Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Ausstiegss­zenario für den Planeten Plastik

Mit gutem Willen ließe sich die Menge an Kunststoff­müll bis 2040 um 78 Prozent verringern

- Von Alice Lanzke

WASHINGTON/LEEDS (dpa) - Plastikmül­l ist allgegenwä­rtig: Er findet sich in Ozeanen, Flüssen und Seen weltweit, winzige Partikel sind auch in Menschen und Tieren nachweisba­r. Eine umfassende und globale Kombinatio­n von Maßnahmen könnte die Menge des weltweiten Plastikmül­ls in den kommenden zwei Jahrzehnte­n um fast 80 Prozent reduzieren, schreibt ein internatio­nales Forscherte­am jetzt im Fachblatt „Science“.

Doch selbst in diesem optimistis­chen Szenario würden bis zum Jahr 2040 noch 710 Millionen Tonnen Plastik in der Umwelt landen: 460 Millionen Tonnen an Land und 250 Millionen Tonnen in Gewässern.

Allein in Deutschlan­d gelangen nach einer Untersuchu­ng von 2018 jährlich rund 446 000 Tonnen Kunststoff in die Umwelt. Inzwischen reagiert die Politik: So beschloss die Europäisch­e Union ein von Mitte 2021 an geltendes Herstellun­gsverbot für Einwegplas­tik, 2019 wurden im Rahmen der Basler Konvention die Regeln für den Export von Kunststoff­abfällen verschärft.

Nun berechnete das internatio­nale Forscherte­am um Winnie Lau von der US-Organisati­on Pew Charitable Trusts fünf Szenarien dazu, wie sich die weltweite Menge an Plastikabf­ällen bis zum Jahr 2040 entwickeln könnte. Zu den Szenarien gehörten Einsammeln und Entsorgen, Recycling, Verringeru­ng der Plastikmen­ge sowie ein umfassende­r Systemwech­sel durch Anwendung all dieser Maßnahmen. Diese „System Change“genannte Kombinatio­n könnte den Kunststoff­müll bis 2040 laut Studie um 78 Prozent verringern.

„Die Ergebnisse der Analysen sind grundsätzl­ich plausibel und alarmieren­d zugleich, da sie die unmittelba­re Notwendigk­eit zeitnaher Veränderun­gen in unserem Umgang mit Plastik eindrückli­ch aufzeigen“, kommentier­t Stefan Krause von der Universitä­t Birmingham die Studie. Sie zeige zudem, welche Maßnahmen die globalen Plastikein­träge in die Umwelt reduzieren könnten. Daraus ließen sich wertvolle Handlungse­mpfehlunge­n ableiten. Allerdings bemängelt der Biogeochem­iker, die Autoren hätten „technologi­sche Innovation­en in der Produktion von abbaubarem Bioplastik

nur begrenzt in ihren Szenarien berücksich­tigt“.

Für die Meeresbiol­ogin Melanie Bergmann vom Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresfors­chung unterstrei­cht die Studie den Handlungsd­ruck bei der Verringeru­ng von Plastikmül­l: „Zum ersten Mal werden die Auswirkung­en verschiede­ner Instrument­e zur Reduzierun­g von Plastikemi­ssionen beziehungs­weise ihre Gesamtwirk­ung berechnet, und es zeigt sich, dass selbst beim gebotenen sehr ehrgeizige­n Ziel ,System Change‘ immer noch 22 Prozent in unsere Umwelt gelangen – was nicht wenig ist.“Die Arbeit belege, dass Eile angebracht sei, denn wenn die tiefgreife­nden Veränderun­gen dieses Szenarios um nur fünf Jahre verschoben würden, sammelten sich in der Umwelt 300 Millionen Tonnen mehr Plastik an. Melanie Bergmanns Fazit: „Genau derartige Zeitskalen brauchen wir, um den Ernst der Lage zu begreifen und beherzt umzusteuer­n.“

Mit der Studie verbunden ist der ausführlic­he Bericht „Die Plastikwel­le stoppen – eine umfassende Bewertung der Lösungsans­ätze zur Eindämmung der Plastikver­schmutzung der

Meere“. Die gemeinsame Veröffentl­ichung der Pew Charitable Trusts und des deutschen Unternehme­ns Systemiq mit Unterstütz­ung der Universitä­ten von Leeds und Oxford empfiehlt vor allem diese Maßnahmen: Reduzierun­g der Plastikpro­duktion und des Kunststoff­verbrauchs, um fast ein Drittel des weltweiten prognostiz­ierten Plastikmül­ls zu vermeiden – Ersetzen von Plastik durch Papier und kompostier­bare Materialie­n – Produktion von wiederverw­endbaren Produkten und Verpackung­en – Ausweitung der Abfallsamm­elquoten in Ländern mit mittlerem und niedrigem Einkommen – Einrichtun­gen zur Entsorgung jener 23 Prozent an Kunststoff­en, die nicht wirtschaft­lich recycelt werden können – Reduktion des Exports von Plastikmül­l.

„Die hier untersucht­en Interventi­onen sind alle mit vorhandene­n und bereits ausgereift­en Technologi­en erreichbar“, betont Co-Autor Ed Cook von der Universitä­t Leeds. „Die von uns vorgeschla­genen Ansätze liegen bereits innerhalb unserer Möglichkei­ten.“Gefragt seien nun der „politische, gesellscha­ftliche und unternehme­rische Wille“, sie umzusetzen.

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FOTO: MATILDE CAMPODONIC­O/DPA Plastikmül­l ist überall: Festgehalt­en ist die unschöne Bestätigun­g auf diesem Bild am Strand „Capurro“in der Bucht von Montevideo.
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