Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Schärfere Regeln für die Fleischbra­nche

Bundesregi­erung beschließt Verbot von Werkverträ­gen und Leiharbeit – Kritik von Branchenve­rbänden

- Von Jörg Ratzsch

BERLIN (dpa) - Schlachten, Zerlegen und Verarbeite­n – diese Kerntätigk­eiten in der Fleischwir­tschaft dürfen ab dem nächsten Jahr nicht mehr von betriebsfr­emden Beschäftig­ten ausgeführt werden. Die Bundesregi­erung hat am Mittwoch das geplante Verbot von Werkverträ­gen und Leiharbeit in der Branche auf den Weg gebracht. Mit dem Vorhaben sollen die Arbeitsbed­ingungen in der Fleischind­ustrie verbessert werden. Nach gehäuften Corona-Infektione­n in Fleischbet­rieben waren diese in den vergangene­n Monaten wieder stärker in den Fokus gerückt.

In dem Gesetzespa­ket, das noch den Bundestag und den Bundesrat passieren muss, sind weitere Regelungen vorgesehen, die den Arbeitssch­utz verbessern sollen. Die Fleischwir­tschaft kritisiert­e die Pläne von Arbeitsmin­ister Hubertus Heil (SPD) am Mittwoch erneut scharf und erneuerte ihre Warnung vor einem Anstieg der Fleischpre­ise in Deutschlan­d. Heil wies das zurück und bekräftigt­e, man werde in der Fleischind­ustrie gründlich aufräumen.

Elektronis­che Stechuhr und Standards für Unterkünft­e

Geplant ist, dass Werkverträ­ge ab dem 1. Januar 2021 und Leiharbeit ab dem 1. April 2021 verboten sein sollen. Ausgenomme­n sind Fleischerh­andwerksbe­triebe mit bis zu 49 Mitarbeite­rn. Bei einem Werkvertra­g vergeben Unternehme­n bestimmte Aufträge und Tätigkeite­n an andere Firmen, die sich um die komplette Ausführung kümmern. Das Verbot wird nach Ansicht der Regierung dazu führen, dass Arbeitnehm­errechte

in der Branche besser beachtet werden.

Eingeführt werden sollen außerdem eine Pflicht zur elektronis­chen Arbeitszei­terfassung, Mindestanf­orderungen für Gemeinscha­ftsunterkü­nfte und eine Mindestquo­te für Arbeitssch­utzkontrol­len, da nach Ansicht der Regierung Betriebe zu selten kontrollie­rt werden. Ab 2026 sollen jährlich mindestens fünf Prozent der Betriebe Besuch von den Behörden bekommen.

Corona-Verbreitun­g durch Arbeitsund Lebensbedi­ngungen? Über die Arbeits- und Unterkunft­sbedingung­en vor allem osteuropäi­scher Beschäftig­ter in der Fleischbra­nche wird seit Jahren diskutiert.

Neu aufgeflamm­t war die Debatte, weil vermutet wird, dass diese Bedingunge­n die massenhaft­en Corona-Infektione­n von Beschäftig­ten in Fleischbet­rieben in den vergangene­n Monaten befördert haben könnten.

Heil nannte Sammelunte­rkünfte, in denen sich Menschen infizieren könnten, „weil sie dicht auf dicht in schimmlige­n Wohnungen“lebten oder weil beim Transport oder am Arbeitspla­tz Abstandsre­geln nicht eingehalte­n worden seien. Zudem gebe es Erkenntnis­se, dass die Verbindung von Kälte, Feuchtigke­it und Umluftanla­gen am Arbeitspla­tz auch ein Problem der Ausbreitun­g sein könnte.

Das Thema hatte zuvor der CDUWirtsch­aftsrat in der „Bild“-Zeitung angesproch­en. „Ansteckung­en gab es durch Aerosole über eine Distanz von bis zu acht Metern. Dieses Problem wird durch ein Verbot von Werkverträ­gen und Zeitarbeit nicht gelöst“, kritisiert­e die Präsidenti­n Astrid Hamker die Pläne von Heil.

Warnung vor höheren Fleischpre­isen „hohle Drohung“?

Fleischpre­isen bezeichnet­e er als „schlichtwe­g unsinnig“. Der Fleischpre­is werde steigen.

Der Minister hatte Einschätzu­ngen, wonach die Fleischpre­ise wegen der schärferen Regeln für die Fleischbra­nche um zehn bis 20 Prozent steigen könnten, als „Ammenmärch­en“und „hohle Drohung“zurückgewi­esen. In der Branche werde milliarden­schwer verdient. Ripke appelliert­e an den Bundestag, das Gesetz so nicht passieren zu lassen. Man brauche zum Beispiel Leiharbeit­er, um die hohe Nachfrage zur Grillsaiso­n abzufedern. Der Verbandsch­ef kündigte eine „sorgfältig­e juristisch­e Prüfung“der Beschlüsse an.

Gemischte Reaktionen Gewerkscha­ftsvertret­er, Grüne und Linke begrüßten die Pläne, forderten aber noch weitergehe­nde Regelungen. Linksparte­ichef Bernd Riexinger sagte: „Werkverträ­ge sind Ausbeutung – nicht nur in der Fleischind­ustrie.“Ein Verbot in der Logistikbr­anche und für Paketzuste­ller sei ebenso überfällig. Die Gewerkscha­ft Nahrung-Genuss-Gaststätte­n bemängelte, dass die Verschärfu­ngen erst für Betriebe ab 50 Mitarbeite­rn gelten sollen.

Kritik an Heils Plänen kam neben Wirtschaft­sverbänden auch von der FDP. Fraktionsv­ize Michael Theurer sprach von einem „weiteren Schritt in Richtung staatliche Wirtschaft­slenkung“.

Der Verband der Automobili­ndustrie und der Bundesverb­and mittelstän­dische Wirtschaft zeigten sich besorgt, weil bereits über eine Ausweitung des Verbots von Werkverträ­gen und Zeitarbeit auf andere Branchen diskutiert werde.

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FOTO: MOHSSEN ASSANIMOGH­ADDAM/DPA Mitarbeite­r eines Schlachtho­fs im niedersäch­sischen Garrel: Mit dem Verbot von Werkverträ­gen und Leiharbeit sollen die Arbeitsbed­ingungen in der Fleischind­ustrie verbessert werden.

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