Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Mit 70 ist der Spieler ruhiger
Mathieu Carrière feiert am Sonntag Geburtstag – Rollen an der Seite von Brigitte Bardot, Romy Schneider und Isabelle Huppert
HAMBURG (dpa) - Er wirkte weltweit in 250 Kinofilmen mit, war in mehr als 4000 Stunden Fernsehproduktion zu sehen, stand in Salzburg und Bad Hersfeld auf der Bühne. Dennoch sagt Mathieu Carrière von sich: „Ich bin kein Schauspieler.“Vielmehr sehe er sich als Spieler, als Dilettant im positiven Sinne, der sich gern in diversen Bereichen des Lebens engagiert. Zu Ruhm gekommen ist er dabei schon zu Schulzeiten am Lübecker Katharineum – als bildhübscher Hauptdarsteller in der Thomas-Mann-Verfilmung „Tonio Kröger“(1964) sowie in Volker Schlöndorffs Debüt „Der junge Törless“(1965). Durch Zufall war er entdeckt worden. Am Sonntag wird der nach wie vor jugendlich wirkende Schauspieler und Autor 70 Jahre alt.
„Den Tag möchte ich nur mit den Frauen feiern, die in meinem Leben wichtig sind – wahrscheinlich in Paris“, erklärte der Vater zweier Töchter dieser Tage in seiner mit Büchern, Familien-Ölporträts, zwei haitianischen Geisterskulpturen und viel BohèmeFlair ausgestatteten Altbauwohnung in Hamburg. Dort lebt er in einer WG mit drei jungen Leuten, ganz in der Nähe ist auch seine Tochter Elena (24, „Germany's Next Topmodel“, „Tal der Skorpione“) zu Hause. Carrière verfügt in Paris über einen weiteren Wohnsitz – bei seiner Lebensgefährtin, einer Journalistin.
Ein Ruf von Eigenwilligkeit und Streitbarkeit haftet dem Künstler, der 2011 einen Auftritt im TV-„Dschungelcamp“nicht scheute, längst an. Doch daheim serviert er erst einmal afrikanischen Moringa-Tee („Hilft gegen alles“) auf dem selbstgebauten weißen Couchtisch. Und sucht, ehe er auf sein Leben zurückblickt, nach den Zigaretten, die er vor sich selbst versteckt hat. Beide Eltern waren Psychotherapeuten, geboren wurde Mathieu Carrière in der Einrichtung Ilten bei Hannover. „Wir haben immer in den Krankenhäusern gelebt, in denen mein Vater arbeitete“, erinnert er sich. Viel gespielt worden sei im bürgerlich-liberalen Elternhaus, es seien jedoch auch seelisch anstrengende Familienverhältnisse gewesen. Dass am Ende nicht nur der älteste Sohn, sondern auch der jüngere Till (1952-1979) und seine Schwester Mareike Carrière (1954-2014, „Großstadtrevier“) Schauspieler wurden, scheine ihm trotzdem eher Zufall als innere Notwendigkeit zu sein. Später, zu Beginn der 1970er-Jahre, prägte ihn der Philosoph Gilles Deleuze, bei dem er in Paris studierte: „Bei ihm habe ich denken gelernt, lieben und essen. Der Impuls war, kreativ zu werden – wir hatten das Gefühl, die Welt neu zu erfinden.“
Nebenher entwickelte sich eine internationale Filmkarriere. Die ließ ihn in meist zwielichtigen Rollen mit Regiegrößen wie Andrej Wajda („Die Pforten des Paradieses“, 1967), Orson Welles („Malpertius“, 1971) und Roger Vadim („Don Juan“, 1973) zusammenarbeiten. Sowie mit Darstellerinnen wie Brigitte Bardot („Don Juan“, 1973), Romy Schneider („Die Spaziergängerin von Sanssouci“, 1982) und Isabelle Huppert („Malina“, 1991).
Heute sagt Mathieu Carrière von sich, er sei ruhiger geworden. „Ich bin kämpferischer Buddhist.“Er hasse Religionen, interessiere sich aber für Ethik. Und wie geht es ihm in CoronaZeiten? „Ich bin besser drauf als je zuvor. Ich übersetze Stücke, bereite Theaterinszenierungen vor, produziere Filme, finanziere Projekte, spiele online Skat und Schach, gucke nach meinen Blumen auf dem Balkon.“
Als junggebliebener Siebziger.