Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Keine Spur von Rutenfeststimmung
Kaum Beflaggung in der Altstadt – Breite Unterstützung für den eingeschlagenen Kurs der Stadt
RAVENSBURG - Auf dem nördlichen Marienplatz hängt keine einzige blau-weiße Fahne. Keine Böllerschüsse um 17 Uhr. Es scheint ein ganz normaler Freitag zu sein. Nur einzelne Kappenträger sind unterwegs – dort, wo unter normalen Umständen an diesem Abend Tausende Ravensburger die Eröffnung des Rutenfestes gefeiert hätten und sich beim Frohen Auftakt in den Armen gelegen wären. Wegen der Corona-Pandemie und des Verbots von Großveranstaltungen muss das Fest jedoch ausfallen – zum ersten Mal seit Jahrzehnten. Die Ravensburger gehen aber einem ersten Eindruck zufolge gefasst mit der Sondersituation um.
Für den Chef der Rutentrommler, Kurt Schlachter, ist es schwierig, dieses Wochenende ohne das Fest zu erleben. Er hätte sein 50. Jahr als Betreuer der Rutentrommler feiern können. Aber: „Die Gesundheit geht vor“, sagt er. Deshalb habe er beim Treffen der Trommlergruppen im Schwörsaal vor gut einer Woche „klipp und klar“gesagt, dass er sich an das Verbot von Großveranstaltungen halten wolle und daher auch nicht trommeln werde. Die Trommlergruppen unterzeichneten eine Selbstverpflichtung, aufs Antrommeln zu verzichten. Schlachter hat eigenen Angaben zufolge trotzdem Einladungen zu Adressen erhalten, wo seiner Information nach getrommelt werden sollte, und habe allesamt abgelehnt. Er werde niemanden „verpetzen“, sagt aber: „Ich fände es schade, wenn man den Vertrag unterschreibt und dann trotzdem was macht.“Kursierenden Gerüchten, wonach das Trommlerkorps der Gymnasien einen geheimen Marschplan haben sollte, trat dessen Rutenhauptmann am Freitag klar entgegen (siehe extra Text). Bei einem späteren Termin im August zu trommeln, lehnt Schlachter ab und ärgert sich darüber, dass Oberbürgermeister Daniel Rapp den Trommlergruppen dieses Angebot überhaupt gemacht hat, wie er sagt.
Schlachter selbst will es am Wochenende des abgesagten Rutenfestes ruhig angehen lassen: Den Freitagabend wolle er beim familiären
Grillen bei der Tambourmajorin der Rutentrommler verbringen und am Samstag mal eine Runde durch die Ravensburger Altstadt drehen, um zu sehen, was dort los ist.
Für Gastronomen und ihre Gäste, die am Freitagabend die Außenbereiche der Restaurants bevölkerten, bedeutete die Absperrung der Innenstadt zusätzlichen Aufwand: Andreas Reck von der Bar Riva in der Kirchstraße hat Reservierungen über ein Onlinetool angenommen und für Gäste, die kein Smartphone haben, handschriftliche Bestätigungen ausgestellt. Reck ist froh, dass er seine Bar nicht geschlossen lassen muss und viele Reservierungen erhalten hat, will aber von Rutenfeststimmung nichts wissen. Für ihn werde es ein ganz normales Wochenende, sagte er am Freitag. „Ich war auch beim Troko und bin ein Sohn dieser Stadt. Aber wir hängen keine blau-weißen Wimpel auf und ich werde nicht mal mein Käpple aufsetzen. Was glauben Sie, wie weh mir das tut? Das ist furchtbar“, sagt er über die Absage des Heimatfestes. Aber es gebe nun den „gesellschaftlichen Auftrag, die Beine still zu halten“. Es sei für ihn eher tragbar, auf ein Jahr Rutenfest zu verzichten, als wegen eines Infektionsgeschehens beim Fest einen zweiten Lockdown zu riskieren. Wer gegen die Auflagen stänkere, habe den Ernst der Situation nicht erkannt, so Reck.
Die Ratsstube, Traditionskneipe am südlichen Marienplatz, ist nach Angaben von Betreiber August Schuler junior ab Freitagabend um 17 Uhr fürs ganze Wochenende durchreserviert. Am Samstag kommen die Gäste in drei Schichten bis zum Ausschankende um 22.30 Uhr. Schuler hat Kärtchen ausgegeben, mit denen die Ratsstuben-Besucher an der Absperrung zum Marienplatz eingelassen werden. Das sei Zusatzaufwand für ihn und die Gäste gewesen – „aber das ist der richtige Weg, um die Situation im Zaum zu halten“, sagt er. Er gehe angesichts der Präsenz von Polizei und Sicherheitsdienst entspannt ins Wochenende – entspannter als in den vorigen Wochen, wo die Stimmung unter den Nachtschwärmern in Ravensburg zunehmend gereizt gewesen sei, so Schuler. Die Kontrollen der Sicherheitskräfte waren am frühen Abend moderat, die Lage nach Angaben der Polizei völlig ruhig.
Überraschend haben am Freitag auch der Biergarten und das Hotel des „Bärengarten“wiedereröffnet. Zwar darf der neue Betreiber Amir Pucurica nach eigenen Angaben aufgrund der Auflagen während der Corona-Pandemie nur etwa ein Zehntel der Gäste einlassen, die an einem Rutenfesttag im Biergarten zusammen feiern würden. Er bietet aber Bier in Maßkrügen sowie Hendl und Haxen in Kooperation mit der Metzgerei Grüninger an. Rutenfeststimmung wie sonst werde trotzdem nicht aufkommen, so Pucurica. „Dafür fehlt die Musik. Aber die Gäste können bei uns in schönen Erinnerung schwelgen.“Übers Wochenende darf man nur mit Reservierung in den Bärengarten kommen (10 bis 22 Uhr), am Montag und Dienstag ist dies zu den Sonderöffnungszeiten von 12 bis 22 Uhr auch ohne Reservierung möglich, wie Pucurica sagt.
Auch Oberbürgermeister Daniel Rapp bedauert, dass in Ravensburg dieser Tage nicht gefeiert werden kann. Er persönlich werde auch privat nichts unternehmen – „weil es keinen Ersatz für das Rutenfest gibt“, wie er am Freitag sagte. Er werde das Wochenende in ständiger Rufbereitschaft und Kontakt mit der Polizei verbringen. Angespannt sei er nicht, so Rapp, sondern zuversichtlich, dass die Vorschriften, die die Stadt für dieses außergewöhnliche Wochenende gemacht hat, eingehalten werden und eine mögliche Ausbreitung von Corona-Infektionen verhindert werden kann.