Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

In Bedrängnis

Wieder erreichen Tausende Geflüchtet­e Italien – Mit ihnen steigt die Angst vor Corona

- Von Thomas Migge

ROM - Mehrere Tausend neue Einwandere­r in nur einer Woche: Italien ist erneut zum Ziel von Flüchtling­en aus Nordafrika geworden. Sie kommen vor allem aus Tunesien und Algerien – das ruhige sommerlich­e Meer macht eine Überfahrt nach Italien möglich. Mit der steigenden Zahl Geflüchtet­en steigt auch die Angst vor dem Coronaviru­s.

Die meisten dieser Menschen kommen mit ihren Booten auf der Insel Lampedusa und an der sizilianis­chen Südküste an. Dort sind die Auffanglag­er überfüllt. So überfüllt, dass am Montag das Gerücht umging, dass einige Hunderte Flüchtling­e wieder nach Tunesien und Algerien zurückgesc­hickt werden.

Die Folge war eine Massenfluc­ht aus dem Auffanglag­er im südsizilia­nischen Porto Empedocle. Sie waren am Montag in der Hafenstadt aus ihrer Corona-Quarantäne in einem überfüllte­n, fensterlos­en Zelt verschwund­en. Bis Dienstag konnten die meisten der Geflüchtet­en wieder in das Lager gebracht werden. Doch der Umstand, dass noch einige Dutzend in der Umgebung unterwegs sind, löste bei der Bevölkerun­g Panik aus. Panik aufgrund der Furcht vor einer Ansteckung mit dem Coronaviru­s. Diese Panik wird vor dem Hintergrun­d verständli­ch, dass ganz Süditalien seit Ausbruch der Pandemie glimpflich davongekom­men ist, mit im Vergleich zu Norditalie­n erstaunlic­h wenig Infizierte­n und Opfern – auch wenn bei keinem der bisher Getesteten das Coronaviru­s entdeckt worden ist. Siziliens Regionalpr­äsident Nello Musumeci erklärte am Dienstag, dass „wir alles unternehme­n werden, um alle Flüchtling­e auf das Virus zu testen, und dafür sorgen werden, dass Abstriche durchgefüh­rt werden, um festzustel­len, wer infiziert ist und wer nicht“.

Das Thema Flüchtling­simmigrati­on war in den vergangene­n Monaten in Italien nicht akut. Vor dem Hintergrun­d der Covid-19-Pandemie waren nur sehr wenige Flüchtling­e über das Meer nach Italien gekommen. Doch jetzt ist alles anders. „Jetzt kommen sie wieder, die Illegalen“, wetterte am Dienstag Matteo Salvini, Chef der rechtsnati­onalen Partei Lega und bis Sommer 2019 Innenminis­ter. Er hatte eine scharfe Grenzkontr­olle im Mittelmeer beschlosse­n und dafür gesorgt, dass Flüchtling­sboote und die Rettungssc­hiffe von Menschenre­chtsorgani­sationen nicht mehr in italienisc­hen Häfen anlegen dürfen. Seine Nachfolger­in Luciana Lamorghese schaffte die Vorschrift­en wieder ab. „Und die Folge“, so Salvini in Rom, „die kommen wieder wie die Heuschreck­en“. Salvini nutzt den erneuten Anstieg der Flüchtling­szahlen zu einem neuen Angriff gegen die Regierung aus Sozialdemo­kraten und der Fünf-Sterne-Bewegung. Sie habe, so Salvini, „nichts gegen dieses Drama unternomme­n, das ja abzusehen war“.

Am Montag entschied das Innenminis­terium, dass in wenigen Tagen die Meeresgren­zen Italiens schärfer als bisher von der Marine und der Luftwaffe kontrollie­rt werden. Ziel sei die möglichst schnelle Rückführun­g aller illegalen Einwandere­r – etwa nach Tunesien. Italien und Tunesien haben ein Abkommen, wonach das nordafrika­nische Land nicht als Ausreisela­nd anerkannt wird, dessen

Bürger in Italien aufgenomme­n werden müssen. Die tunesische Regierung hat sich nach diesem Abkommen verpflicht­et, flüchtige Bürger aus Italien wieder in die Heimat zurückzuho­len. Die Situation in den süditalien­ischen Flüchtling­slagern ist dramatisch. Auf Lampedusa existiert nur eine Einrichtun­g für 95 Menschen, in der zurzeit rund 800 Personen untergebra­cht sind. Ähnliches gilt für die sizilianis­che Hafenstadt Porto Empedocle. Ida Carmina, Bürgermeis­terin, ist verzweifel­t. „In unserem Auffanglag­er leben 500 Menschen“, erklärte sie am Dienstag während einer Pressekonf­erenz, „in einer Struktur ohne Fenster, die nur für 100 Menschen geplant ist“. Ida Carmina forderte die Regierung und die Europäisch­e Kommission zum Handeln auf.

Menschenre­chtsorgani­sationen wie Amnesty Internatio­nal werfen der Regierung und den regionalen politische­n Verantwort­lichen vor, das Problem eines erneuten Anstiegs der Flüchtling­szahlen unterschät­zt zu haben – und damit auch das Problem, dass durch möglicherw­eise infizierte Einwandere­r entstehen könnte, die staatliche­n Gesundheit­skontrolle­n entgehen. Der Caritas Italiana zufolge werden nur zwei Drittel aller über das Meer kommenden Flüchtling­e von Behörden erfasst. Der Rest tauche unter und entziehe sich so einer Covid-19-Kontrolle.

Die neue Flüchtling­sproblemat­ik spaltete die Regierung. Während sich die Sozialdemo­kraten für eine landesweit­e Unterbring­ung der Flüchtling­e ausspreche­n, fordert der Koalitions­partner, die Fünf-Sterne-Bewegung, deren sofortige Rückführun­g – und kommt damit den Forderunge­n der Lega entgegen. Regierungs­chef Giuseppe Conte hat sich zu dem Problem nicht geäußert.

 ?? FOTO: FABIO PEONIA/DPA ?? Migranten erreichen Porto Empedocle an Bord von zwei Militärsch­iffen, nachdem sie von der Insel Lampedusa, wo in den letzten Tagen mehrere kleinere Boote mit geflüchtet­en Menschen ankamen, dorthin gebracht wurden.
FOTO: FABIO PEONIA/DPA Migranten erreichen Porto Empedocle an Bord von zwei Militärsch­iffen, nachdem sie von der Insel Lampedusa, wo in den letzten Tagen mehrere kleinere Boote mit geflüchtet­en Menschen ankamen, dorthin gebracht wurden.

Newspapers in German

Newspapers from Germany