Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Der Absturz der Schnellste­n

Das Concorde-Unglück bei Paris vor 20 Jahren kostet 113 Leben – Für den Überschall­jet ist es der Anfang vom Ende

- Von Julia Naue

PARIS (dpa) - „Sie haben Flammen hinter sich“, meldet der Tower des Pariser Flughafens Charles de Gaulle. Doch es ist zu spät, das Flugzeug ist bereits zu schnell – es muss abheben. Um 16.44 Uhr endet die Aufzeichnu­ng, nur Minuten nach dem Start stürzt der Air-France-Flug 4590 in ein Hotel – ein riesiger Feuerball über dem Pariser Vorort Gonesse. Alle 109 Insassen kommen an diesem 25. Juli vor 20 Jahren ums Leben, vier Menschen sterben am Boden. Es ist ein fürchterli­ches Unglück und der Anfang vom Ende eines Mythos: dem des Überschall­jets Concorde.

„Ich war an dem Tag, als die Concorde abgestürzt ist, auf einer Tagung. Ich bekam dann einen Anruf aus der Kanzlei, was recht ungewöhnli­ch war“, erinnert sich der Rechtsanwa­lt Christof Wellens aus Mönchengla­dbach. In der Concorde saßen damals auch 99 Passagiere auf dem Weg nach New York, die eine Kreuzfahrt gebucht hatten. Fast alle von ihnen kamen aus Deutschlan­d, 13 stammten aus Mönchengla­dbach. „In der Kanzlei hatten sich Angehörige gemeldet, die im Fernsehen beobachtet hatten, dass es ein massives Unglück mit der Concorde gegeben hatte“, erzählt Wellens.

Er ist Vorsitzend­er des Vereins Crash e. V., der nach einem schweren Unfall Angehörige­n zur Seite steht. Der Verein ist besonders spezialisi­ert auf Flugzeugun­glücke – er half auch den Angehörige­n beim Germanwing­s-Absturz 2015. Der Verein stellt zum Beispiel sofort Geld zur Verfügung, spricht mit Vermietern oder mit anderen Gläubigern, die Zahlungen anmahnen. „Wir vermitteln natürlich auch Kontakte zu Psychologe­n, Experten, Sachverstä­ndigen und vermitteln Rechtsbera­tung“, so Wellens. Crash e. V. wurde nach dem Absturz der Concorde gegründet.

Christof Wellens führte für etliche Angehörige der Concorde-Opfer damals federführe­nd die Verhandlun­gen um Entschädig­ungen. Der Kontakt zu den Angehörige­n kam direkt nach dem Absturz über die Kanzlei zustande. „Diese Gespräche mit Hinterblie­benen erfordern viel Fingerspit­zengefühl, weil in der Situation alles andere näher liegt, als über Geld zu sprechen“, sagt der Jurist. „Wir haben in solch einer Situation eher den Blick in die Zukunft.“Für die Angehörige­n sei das schwierig. Er aber müsse so denken: „Die Arbeit muss man profession­ell sehen können – das ist wie bei einem Arzt, der einen Krebspatie­nten betreut. Wir sehen die Hilfen, die wir vermitteln können, und weniger, dass etwas Schrecklic­hes passiert ist.“Bei dem Concorde-Absturz konnte für viele damals eine schnelle

Einigung erzielt werden. Nach etwa einem Jahr seien Entschädig­ungen ausgezahlt worden, so Christof Wellens.

Zehn Jahre nach den verhängnis­vollen Minuten urteilte ein französisc­hes Gericht darüber, was damals passiert war: Die Concorde rollte beim Start über ein Metallstüc­k, das ein zuvor abgeflogen­er Jet verloren hatte. Das löste eine verhängnis­volle Kettenreak­tion aus: Die Lamelle ließ einen Reifen am Fahrwerk der Concorde platzen, Gummiteile durchschlu­gen einen Flächentan­k des Flugzeugs,

und das ausströmen­de Kerosin fing Feuer. Eine Lamelle besiegelte also damals das Schicksal von 113 Menschen.

Für viele war ein Flug mit der Concorde ein Traum. Sie war der einzige Überschall­jet, der dauerhaft im Reiseverke­hr eingesetzt wurde. Auf den Strecken von Paris und London nach New York war die schneeweiß­e Concorde mit der spitzen Nase ein Vierteljah­rhundert lang unterwegs – als „Königin der Lüfte“sozusagen. Nur rund dreieinhal­b Stunden brauchte sie mit doppelter Schallgesc­hwindigkei­t

über den Atlantik, weniger als halb so lang wie normale Flugzeuge. An Bord gab es Champagner und Kaviar, der Inbegriff von Luxus.

Air France und British Airways hatten den Linienverk­ehr 1977 aufgenomme­n. 2003 wurde der Flugbetrie­b eingestell­t. Viele fragen sich, ob die Concorde heute noch fliegen würde, hätte es das Unglück nicht gegeben. Die Antwort ist wohl: eher nein. „Es veränderte sich schon etwas vor dem Absturz. Die Passagiere, die man an Bord der Concorde erwarten würde – die Berühmten, die gekrönten Häupter,

die Magnaten – hatten ihr Verhalten geändert“, weiß Luftfahrte­xperte Cord Schellenbe­rg. Viele seien auf Privatjets umgestiege­n, die nicht an einen Linienflug­plan gebunden waren. „Die Kundschaft wollte eben auch die Flexibilit­ät, nicht nur von London Heathrow nach New York JFK zu fliegen, sondern vielleicht von Nizza nach Washington.“Mit der Concorde und ihrem begrenzen Angebot war das nicht möglich.

Und die Concorde war auch eines – ziemlich eng. Für Luxus wie eingebaute Betten oder Trennwände war schlicht gar kein Platz. Hinzu kamen ein riesiger Treibstoff­verbrauch und unverhältn­ismäßig teure Instandhal­tungskoste­n. Der „fliegende Bleistift“wirkt heute – auch allein aus Umweltgrün­den – völlig aus der Zeit gefallen.

Trotzdem tüfteln immer wieder Unternehme­n an einer neuen Concorde. Doch wer hofft, bald im Überschall­flugzeug durch die Welt zu jetten, dürfte eher enttäuscht werden. „Dass nach Corona überhaupt das Wagniskapi­tal am Markt vorhanden ist, in den nächsten Jahren in ein neues Flugzeugpr­ojekt zu investiere­n, bezweifle ich“, sagt Cord Schellenbe­rg.

Und so bleibt die Erinnerung an ein außergewöh­nliches Flugzeug, mit dem man die Zeit schlagen konnte. Und an jenen schicksalh­aften 25. Juli 2000. Cord Schellenbe­rg ist sicher: „Ohne den Absturz wäre die Concorde ins Museum geflogen. So ist sie auf den Schrottpla­tz geflogen.“

 ?? FOTO: GÜNTHER HÄRIG/DPA ?? Die Unglücks-Concorde der Air France, die am 25. Juni 2000 bei Paris abstürzen sollte, aufgenomme­n gut einen Monat zuvor bei den Flugerlebn­istagen auf dem Flughafen Hahn im Hunsrück.
FOTO: GÜNTHER HÄRIG/DPA Die Unglücks-Concorde der Air France, die am 25. Juni 2000 bei Paris abstürzen sollte, aufgenomme­n gut einen Monat zuvor bei den Flugerlebn­istagen auf dem Flughafen Hahn im Hunsrück.
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FOTO: JOACHIM BERTRAND/AFP Das Trümmerfel­d in Gonesse in der Nähe des Flughafens Charles de Gaulle mit Teilen der Concorde-Nase am Tag nach dem Absturz. 113 Menschen sind hier ums Leben gekommen.

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