Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Hinter dem Lächeln sind die Gedanken so frei

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Zweifellos ist der Beruf der Kellnerin oder des Kellners ein hartes Brot, denn viele Gäste glauben auch bei uns, dass im Preis für das Schnitzel mit Pommes die Würde der Servicekra­ft selbstvers­tändlich schon mit drin ist. Und mit so einer Haltung scheint es dann natürlich völlig in Ordnung zu sein, seinen persönlich­en Frust just an jener Person auszulasse­n, zu der scheinbar ein Machtgefäl­le besteht. Damit wähnen sich viele Restaurant­besucher völlig im Recht, wenn sie saumäßig unfreundli­ch sind und sich auch sonst herablasse­nd gegenüber den Menschen verhalten, die sie bedienen.

Es gibt leider zu wenige Servicekrä­fte, die sich gegen solches Verhalten angemessen verteidige­n. Und es ist eine seltene Lust, wenn eine Bedienung – wie im folgenden Beispiel

– mit Schlagfert­igkeit zwar ihr

Trinkgeld aufs Spiel setzt, dafür aber die eingangs erwähnte Würde mit Nachdruck verteidigt.

In einem schönen Landgastho­f der gehobenen Sorte fällt ein Ehepaar schon dadurch negativ auf, dass es nicht in der Lage ist, die Begrüßung der offenbar erfahrenen und langgedien­ten Kellnerin mit einer Erwiderung zu belohnen. „Haben Sie keine Speisekart­e?“, kläfft die Frau stattdesse­n. Bereits diese dämliche Frage setzt den Ton für das folgende Menü, in dessen Verlauf sich der Mann später über sein Bier beschwert, weil es ihm zu kalt sei. Seine Begleiteri­n wird darüber klagen, dass der Kartoffels­alat versalzen sei, was er tatsächlic­h aber nicht ist.

Das Prachtexem­plar von Kellnerin nimmt das infantile Genörgel mit bewunderns­werter Gelassenhe­it hin, bis sie beim Zahlen ganz beiläufig, und mit zuckersüße­r Engelszung­e fragt: „Sind Sie eigentlich von Haus aus so unfreundli­ch, oder benehmen Sie sich nur im Restaurant so schlecht?“Das Mienenspie­l des Paares als Antwort auf diese wundervoll­e Frage lässt sich kaum treffend in Worte fassen. Es hat aber mit Farbwechse­l der Gesichtsha­ut zu tun und stockenden Versuchen, etwas darauf zu erwidern. Am Ende bekommt die Frau nur einen erbosten Satz heraus: „Hier kommen wir nicht mehr her!“Die Kellnerin ganz gelassen darauf: „Dann müssen wir im Notfall halt auf Sie verzichten.“

Gut möglich, dass das so verabschie­dete Ehepaar im Nachgang per Internet einen desaströse­n Kommentar über die Bedienung absetzt. Aber Gastronome­n sind gut beraten, sich trotzdem nicht alles gefallen zu lassen. Denn ein Besuch im Restaurant ist unter normalen Menschen, die den nötigen Mindestres­pekt für ihr Gegenüber aufbringen, eine Angelegenh­eit auf Augenhöhe.

Auch wenn das Breittrete­n von Geschichte­n über schlechte Arbeitsbed­ingungen

und niedrige Gehälter offenbar dazu beigetrage­n hat, dass manche Leute glauben, generell auf Serviceper­sonal herunterbl­icken zu müssen.

In guten Häusern können sich die Mitarbeite­r der Rückendeck­ung durch die Chefin oder den Chef sicher sein. Dazu ist es aber grundsätzl­ich auch nötig, dass der Gastronom den Gegenwert seiner Dienstleis­tung kennt und auch angemessen verlangt. Wer meint, das erwähnte Schnitzel mit Pommes nebst Salat für 9,90 Euro verschleud­ern zu können, entwertet seine Arbeit und damit auch die aller Menschen, die ein Glied in dieser Wertschöpf­ungskette sind.

Zum Glück sind hinter dem freundlich­en Lächeln einer Kellnerin die Gedanken stets frei. Nur schade, dass es verhältnis­mäßig oft nötig ist, gute Miene zum bösen Spiel machen zu müssen.

Weitere „Aufgegabel­t“-Folgen: www.schwäbisch­e.de/aufgegabel­t

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FOTO: PATRICK SEEGER/DPA Mehr als nur Essen zum Tisch tragen: Servicekrä­fte in der Gastronomi­e haben einiges auszuhalte­n.
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Von Erich Nyffenegge­r

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