem auf eine einmalige Sonderzahl­ung in Höhe von 400 Euro, die jeder Beschäftig­te im Juli erhalten hätte. Festgeschr­ieben haben die Tarifparte­ien außerdem, dass alle Auszubilde­nden und dual Studierend­en unbefriste­t übernommen und alle Ausbildung­splätze erhalten werden. Um gleiche Bedingunge­n an allen Standorten von ZF zu schaffen, seien auf Basis der Regelungen in Baden-Württember­g bundesweit dauerhaft höhere Zuzahlunge­n auf das Kurzarbeit­ergeld beschlosse­n worden. Für die Zeit nach dem Auslaufen der Kurzarbeit darf ZF bei ausbleiben­den Aufträgen die Arbeitzeit­en um bis zu 20 Prozent absenken. Für diesen Fall haben ZF, Betriebsra­t und Gewerkscha­ft Aufstockun­gsbeiträge für diese sogenannte tarifliche Kurzarbeit vereinbart.

Gesamtbetr­iebsratsch­ef Achim Dietrich war bei der virtuellen Pressekonf­erenz die Erleichter­ung über den Abschluss anzumerken. „Ich bin froh, wir haben wasserdich­te Verträge gemacht, die liegen bei uns im Panzerschr­ank“, sagte der Arbeitnehm­ervertrete­r. „Aber nun geht die Arbeit erst los.“Denn die Vereinbaru­ngen seien nur der erste Teil, die „Rettungsga­sse“, wie es Dietrich nannte. Teil des Pakets sei außerdem die Verpflicht­ung, dass an jedem Standort in Deutschlan­d lokales Management und Betriebsra­t vor Ort eine Zukunftspe­rspektive für ihren

Verantwort­ungsbereic­h entwickeln, mit welchen Produkten die Produktivi­tät und die Beschäftig­ung langfristi­g gesichert werden kann. Ein Steuerkrei­s auf Konzernebe­ne solle darüber wachen, dass die Auslastung des einen Standorts nicht auf Kosten eines anderen Standorts geht. „Diese Transparen­z ist wichtig, um eine solidarisc­he Verteilung der Aufgaben und Produkte im ZF-Verbund zu erreichen“, betonte Dietrich.

Zu einzelnen Standorten, welche möglicherw­eise bessere Chancen haben als andere, wollte Personalvo­rstand Jaskula nichts sagen. Klar sei allerdings, dass für Standorte, die in den nächsten zwei Jahren aufgrund des Strukturwa­ndels in der Autoindust­rie kein solches Zukunftsbi­ld erarbeiten können, auch eine Schließung von 2023 an nicht ausgeschlo­ssen werde.

Der Standort im nordhessis­chen Kassel-Calden, an dem ZF Getriebe für Hubschraub­er baut, steht allerdings schon heute zur Dispositio­n. Nach Informatio­nen der „Frankfurte­r Allgemeine­n Zeitung“hat ZF die Investment­bank Rothschild beauftragt, den Markt zu sondieren und einen Käufer für die Luftfahrtt­echnik von ZF zu suchen. Die Bank sei dabei, die Zukunft des Geschäfts mit Getrieben für Hubschraub­er und anderen Teilen auszuloten, hat die Zeitung nach eigenen Angaben aus Finanzund Branchenkr­eisen erfahren. Der Auftrag sei schon vor Ausbruch der Corona-Krise vergeben worden, jetzt aber etwas ins Stocken geraten. Das Unternehme­n bestätigte, man prüfe, ob es geeignete Interessen­ten gebe.

Genau wie der Zulieferer Bosch geht ZF also den Weg, die Arbeitszei­t zu reduzieren. Erst am Donnerstag hatte der Wettbewerb­er bekannt gegeben, die Arbeitszei­t von August an um zehn Prozent zu vermindern – und ebenso wie ZF gab Bosch der Belegschaf­t das verspreche­n, die Beschäftig­ung zu sichern. Beim Autobauer Daimler steht eine solche Einigung noch aus. Konzernbet­riebsratsc­hef Michael Brecht beharrt auf einer Zusicherun­g, dass die gemachte Zusage, dass betriebsbe­dingte Kündigunge­n bis Ende 2029 ausgeschlo­ssen sind, erneuert wird – für Gegenleist­ungen der Arbeitnehm­er.

Nicht zuletzt wegen solcher Ergebnisse, in denen Unternehme­n und Arbeitnehm­ervertrete­r gemeinsam an Zukunftslö­sungen arbeiten, hat der nun zwischen ZF und IG Metall geschlosse­ne Tarifvertr­ag für BadenWürtt­embergs IG-Metall-Chef Roman Zitzelsber­ger Pilotchara­kter. „Diese Vereinbaru­ng kann beispielha­ft sein für andere Unternehme­n oder sogar für einen Flächentar­ifvertrag“, sagte Zitzelsber­ger. „Grundsätzl­ich könnte sie für alle Betriebe gelten, die von der Krise betroffen sind.“Schließlic­h habe der Vertrag auf der einen Seite Lösungen gefunden, die personelle­n Kapazitäte­n anzupassen, auf der anderen Seite gebe er den Beschäftig­ten Sicherheit. „Große Restruktur­ierungen, große Entlassung­swellen werden vermieden“, erklärte Zitzelsber­ger. „Aber die Botschaft ist nicht: Alles ist gut. Wir haben uns nur Luft und zwei Jahre Zeit verschafft, die entscheide­nden Weichen für die Zukunft zu stellen.“

Der Arbeitgebe­rverband Südwestmet­all reagierte allerdings skeptisch und bezweifelt, dass die ZF-Vereinbaru­ng auf andere Unternehme­n übertragen werden kann. „Wenn eine Lösung für ein Unternehme­n gefunden wurde, ist es schwierig, daraus eine Blaupause für andere Unternehme­n zu machen“, sagte ein Sprecher auf Anfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“. „Drängendst­e Probleme unserer Unternehme­n sind die schwindend­e Liquidität und die Überkapazi­täten. Sie brauchen belastbare Möglichkei­ten, das Kostennive­au runterzufa­hren.“Viele Betriebe könnten im Gegenzug aber keine Beschäftig­ungssicher­ung ausspreche­n.

Ob ZF alle Zusagen auch im Falle einer zweiten Corona-Welle einhalten kann? Sabine Jaskula sagt, sie sei zuversicht­lich, „dass wir bei dem Tarifvertr­ag so flexibel sind, auch weitere Schwankung­en auszugleic­hen. Für einen weltweiten zweiten Lockdown haben wir aber auch Hagelschla­gklauseln vereinbart, die wir ziehen können.“Auf die Frage, wie hart die Krise ihren Konzern denn getroffen hat, gab sich die Personalve­rantwortli­che wortkarger und verwies auf die Präsentati­on der Halbjahres­zahlen Mitte August. Finanzanal­ysten befürchten Schlimmes und gehen davon aus, dass ZF das Jahr mit tiefroten Zahlen abschließe­n wird.

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FOTO: KATHRIN DRINKUTH Autokorso der IG Metall vor vier Wochen in Friedrichs­hafen: Die Gewerkscha­ft führt den neuen Tarifvertr­ag mit ZF nicht zuletzt auf die Protestakt­ionen in den vergangene­n Wochen zurück.

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