Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Marathon in der Krise
Laufszene bekommt Corona-Krise schmerzhaft zu spüren – Zahlreiche Absagen für Profis und Amateure
BERLIN (dpa/tk) - Nun ist der sprichwörtliche lange Atem der Marathonläufer gefragt: Hunderttausende Freizeitläufer können in Corona-Zeiten nicht mehr an den Start gehen, den Elite-Athleten fehlen Wettkämpfe und Einkünfte, die Veranstalter bangen um ihre Zukunft. Die Corona-Pandemie hat so gut wie alle bedeutenden internationalen Laufveranstaltungen gestoppt, darunter die Klassiker von Berlin, Boston, New York und Chicago. Auch der Hamburg-Marathon wurde abgesagt, in Frankfurt deutet ebenfalls alles auf einen Ausfall hin. „Wir rechnen mit der Absage – sie ist in jedem Fall wahrscheinlicher als ein Stattfinden“, sagte Frankfurt-Organisator Jo Schindler. Die allein in Deutschland millionenschwere Branche City-Marathonlauf steht auf der Kippe.
Dazu kommen zahlreiche Absagen von Veranstaltungen für Breitensportler. Das beliebte Lauffieber in Bad Waldsee: abgesagt. Allgäu-Panorama-Marathon: abgesagt. Montafon-Arlberg-Marathon: abgesagt. Einstein-Marathon in Ulm: in diesem Jahr nur virtuell. Viele Veranstalter versuchen durch mehr oder weniger kreative Ideen, ihre Rennen im Gespräch zu halten – sei es durch virtuelle Rennen, Miniveranstaltungen mit gebührendem Abstand oder Gewinnspielen. Ein Lichtblick für viele Hobbyläufer aus der Region ist der Dreiländer-Marathon am Bodensee, der am 4. Oktober in Lindau starten soll. „Wir sind guter Dinge, dass wir alle einen schönen Läufer-Sonntag, natürlich unter Auflagen, erleben werden“, heißt es auf der Homepage. Doch auch hier haben die Veranstalter vorgesorgt. Sollte der Marathon doch abgesagt werden müssen, behalten alle, die sich bereits angemeldet haben, ihren Startplatz – entweder für 2021 oder sogar erst für 2022.
Für Tausende begeisterte Hobbyläufer sind die Absagen schade, für Leistungssportler dagegen existenzgefährdend. „Wenn weiterhin keine bedeutenden Rennen stattfinden dürfen, ist bei den Leistungssportlern ein Rückfall in den Semi-Amateurstatus zu befürchten“, sagt Manager Christoph Kopp, der unter anderen Hendrik Pfeiffer, Amanal Petros und die Laichingerin Alina Reh betreut. „Ausrüsterverträge federn zurzeit noch etwas ab, aber sie dürften auch reduziert werden, denn sie sind leistungsabhängig. Ohne Wettkämpfe ist natürlich keine Leistung möglich“, erklärt Kopp. „Die Enttäuschung ist riesig bei allen.“
Solange das Verbot für Großveranstaltungen gilt und es für Veranstalter trotz aufwendiger Hygienekonzepte kaum politische Unterstützung gibt, sieht es schlecht aus. „Noch hat niemand das Handtuch geworfen. Aber eine zweite Absage 2021 wird so gut wie keiner verkraften, dann gibt es eine Pleitewelle“, sagt Horst Milde, Vorsitzender der deutschen Straßenlaufveranstalter, German Road Races (GRR). Im April hat GRR beim Innenministerium einen Rettungsfonds für den Straßenlaufsport beantragt. „Bisher ist noch nichts entschieden“, sagt Milde.
International hegen ein paar Veranstalter bedeutender Rennen noch Hoffnungen: Amsterdam, Istanbul, Paris oder auch London gehören dazu. München hat mit großem Aufwand ein Schutzkonzept vorgelegt, das beispielhaft sein könnte für einen Neuanfang des internationalen Laufsports. In Hamburg sollte der Veranstalter jedoch nicht nur für die
Teilnehmer, sondern auch für etwaige Zuschaueransammlungen außerhalb von Start- und Zielbereichen Konzepte umsetzen. Dies ist bei einer Streckenlänge von 42,195 Kilometern nicht zu leisten – und war mit ein Grund dafür, dass sich die Veranstalter in der Hansestadt doch lieber für die Absage entschieden.
Branchenkenner Jos Hermens ist ebenfalls skeptisch. Der niederländische Manager betreut unter anderen Kenias Marathon-Superstar Eliud
Kipchoge. „In Afrika ist es ein Drama“, warnt der frühere Weltklasseläufer. Die absoluten Stars der Szene sind aufgrund guter Werbeverträge bislang noch nicht gefährdet. Aber selbst für Athleten, die WeltklasseMarathonzeiten von 2:05 Stunden (Männer) beziehungsweise 2:21 Stunden (Frauen) erreichen, wird es schwierig. „Sie sind abhängig von Preisgeldern“, meint Hermens, sagt aber auch, dass Kenianer oder Äthiopier nicht so schnell aufgeben. „Sie akzeptieren die Situation, sie haben in ihrem Leben gelernt, mit schwierigen Bedingungen fertig zu werden.“
Hermens gehört auch zum Organisationsteam des Amsterdam-Marathons, der für den 18. Oktober geplant ist. „Wir versuchen alles“, sagt er, „denn es ist wichtig für den gesamten Laufsport, dass Läufe wie Amsterdam stattfinden können.“Oder am Bodensee.
Hauptsache, es läuft wieder.