Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Verschwinden und Wiedererscheinen
75 Jahre nach Kriegsende zeigt die Sigmaringer Kreisgalerie Arbeiten von fünf Künstlern zum NS-Unrecht
MESSKIRCH - Fünf Künstler haben sich im Auftrag des Kreises Sigmaringen mit der Thematik „NS-Unrecht und Widerstand im Spiegel der Kunst“auseinandergesetzt. Die Sigmaringer Kreisgalerie Schloss Meßkirch zeigt jetzt die 94 Arbeiten von Karolin Bräg, Eckhard Froeschlin, Bernhard Maier, Nikolaus Mohr und Roland Wilhelm Schmitt in einer Ausstellung bis zum 18. Oktober.
Die Idee zu dieser Ausstellung ist 2015 anlässlich von 70 Jahren Kriegsende entstanden und der Kreis hat in den folgenden fünf Jahren die Arbeiten angekauft. Der Auftrag beinhaltete die Beschäftigung mit Schicksalen aus der NS-Zeit, die in Verbindung mit dem Kreis Sigmaringen stehen. Dazu war eine mehrteilige oder serielle Auseinandersetzung mit dem Thema gefordert.
Nikolaus Mohr hat sich mit Sophie Scholl beschäftigt, die für sechs Monate beim Reichsarbeitsdienst im Schloss Krauchenwies untergebracht war und 1943 als Mitglied der studentischen Widerstandsorganisation „Weiße Rose“hingerichtet wurde. Mohrs Arbeiten bestehen aus zwei Teilen. Es gibt einen siebenteiligen Zeichungszyklus zu den Lebensstationen von Sophie Scholl, eine Art Graphic Novel, vom Geburtsort Forchtenberg bis zu ihrer Hinrichtung im Gefängnis Stadelheim.
Außerdem befasst Mohr sich in drei Arbeiten mit der Erinnerung an Sophie Scholl. Dabei zeigt eine computergenerierte Bildserie das schrittweise Verschwinden von Scholls Gesicht und damit der Erinnerung. Das von Puzzleteilen und Flugblättern umgebene Porträt von Scholl versinnbildlicht die fragmentarische Rekonstruktion der Erinnerung, und ein Laserdruck auf Schieferplatte verweist auf den Denkmalcharakter der Widerstandsikone.
Mit einer weiteren Person des Widerstands setzt sich Eckhard Froeschlin auseinander. Reinhold Frank aus dem Ostracher Teilort Bachhaupten verteidigte als Rechtsanwalt Widerständler gegen den NSStaat und wurde 1945 im Zusammenhang mit dem Hitler-Attentat in Plötzensee hingerichtet. Auch der Grafiker Froeschlin zitiert in seinen fünf Radierungen Lebensstationen von Frank. Ausgangspunkt ist hier die barocke Kirche in Bachhaupten, in der Frank seine christliche Prägung erfahren hat. Weitere Stationen sind der Volksgerichtshof und der Hinrichtungskeller in Plötzensee. Nachhaltigen Eindruck hat auf Froeschlin ein Porträt von Frank im Gerichtssaal, wo er sich mit erhobener Hand verteidigt. Dieses Motiv findet sich in drei der Arbeiten wieder, besonders deutlich in einer fast lebensgroßen Darstellung des Widerstandskämpfers.
Roland Wilhelm Schmitt ist dem Schicksal zweier polnischer Zwangsarbeiter nachgegangen. Jan Kobus und Mirtek Grabowski wurden wegen „Rassenschande“, einer Liebelei mit deutschen Frauen, in Pfullendorf und Ruschweiler öffentlich hingerichtet. Schmitts Bildfolge verbindet mit den Namen der Ermordeten Früchte und Samen der Bäume, an denen die beiden Zwangsarbeiter aufgehängt wurden, und das diskriminierende Polen-Abzeichen, Äquivalent zum Judenstern. Ein aus Ruschweiler überliefertes Foto von Grabowski variiert Schmitt in einer Abfolge von Digitaldrucken auf der Basis von Leinöl und Asche als Verschwinden und Wiedererscheinen des NS-Opfers.
Einen ganz anderen Weg beschreitet Karolin Bräg. Sie kombiniert 36 Zitate zum Schicksal der 90 Behinderten oder psychisch Kranken aus dem Landeskrankenhaus in Sigmaringen, die in Grafeneck und Hadamar ermordet wurden. Die Zitate stammen aus Gesprächen mit Angehörigen der Opfer, mit Krankenhauspersonal, mit Menschen mit Beeinträchtigungen und deren Angehörigen. So ergibt sich statt eines Bilderbogens ein Gedankenspektrum, das eine ganze Wand füllt und zum Nachdenken über Schuld, Moral, Verantwortung, Menschenwürde anregt. „Ist der Wert eines Menschen verhandelbar?“, fragt einer der Gesprächspartner von Karolin Bräg.
Bernhard Maier schließlich ist der Geschichte der jüdischen Familie Frank, die aus Sigmaringen vertrieben wurde, nachgegangen. Maiers Arbeiten präsentieren sich in drei Teilen. Da gibt es die vierteilige Serie „Inhaftierung“, die auf dem Eintrag im Häftlingsbuch des Sigmaringer Amtsgerichts anlässlich der Verhaftung von Sigfried Frank nach der Reichspogromnacht basiert und die in dunkler Sepialasur Blicke in die Finsternis bietet. Unter dem Titel „Vertreibung“werden auf drei Tafeln Fotos der Familie Frank mit Sperrholzreliefs verbunden, die das Zerbrechen einer heilen Welt zeigen. Schließlich kombinieren drei Werke historische Familienbilder mit Zitaten, darunter ein hämischer Text aus dem Sigmaringer Narrenblatt 1939.
Im angeschlossenen Turmzimmer ist zusätzlich eine Auswahl von Porträts der „Galerie der Aufrechten“zu sehen, die der verstorbene Weingartener Professor Wolfgang Marcus als Geschäftsführer des „Denkstättenkuratoriums NS-Dokumentation Oberschwaben“angeregt hat.