Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Mantras gegen Merkel und die „Meinungsmacher“
Die „Querdenken-Demo“in Ravensburg verläuft am Rutenfestwochenende ruhig
RAVENSBURG - So ruhig wie das gesamte „Rutenfestwochende“ist auch die Kundgebung von Gegnern der Corona-Maßnahmen am Sonntag in Ravensburg verlaufen. An die 3000 Zuhörer verfolgten am frühen Abend die Beiträge während der sogenannten „Querdenken-Demo“. Die Stadt hätte die Veranstaltung gerne an diesem Termin verboten, weil sie gleichzeitig größere Feiern in der Innenstadt aus Sorge um steigende Infektionen untersagt hatte. Am Ende kamen weniger als die von den Organisatoren erwarteten 4000 Teilnehmer. Solidaritätsbekundungen von verhinderten Rutenfestgängern gab es nicht.
Dem „Ruf der Trommeln“, so die Überschrift im Programm, waren zunächst nur rund 300 Demonstranten gefolgt, die sich am Sonntagvormittag zum Auftakt auf dem Festplatz in Weingarten verloren. Ein paar Zaungäste äußerten recht deutlich ihr Unverständnis über die Veranstaltung. In einer Ecke warfen derweil die Boulespieler zwischen parkenden Autos mit vielen auswärtigen Kennzeichen ungerührt weiter ihre Kugeln. Groß war die Freude bei den Veranstaltern darüber, dass die Stadt Ravensburg sich mit einem Trommelverbot auch für den „Umzug“Richtung Oberschwabenhalle verwaltungsjuristisch nicht hatte durchsetzen können. So konnten dann eine handvoll Trommler aus Augsburg und Stuttgart wie zuvor schon in anderen Städten loslegen – trotz des abgesagte Rutenfestes und des damit verbundenen Musizierverbotes am Wochenende in der Stadt.
Die Organisatoren der „Grundrechte-Demo“warben für einen friedlichen Protest und die Einhaltung der geltenden Vorgaben. Mit legitimen Mitteln gelte es, sich „die Freiheit zurückzuholen“. Während den Polizisten für ihren Dienst ausdrücklich gedankt wurde und ein Redner unter den Beamten zahlreiche Sympathisanten vermutete, stellte sich ein anderer Sprecher aus Österreich mit Gipsarm als Opfer massiver Polizeigewalt dar. Bedauern darüber, dass so viele Menschen noch nicht aufgewacht seien, wurde von der Bühne geäußert und empfohlen, sich zu Corona und den Anti-Corona-Maßnahmen über „nicht-zensierte“Medien oder Soziale Plattformen zu informieren.
Bunt dann das Programm auf dem Parkplatz der Oberschwabenhalle, der sich am Nachmittag füllte: Ein Großteil der Redner tourt derzeit durch das Land, es sind die inzwischen bekannten Köpfe der „Querdenker“-Szene. Dazwischen: Esoteriker, andere Glaubensvertreter und Mantra-Sänger. So stand auf der Gästeliste
der vorgeschalteten „spirituellen“und „gottesdienst-ähnlichen Kundgebung“unter anderem der evangelikale Pastor Christian Stockmann („Christen im Widerstand“), der dafür wirbt, in Gottesdiensten laut zu singen, weil es ungefährlich sei und Masken abzulehnen, weil sie die Gesundheit gefährdeten.
In Youtube-Videos sagt Stockmann, niemand könne „nachweisen, dass überhaupt ein Virus im Gange ist“oder dass „überhaupt jemand in diesem Land erkrankt ist“. Seine Aufforderung: Nur Gott zu gehorchen und der habe nichts von Abstandsgeboten gesagt.
In Ravensburg wollte Stockmann zwar für Angela Merkel beten, die Bundeskanzlerin für ihre Politik aber auch mit „allen rechtsstaatlichen
Mitteln zur Rechenschaft ziehen“. Der Berliner rief mit Verweis auf die Geschichte von David und Goliath dazu auf, dem „Feind“furchtlos entgegen zu treten: „Die Mehrheit hat nicht immer recht“, sagte Stockmann und zog wie auch schon an anderer Stelle den Vergleich der CoronaMaßnahmen zum Nazi-Deutschland von 1933.
Regelmäßig dabei ist auch Stephan Bergmann vom „Verein für indianische Lebensweisen“, laut eigenen Aussagen „Sonnentänzer, Wassergießer, Trance-Coach und Heiler“. Sein Thema: Die Liebe. Überhaupt wurde in Ravensburg viel von Love, Peace und Happyness geredet und gesungen, wurden gleichzeitig auf der Bühne aber die „Spalter“aus Politik, Rathäusern, regionalen und überregionalen Medien scharf angegangen. Deren Einfluss und „Meinungsmache“sei auch dem tumb-unkritischen Teil der Gesellschaft geschuldet. Die Stadt kritisierten Mitglieder des Ravensburger Organisationsteams wegen „nicht hinnehmbarer Einschränkungen der persönlichen Freiheit“.
Daniel Langhans, Moderator und Kommunikationstrainer aus Ulm, fasste zusammen, was viele seiner Mitstreiter immer wieder ähnlich formulierten: „Corona ist kein Killervirus, sondern ein Fake.“Jubel unter den Zuhörern, darunter zahlreiche „Querdenker“aus dem Rest des Landes.
Michael Ballweg, Initiator von Querdenken 711 und Bewerber für den OB-Posten in Stuttgart, wähnte
ANZEIGE sich während seiner Begrüßung zwar zunächst in Freiburg, konstatierte dann aber, dass nun „auch in Ravensburg das Freiheitsvirus ausgebrochen“sei. Er rief zum aktiven Widerstand gegen Coronamaßnahmen und Auflagen auf, etwaige Bußgelder werde er gerne bezahlen. Er verbitte sich auch von der Stadt Ravensburg jegliches „inhaltliches Diktat“. Beklatscht wurde Ballwegs Aufzählung, wie stark Zeitungen von der Süddeutschen über die FAZ und den Spiegel bis hin zur „Bild“wegen ihrer Berichterstattung derzeit an Auflage verlören.
Die Veranstaltung endete mit Gesang und einer verkürzten Rednerliste zwei Stunden früher als geplant. Die Stadt Ravensburg hatte eine Genehmigung nur bis 20 Uhr erteilt.