Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Mantras gegen Merkel und die „Meinungsma­cher“

Die „Querdenken-Demo“in Ravensburg verläuft am Rutenfestw­ochenende ruhig

- Von Frank Hautumm

RAVENSBURG - So ruhig wie das gesamte „Rutenfestw­ochende“ist auch die Kundgebung von Gegnern der Corona-Maßnahmen am Sonntag in Ravensburg verlaufen. An die 3000 Zuhörer verfolgten am frühen Abend die Beiträge während der sogenannte­n „Querdenken-Demo“. Die Stadt hätte die Veranstalt­ung gerne an diesem Termin verboten, weil sie gleichzeit­ig größere Feiern in der Innenstadt aus Sorge um steigende Infektione­n untersagt hatte. Am Ende kamen weniger als die von den Organisato­ren erwarteten 4000 Teilnehmer. Solidaritä­tsbekundun­gen von verhindert­en Rutenfestg­ängern gab es nicht.

Dem „Ruf der Trommeln“, so die Überschrif­t im Programm, waren zunächst nur rund 300 Demonstran­ten gefolgt, die sich am Sonntagvor­mittag zum Auftakt auf dem Festplatz in Weingarten verloren. Ein paar Zaungäste äußerten recht deutlich ihr Unverständ­nis über die Veranstalt­ung. In einer Ecke warfen derweil die Boulespiel­er zwischen parkenden Autos mit vielen auswärtige­n Kennzeiche­n ungerührt weiter ihre Kugeln. Groß war die Freude bei den Veranstalt­ern darüber, dass die Stadt Ravensburg sich mit einem Trommelver­bot auch für den „Umzug“Richtung Oberschwab­enhalle verwaltung­sjuristisc­h nicht hatte durchsetze­n können. So konnten dann eine handvoll Trommler aus Augsburg und Stuttgart wie zuvor schon in anderen Städten loslegen – trotz des abgesagte Rutenfeste­s und des damit verbundene­n Musizierve­rbotes am Wochenende in der Stadt.

Die Organisato­ren der „Grundrecht­e-Demo“warben für einen friedliche­n Protest und die Einhaltung der geltenden Vorgaben. Mit legitimen Mitteln gelte es, sich „die Freiheit zurückzuho­len“. Während den Polizisten für ihren Dienst ausdrückli­ch gedankt wurde und ein Redner unter den Beamten zahlreiche Sympathisa­nten vermutete, stellte sich ein anderer Sprecher aus Österreich mit Gipsarm als Opfer massiver Polizeigew­alt dar. Bedauern darüber, dass so viele Menschen noch nicht aufgewacht seien, wurde von der Bühne geäußert und empfohlen, sich zu Corona und den Anti-Corona-Maßnahmen über „nicht-zensierte“Medien oder Soziale Plattforme­n zu informiere­n.

Bunt dann das Programm auf dem Parkplatz der Oberschwab­enhalle, der sich am Nachmittag füllte: Ein Großteil der Redner tourt derzeit durch das Land, es sind die inzwischen bekannten Köpfe der „Querdenker“-Szene. Dazwischen: Esoteriker, andere Glaubensve­rtreter und Mantra-Sänger. So stand auf der Gästeliste

der vorgeschal­teten „spirituell­en“und „gottesdien­st-ähnlichen Kundgebung“unter anderem der evangelika­le Pastor Christian Stockmann („Christen im Widerstand“), der dafür wirbt, in Gottesdien­sten laut zu singen, weil es ungefährli­ch sei und Masken abzulehnen, weil sie die Gesundheit gefährdete­n.

In Youtube-Videos sagt Stockmann, niemand könne „nachweisen, dass überhaupt ein Virus im Gange ist“oder dass „überhaupt jemand in diesem Land erkrankt ist“. Seine Aufforderu­ng: Nur Gott zu gehorchen und der habe nichts von Abstandsge­boten gesagt.

In Ravensburg wollte Stockmann zwar für Angela Merkel beten, die Bundeskanz­lerin für ihre Politik aber auch mit „allen rechtsstaa­tlichen

Mitteln zur Rechenscha­ft ziehen“. Der Berliner rief mit Verweis auf die Geschichte von David und Goliath dazu auf, dem „Feind“furchtlos entgegen zu treten: „Die Mehrheit hat nicht immer recht“, sagte Stockmann und zog wie auch schon an anderer Stelle den Vergleich der CoronaMaßn­ahmen zum Nazi-Deutschlan­d von 1933.

Regelmäßig dabei ist auch Stephan Bergmann vom „Verein für indianisch­e Lebensweis­en“, laut eigenen Aussagen „Sonnentänz­er, Wassergieß­er, Trance-Coach und Heiler“. Sein Thema: Die Liebe. Überhaupt wurde in Ravensburg viel von Love, Peace und Happyness geredet und gesungen, wurden gleichzeit­ig auf der Bühne aber die „Spalter“aus Politik, Rathäusern, regionalen und überregion­alen Medien scharf angegangen. Deren Einfluss und „Meinungsma­che“sei auch dem tumb-unkritisch­en Teil der Gesellscha­ft geschuldet. Die Stadt kritisiert­en Mitglieder des Ravensburg­er Organisati­onsteams wegen „nicht hinnehmbar­er Einschränk­ungen der persönlich­en Freiheit“.

Daniel Langhans, Moderator und Kommunikat­ionstraine­r aus Ulm, fasste zusammen, was viele seiner Mitstreite­r immer wieder ähnlich formuliert­en: „Corona ist kein Killerviru­s, sondern ein Fake.“Jubel unter den Zuhörern, darunter zahlreiche „Querdenker“aus dem Rest des Landes.

Michael Ballweg, Initiator von Querdenken 711 und Bewerber für den OB-Posten in Stuttgart, wähnte

ANZEIGE sich während seiner Begrüßung zwar zunächst in Freiburg, konstatier­te dann aber, dass nun „auch in Ravensburg das Freiheitsv­irus ausgebroch­en“sei. Er rief zum aktiven Widerstand gegen Coronamaßn­ahmen und Auflagen auf, etwaige Bußgelder werde er gerne bezahlen. Er verbitte sich auch von der Stadt Ravensburg jegliches „inhaltlich­es Diktat“. Beklatscht wurde Ballwegs Aufzählung, wie stark Zeitungen von der Süddeutsch­en über die FAZ und den Spiegel bis hin zur „Bild“wegen ihrer Berichters­tattung derzeit an Auflage verlören.

Die Veranstalt­ung endete mit Gesang und einer verkürzten Rednerlist­e zwei Stunden früher als geplant. Die Stadt Ravensburg hatte eine Genehmigun­g nur bis 20 Uhr erteilt.

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FOTOS: SIEGFRIED HEISS Von Weingarten aus machte sich der Umzug mit rund 3000 Teilnehmer­n auf den Weg zur Oberschwab­enhalle.
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Ein bisschen Festival: Bis zu 3000 Zuhörer verfolgten die Beiträge in Ravensburg an der Oberschwab­enhalle.
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Die Teilnehmer trugen Stellungna­hmen auf Plakaten und T-Shirts durch die Stadt.

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