Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Das Drama geht weiter

SPD wirft Thilo Sarrazin aus der Partei, doch der will sich noch nicht geschlagen geben

- Von Teresa Dapp

BERLIN (dpa) - Im dritten Anlauf und nach mehr als zehn Jahren hat die SPD es geschafft: Thilo Sarrazin, der umstritten­e Bestseller-Autor und ExPolitike­r, ist nicht mehr Mitglied der Sozialdemo­kraten. Sein Rauswurf aus der Partei gehe in Ordnung, entschied am Freitag das oberste Schiedsger­icht der Partei, und teilte mit: „Sarrazin ist mit dieser Entscheidu­ng nicht mehr Mitglied der SPD.“Der Parteiauss­chluss diene dem „Schutz des Ansehens und der Glaubwürdi­gkeit der SPD“. Sarrazin stellte allerdings sofort klar, dass die Sache damit für ihn keinesfall­s erledigt sei.

SPD-Generalsek­retär Lars Klingbeil genoss den Erfolg trotzdem sichtlich. „Das Kapitel Thilo Sarrazin ist für uns beendet“, sagte er vor der Parteizent­rale in Berlin. „Er wird künftig seine rassistisc­hen, seine antimuslim­ischen Thesen nicht mehr unter dem Deckmantel einer SPDMitglie­dschaft verbreiten können.“Er rate, das zu akzeptiere­n und nicht beleidigt zu sein.

Sarrazin seinerseit­s hat nicht vor, die Entscheidu­ng zu akzeptiere­n. Der ehemalige Berliner Finanzsena­tor und Bundesbank­er hatte schon mehrfach angekündig­t, bis vor das Bundesverf­assungsger­icht zu ziehen für sein Parteibuch – das er zwischenze­itlich übrigens „trotz intensiver Suche nicht auffinden“konnte. Aus der SPD-Zentrale hieß es, er habe sich ein neues geben lassen, um es nun wieder abzugeben. Kaum war das Urteil öffentlich, kündigte Sarrazin an, es vor dem Berliner Landgerich­t anzufechte­n. „Aus meiner Sicht stand die Entscheidu­ng vor der mündlichen Verhandlun­g bereits fest“, sagte er. „Dies war kein offenes, ehrliches und faires Verfahren.“

Jede neue Runde bringt auch neue Aufmerksam­keit für Sarrazin und seine Bücher – kein Wunder, dass die Parteispit­ze das endlich hinter sich haben will. War es Zufall, dass der Verlag ausgerechn­et am Freitag zur Präsentati­on von Sarrazins neuem Buch einlud? „Der Staat an seinen Grenzen – Über Wirkung von Migration in Geschichte und Gegenwart“heißt es – kein ganz überrasche­ndes Thema.

Auslöser des aktuellen Verfahrens war Sarrazins 2018 erschienen­es Buch „Feindliche Übernahme: Wie der Islam den Fortschrit­t behindert und die Gesellscha­ft bedroht“. Er selbst findet, er habe „wissenscha­ftliche Sachbücher geschriebe­n“. Für die SPD-Spitze ist dagegen das Maß voll – und sie bekam von Schiedsger­ichten auf Kreis-, Landes- und zuletzt Bundeseben­e recht. Sarrazin habe „erheblich gegen die Grundsätze und die Ordnung der Partei verstoßen und ihr damit Schaden zugefügt“, schrieb die Bundesschi­edskommiss­ion. Ärger hat die SPD mit

Sarrazin aber nicht erst seit 2018, sondern seit mehr als einem Jahrzehnt. Erstmals offiziell rauswerfen wollte der Berliner Landesverb­and ihn 2009 nach einem Interview. Doch die Landesschi­edskommiss­ion sah damals keinen Verstoß gegen die Parteiordn­ung. Damals hatte Sarrazin, der seit 1973 in der SPD ist, etwa von der „Produktion von Kopftuchmä­dchen“gesprochen.

Ein weiteres Parteiordn­ungsverfah­ren folgte 2011, nachdem das Buch „Deutschlan­d schafft sich ab“erschienen war. Es endete in einer gütlichen Einigung zwischen Parteispit­ze und Autor. Die Provokatio­nen Sarrazins gegenüber seinen Genossen endeten damit freilich nicht. Er bewegte sich in rechten Kreisen, trat mit der rechten FPÖ in Österreich auf und 2018 neben AfD-Chef Jörg Meuthen, und er sprach auf Einladung der AfD auch im Bundestag.

Beim dritten Verfahren nun wollte die SPD-Spitze möglichst wasserdich­t vorgehen. Sie ließ erst mal eine Kommission das jüngste SarrazinBu­ch untersuche­n, holte gleich drei Gutachten von Wissenscha­ftlern ein – und drang dann auf den Parteiauss­chluss. „Wir haben akribisch in den letzten Monaten auf diesen Tag hingearbei­tet“, sagte Klingbeil.

Für einen Parteiauss­chluss sind die rechtliche­n Hürden bewusst hoch, damit das Instrument nicht missbrauch­t werden kann, um Kritik zu unterdrück­en. Das Verfahren kann für Parteien aber auch strategisc­h unangenehm sein, weil es ungeliebte­n Mitglieder­n immer wieder eine Bühne bietet. Viele Grüne etwa sähen es gern, wenn Tübingens Oberbürger­meister Boris Palmer die Partei verließe, der unter anderem mit Äußerungen über Migranten seine Parteikoll­egen regelmäßig ärgert. Die Parteispit­ze entzog dem Kommunalpo­litiker zwar ausdrückli­ch die Unterstütz­ung, strebt aber bisher keinen Ausschluss an – das Beispiel Sarrazin dürfte daran einen Anteil haben.

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FOTO: PAUL ZINKEN/DPA Thilo Sarrazin ist nun kein Mitglied der SPD mehr.

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