Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
David verliert gegen Goliath
Warum sich August Schuler gegen seinen parteiinternen Gegenkandidaten durchsetzte
RAVENSBURG - CDU-Nominierung in Zeiten der Corona-Pandemie: Was früher gerne schon mal bis nach Mitternacht dauerte, ist am Donnerstagabend in der Argentalhalle in Tettnang-Laimnau in Rekordzeit über die Bühne gegangen. Noch vor 21 Uhr stand fest, dass die Christdemokraten im Wahlkreis 69 (Ravensburg-Tettnang) erneut August Schuler (62) ins Rennen um das Direktmandat für den baden-württembergischen Landtag schicken werden. Allerdings war das Ergebnis knapper, als viele gedacht hätten. Schulers parteiinterner Herausforderer Christoph Sitta (34) holte 42,4 Prozent der Stimmen – ein beachtliches Ergebnis.
305 CDU-Mitglieder kamen nach Laimnau, 100 mehr als bei der Nominierung von Axel Müller zum Bundestagskandidaten am vergangenen Freitag in Bad Waldsee-Reute, bei der es keinen Gegenkandidaten gab und das Ergebnis somit von vorneherein feststand. Beide potenziellen Bewerber für den Landtag hatten offenbar viele ihrer Anhänger mobilisieren können.
Trotz der hohen Besucherzahl ging das strenge Hygienekonzept mit Sicherheitsabständen und Maskenpflicht abseits der Sitzplätze auf. Dennoch musste der Ablauf wegen Corona umgeworfen werden. Thomas Bareiß, Vorsitzender des Bezirks Württemberg-Hohenzollern, der die Versammlung eigentlich leiten sollte, hatte kurzfristig abgesagt. „Er bekam eine Risikomeldung auf der Corona-Warn-App und hat ein Kratzen im Hals. Er bleibt lieber zu Hause“, sagte der Pfullendorfer CDU-Europaabgeordnete Norbert Lins, der für Bareiß einsprang. Am Freitag kam jedoch Entwarnung: Das Testergebnis war negativ.
Was nach der Begrüßung und den Regularien folgte, hatte ein bisschen etwas von David gegen Goliath und Jung gegen Alt. Zuerst war Christoph Sitta an der Reihe: Der 34-jährige Realschullehrer sprach frei, enthusiastisch, wirkte frisch und voller Tatendrang. „Als ich öffentlich gemacht habe, dass ich meinen Hut in den Ring werfe, habe ich viel Rückenwind verspürt.“Alle hätten gesagt, dass sie die
Gegenkandidatur mutig fänden. „Viele haben gesagt: endlich.“Damit deutete er die Unzufriedenheit mit Schulers bisheriger Amtsführung an, die vor allem im Ortsverband Ravensburg, dessen Vorsitzender Sitta ist, seit einiger Zeit zu spüren war, gewissermaßen als Keimzelle der Rebellion. Manche werfen Schuler vor, in Stuttgart zu wenig zu reißen, andere reden über ihn, weil er nach einer Alkoholfahrt 2017 für einige Zeit den Führerschein abgenommen bekam und eine Geldstrafe zahlen musste.
Sitta sieht sich, so sagte er, aber nicht als Gegner Schulers, sondern wolle ein alternatives Angebot machen. Worte wie „Entschlossenheit“und „Mut“fielen mehrmals. Der 34-Jährige machte klar, dass er es sich zutraut, das Direktmandat, das 2016 an den Grünen-Politiker Manne Lucha fiel, zurückzugewinnen. Ein weiterer Seitenhieb auf Schuler, der dieses Direktmandat seinerzeit erstmals verloren hatte: Er kam nur über ein Zweitmandat in den Landtag, weil sein Ergebnis besser war als das anderer CDU-Kandidaten im Regierungsbezirk Tübingen.
Dann zählte Sitta auf, welche Themen ihm besonders wichtig sind. Dabei unterschied er sich inhaltlich nicht allzu sehr von Schuler. Beide nannten an prominenter Stelle – wohl auch wegen der Zuhörerschaft in Tettnang – die Landwirtschaft, die ihrer Meinung nach zu starken Reglementierungen und Bürokratie ausgesetzt sei und etwa beim Thema „Insektensterben“ungerechtfertigt am Pranger stehe. Auch die Stärkung der Polizei scheint beiden besonders wichtig. Sitta setzte auch einen größeren Schwerpunkt auf Bildung und Digitalisierung, was beim überwiegend älteren Publikum aber keine Begeisterungsstürme auslöste.
Als Zweiter sprach August Schuler, der seine Rede vom Blatt ablas. Er bekam viermal Zwischenapplaus inklusive Bravorufe aus dem Publikum, Sitta nur einmal Zwischenapplaus. Schuler setzte auf seine langjährigen politischen Erfahrungen auf verschiedenen Ebenen, ein Seitenhieb auf Sitta, dem es noch nicht gelungen ist, in den Kreistag oder Gemeinderat zu kommen. „Nicht mal in den Ortschaftsrat“, sagte Schuler anschließend im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“. Klug war es auch, auf die eigenen Fehler einzugehen, weil das sympathisch wirkte. Man müsse als Abgeordneter den Mut haben, ehrlich zu sein und die Wahrheit zu sagen, auch wenn das manchmal schwierig sei. „Dazu gehört auch – wie im täglichen Leben – Fehler zu machen. Auch mir sind Fehler unterlaufen. Dazu stehe ich – und ich danke Ihnen allen für Ihre oftmalige Ermutigung.“
Neben Mut betonte Schuler Eigenschaften, die beim konservativen Publikum gut ankommen: Wissen, Beharrlichkeit und Verlässlichkeit. Beflügelt durch das Umfragehoch, in dem die CDU wegen der Corona-Pandemie gerade vor allem auf Bundesebene, aber auch auf Landesebene ist, glaubt Schuler, das Direktmandat zurückerobern zu können, auch wenn er in Gesundheitsminister Manne Lucha einen starken Gegner bei den Grünen hat.
Letztendlich gaben 303 CDUMitglieder eine gültige Stimme ab. 174 (57,6 Prozent) fielen auf Schuler, 128 auf Sitta, eines enthielt sich der Stimme. Da es bei Landtagswahlen in Baden-Württemberg keine Landeslisten gibt, kommt beim plötzlichen Ausscheiden eines Mandatsträgers ein Zweitkandidat oder Ersatzbewerber ins Spiel: Das bleibt Sylvia Zwisler aus Tettnang, die mit 238 Stimmen gewählt wurde. Acht stimmten mit nein, sechs enthielten sich. Die anderen gut 50 Parteimitglieder hatten die Halle schon nach Verkündigung des Sieges von August Schuler verlassen – Wahlversammlung in Zeiten von Corona.
Zum Wahlkreis 69 Ravensburg gehören die Gemeinden Altshausen, Baienfurt, Baindt, Berg, Bodnegg, Boms, Ebenweiler, Ebersbach-Musbach, Eichstegen, Fleischwangen, Fronreute, Grünkraut, Guggenhausen, Horgenzell, Hoßkirch, Königseggwald, Ravensburg, Riedhausen, Schlier, Unterwaldhausen, Waldburg, Weingarten, Wilhelmsdorf und Wolpertswende im Landkreis Ravensburg sowie die Gemeinden Meckenbeuren, Neukirch und Tettnang im Bodenseekreis.