Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Anleitung für die Sommerferien
Die Art und Weise, wie die allermeisten Ravensburger mit dem abgesagten Rutenfest umgegangen sind, könnte zumindest in Teilen als Anleitung für die ersten Sommerferien in der CoronaRealität dienen. Weitgehend gelassen und diszipliniert hat die große Mehrheit akzeptiert, was gerade ein Gebot der Vernunft ist. Und bei aller Enttäuschung und Frustration haben sich viele darüber doch nicht die Lebensfreude nehmen lassen, das Beste aus der Situation gemacht, haben im kleinen Kreis gefeiert und die Tage trotzdem genossen. Solidarität hat dabei auch eine Rolle gespielt: Solidarität mit dem Sicherheitsdienst und den Polizisten, die die Einhaltung der Regeln überwachen mussten und die nicht unnötig gefordert wurden. Solidarität mit all jenen, die keinen zweiten Lockdown verkraften würden, Solidarität auch mit den Machern des Rutenfestes, die sich über kreative Unterstützung und Hilfe in klingender Münze freuen durften. Solidarität mit einer Gemeinschaft, die sich nur gemeinsam gegen diese Pandemie wehren kann.
Das ist wohl nicht unbedingt das Ziel vieler jener, die am Sonntag zuerst in Weingarten und dann auf dem Parkplatz der Oberschwabenhalle als „Querdenker“gegen die Corona-Auflagen demonstriert und gesprochen haben. Solidarität?Aufgerufen wurde da unter anderem zum aktiven Widerstand gegen die Maskenpflicht, indem man ohne diesen Schutz in Geschäfte, ja auch in Krankenhäuser und Altenheime geht, zum lauten Singen in Kirchen, zum Zusammenrücken statt Abstandhalten, zum Händeschütteln und Umarmen, im Zweifel auch mit Menschen, die das ausdrücklich nicht möchten. Allzu viele sind es freilich in der Relation nicht gewesen, die sich da am Sonntag als angeblich elitäre Minderheit selbst gefeiert haben. Von den sehr freundlich geschätzten 3000 Teilnehmern zur Spitzenzeit stammte ein beträchtlicher Anteil aus München, Ulm, Stuttgart, Augsburg, Biberach, Konstanz, Offenburg und auch aus Österreich und der Schweiz. Viel getanzt, getrommelt und gesungen wurde da über Stunden, vorgeblich immer im Dienste der Grundrechte, der Freiheit und der Liebe. Gesagt wurde wenig und wenn, dann war der Inhalt mindestens fragwürdig.
Auf den grundsätzlichen Umgang mit Zahlen und Statistiken der „Querdenker“lässt sich gut aus dem schließen, was Ober-Querdenker Michael Ballweg zum Besten gab. Die Auflagen der deutschen Zeitungen und Magazine von FAZ, Süddeutscher und Welt bis zu Bild und Focus seien wegen ihrer „verlogenen Berichterstattung“seit Beginn der Pandemie drastisch eingebrochen, so Ballweg, der unter dem Jubel vieler Zuhörer die konkreten Zahlen verlas und behauptete: „Querdenken wirkt.“Was Ballweg, der Journalisten rät, „endlich die Wahrheit zu schreiben“, verschwieg: In der zitierten Analyse sind auch die Gründe für diesen Einbruch genannt, die mit journalistischer Arbeit erst einmal gar nichts zu tun haben. Ein Beispiel: So haben vor allem jene überregionalen Zeitungen zuletzt stark an Auflage verloren, die ihre Blätter sonst in hoher Stückzahl in den Flugzeugen verteilen. Flugzeuge flogen bekanntlich im Shutdown keine mehr, deshalb hat alleine der Spiegel 50 000 sogenannte BordExemplare weniger absetzen können als in den Monaten zuvor. Man stelle sich vor, das Robert-Koch-Institut würde mit Infektionszahlen so umgehen wie Ballweg, der Oberbürgermeister in Stuttgart werden will, mit dieser Statistik.
Jetzt fahren also auch Ravensburger am Wochenende nach Berlin, um dort bei einer geplanten Großdemo den „Tag der Freiheit“und „Das Ende der Pandemie“auszurufen. Der Berliner „Tagesspiegel“erwartet „eine diffuse Mischung aus Verschwörungsideologen, Virusleugnern, rechtsoffenen Esoterikern und Rechtsextremen“. Wenn die Bundeskanzlerin nicht die Straßen und Verbindungen in die Hauptstadt sperren lässt, um sie daran zu hindern – auch das tatsächlich eine Behauptung, die in Ravensburg ernsthaft von der Bühne herab verbreitet wurde.
Ihnen einen schönen Urlaub, bleiben Sie gesund und vernünftig!