Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Der Zukunftspakt
ZF einigt sich mit der IG Metall und verzichtet in Deutschland bis Ende 2022 auf betriebsbedingte Kündigungen
FRIEDRICHSHAFEN - Das Szenario, das Sabine Jaskula, im ZF-Vorstand verantwortlich für das Personalressort, für ihr Unternehmen aufzeigt, ist deprimierend. Die Corona-Pandemie habe die nachlassende Nachfrage nach Autos und Lastwagen forciert. „Quasi über Nacht haben wir in der Autoindustrie zehn Jahre Wachstum verloren“, sagt die ZF-Managerin. „Die Erholung wird lange dauern, Jahre. In Deutschland werden wir das Vorkrisenniveau möglicherweise nie wieder erreichen.“Düstere Worte bei einem Termin, der in schwierigen Zeiten eigentlich etwas Hoffnung machen sollte: Schließlich wollte die Personalverantwortliche gemeinsam mit Vertretern von Betriebsrat und IG Metall den Mitarbeitern des Friedrichshafener Autozulieferers mit ihren Nachrichten Mut machen. Mut machen für die kommenden, alles andere als einfachen Jahre.
Denn Vorstand und Betriebsrat von ZF hatten sich in den vergangenen Wochen mit der IG Metall an einen Tisch gesetzt, um zu besprechen, wie Unternehmen und Belegschaft durch die schwere Krise kommen. Das Ergebnis: der „Tarifvertrag Transformation“. Kern der Vereinbarung ist das Versprechen von ZF, die Arbeitsplätze der 50 000 in Deutschland beschäftigten Mitarbeiter bis Ende 2022 zu sichern, auf betriebsbedingte Kündigungen zu verzichten und alle Standorte in Deutschland bis zu diesem Datum zu erhalten. Dafür darf ZF im Gegenzug die personellen Kapazitäten durch eine Reduzierung der Arbeitszeit bis zu 20 Prozent, Altersteilzeit und Abfindungen anpassen.
„Wir müssen die Kapazitäten einfach reduzieren“, sagt Jaskula. Die langfristige Umsatzentwicklung lasse ZF da keine Wahl. Im Moment beschäftigt das Stiftungsunternehmen der Stadt Friedrichshafen weltweit rund 150 000 Menschen. Bis 2025 müsse man die Belegschaft allerdings um zehn Prozent sprich etwa rund 15 000 Vollzeitstellen verkleinern. Die Hälfe davon soll in Deutschland abgebaut werden, worüber ZF die Belegschaft im Mai informierte.
Die Beschäftigten verzichten in dem Tarifvertrag zudem auf eine einmalige Sonderzahlung in Höhe von 400 Euro, die jeder Beschäftigte im Juli erhalten hätte. Festgeschrieben haben die Tarifparteien außerdem, dass alle Auszubildenden und dual Studierenden unbefristet übernommen und alle Ausbildungsplätze erhalten werden. Um gleiche Bedingungen an allen Standorten von ZF zu schaffen, seien auf Basis der Regelungen in Baden-Württemberg bundesweit dauerhaft höhere Zuzahlungen auf das Kurzarbeitergeld beschlossen worden. Für die Zeit nach dem Auslaufen der Kurzarbeit darf ZF bei ausbleibenden Aufträgen die Arbeitzeiten um bis zu 20 Prozent absenken. Für diesen Fall haben ZF, Betriebsrat und Gewerkschaft Aufstockungsbeiträge für diese sogenannte tarifliche Kurzarbeit vereinbart.
Gesamtbetriebsratschef Achim Dietrich war bei der virtuellen Pressekonferenz die Erleichterung über den Abschluss anzumerken. „Ich bin froh, wir haben wasserdichte Verträge gemacht, die liegen bei uns im Panzerschrank“, sagte der Arbeitnehmervertreter. „Aber nun geht die Arbeit erst los.“Denn die Vereinbarungen seien nur der erste Teil, die „Rettungsgasse“, wie es Dietrich nannte. Teil des Pakets sei außerdem die Verpflichtung, dass an jedem Standort in Deutschland lokales Management und Betriebsrat vor Ort eine Zukunftsperspektive für ihren
Verantwortungsbereich entwickeln, mit welchen Produkten die Produktivität und die Beschäftigung langfristig gesichert werden kann. Ein Steuerkreis auf Konzernebene solle darüber wachen, dass die Auslastung des einen Standorts nicht auf Kosten eines anderen Standorts geht. „Diese Transparenz ist wichtig, um eine solidarische Verteilung der Aufgaben und Produkte im ZF-Verbund zu erreichen“, betonte Dietrich.
Zu einzelnen Standorten, welche möglicherweise bessere Chancen haben als andere, wollte Personalvorstand Jaskula nichts sagen. Klar sei allerdings, dass für Standorte, die in den nächsten zwei Jahren aufgrund des Strukturwandels in der Autoindustrie kein solches Zukunftsbild erarbeiten können, auch eine Schließung von 2023 an nicht ausgeschlossen werde.
Der Standort im nordhessischen Kassel-Calden, an dem ZF Getriebe für Hubschrauber baut, steht allerdings schon heute zur Disposition. Nach Informationen der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“hat ZF die Investmentbank Rothschild beauftragt, den Markt zu sondieren und einen Käufer für die Luftfahrttechnik von ZF zu suchen. Die Bank sei dabei, die Zukunft des Geschäfts mit Getrieben für Hubschrauber und anderen Teilen auszuloten, hat die Zeitung nach eigenen Angaben aus Finanzund Branchenkreisen erfahren. Der Auftrag sei schon vor Ausbruch der Corona-Krise vergeben worden, jetzt aber etwas ins Stocken geraten. Das Unternehmen bestätigte, man prüfe, ob es geeignete Interessenten gebe.
Genau wie der Zulieferer Bosch geht ZF also den Weg, die Arbeitszeit zu reduzieren. Erst am Donnerstag hatte der Wettbewerber bekannt gegeben, die Arbeitszeit von August an um zehn Prozent zu vermindern – und ebenso wie ZF gab Bosch der Belegschaft das versprechen, die Beschäftigung zu sichern. Beim Autobauer Daimler steht eine solche Einigung noch aus. Konzernbetriebsratschef Michael Brecht beharrt auf einer Zusicherung, dass die gemachte Zusage, dass betriebsbedingte Kündigungen bis Ende 2029 ausgeschlossen sind, erneuert wird – für Gegenleistungen der Arbeitnehmer.
Nicht zuletzt wegen solcher Ergebnisse, in denen Unternehmen und Arbeitnehmervertreter gemeinsam an Zukunftslösungen arbeiten, hat der nun zwischen ZF und IG Metall geschlossene Tarifvertrag für BadenWürttembergs IG-Metall-Chef Roman Zitzelsberger Pilotcharakter. „Diese Vereinbarung kann beispielhaft sein für andere Unternehmen oder sogar für einen Flächentarifvertrag“, sagte Zitzelsberger. „Grundsätzlich könnte sie für alle Betriebe gelten, die von der Krise betroffen sind.“Schließlich habe der Vertrag auf der einen Seite Lösungen gefunden, die personellen Kapazitäten anzupassen, auf der anderen Seite gebe er den Beschäftigten Sicherheit. „Große Restrukturierungen, große Entlassungswellen werden vermieden“, erklärte Zitzelsberger. „Aber die Botschaft ist nicht: Alles ist gut. Wir haben uns nur Luft und zwei Jahre Zeit verschafft, die entscheidenden Weichen für die Zukunft zu stellen.“
Der Arbeitgeberverband Südwestmetall reagierte allerdings skeptisch und bezweifelt, dass die ZF-Vereinbarung auf andere Unternehmen übertragen werden kann. „Wenn eine Lösung für ein Unternehmen gefunden wurde, ist es schwierig, daraus eine Blaupause für andere Unternehmen zu machen“, sagte ein Sprecher auf Anfrage der „Schwäbischen Zeitung“. „Drängendste Probleme unserer Unternehmen sind die schwindende Liquidität und die Überkapazitäten. Sie brauchen belastbare Möglichkeiten, das Kostenniveau runterzufahren.“Viele Betriebe könnten im Gegenzug aber keine Beschäftigungssicherung aussprechen.
Ob ZF alle Zusagen auch im Falle einer zweiten Corona-Welle einhalten kann? Sabine Jaskula sagt, sie sei zuversichtlich, „dass wir bei dem Tarifvertrag so flexibel sind, auch weitere Schwankungen auszugleichen. Für einen weltweiten zweiten Lockdown haben wir aber auch Hagelschlagklauseln vereinbart, die wir ziehen können.“Auf die Frage, wie hart die Krise ihren Konzern denn getroffen hat, gab sich die Personalverantwortliche wortkarger und verwies auf die Präsentation der Halbjahreszahlen Mitte August. Finanzanalysten befürchten Schlimmes und gehen davon aus, dass ZF das Jahr mit tiefroten Zahlen abschließen wird.