Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Per Pedal zur Poesie
Hölderlin feiert 250. Geburtstag – ein literarischer Radweg folgt seinen Spuren
Wer den Spuren einem der bedeutendsten deutschen Dichter folgen möchte, braucht nur ein Fahrrad. Und ein Zugticket nach Nürtingen – eine der zentralen Wirkungsstätten Friedrich Hölderlins im 18. Jahrhundert und Start und Ziel einer der insgesamt elf literarischen Radwege in BadenWürttemberg, die das Deutsche Literaturarchiv in Marbach entwickelt hat. Die Touren führen zu bedeutenden Orten und Museen deutscher Dichter.
„Aber es tauchen nicht nur die großen Namen auf“, sagt Thomas Schmidt, der die Touren konzipiert hat. So stolpert man auf der Route ab Nürtingen auch über Namen wie Ottilie Wildermuth, Johannes R. Becher oder Nicolas Born. Zumindest in diesem Jahr kommt Hölderlin aber eine besondere Bedeutung zu: Er hätte seinen 250. Geburtstag gefeiert. Unverkennbar, wenn man die Nürtinger Innenstadt verlässt und den Neckar über die Stadtbrücke überquert. Dort sind Fahnen für Hölderlins Geburtstagsjahr gehisst. Außerdem findet man sein Gesicht überall auf Plakaten. In Nürtingen ging er zur Schule. Er kam auch später im Theologiestudium oft dorthin zurück, um seine Mutter im alten Wohnhaus zu besuchen – das heutige Hölderlinhaus.
Nach diesen ersten Stationen führt der Radweg zunächst etwas unspektakulär an Tankstellen und viel Beton entlang. Es dauert ein wenig, bis man die Stadt verlassen hat und in die Natur hinausfährt. Im späteren Tourenverlauf gibt es noch einige schöne Flecken zu sehen. Doch auch Thomas Schmidt gibt zu, die Nürtinger Tour sei landschaftlich zwar nicht sein Favorit. Dafür aber literarisch umso spannender.
Nach ein paar langgezogenen Kurven erreicht man Grötzingen, ein Stadtteil Aichtals. Es ist der Ort, in den das Sams 1980 zurückkam. Schriftsteller Paul Maar schrieb diesen Kinderbuchklassiker in der Schillerstraße. Im Dichterviertel, nur zwei Sprünge von der Hölderlinstraße entfernt. Wer sein altes Wohnhaus aus der Nähe betrachten möchte, muss den Höhenweg nehmen und – wie der Name schon vermuten lässt – Höhenmeter zurücklegen. Damit geht es nicht auf direktem
Weg in den nächsten Ort. Die extraKilometer lohnen sich aber schon mit dem ersten Tritt. Man fährt durch die schmalen Straßen Aichtals, durch den einladenden Stadtkern mit seinen Fachwerkhäusern, Pflastersteinen und einem alten Brunnen.
Nach dem Zwischenstopp bei Paul Maar empfiehlt es sich, auf dem Höhenweg zu bleiben und einen kleinen Umweg nach Wolfschlugen in Kauf zu nehmen. Dabei hat man einen schönen Blick auf Filderstadt. In unmittelbarer Nähe gibt es außerdem viele Plantagen und Hofläden – ideal für eine erste Pause.
Über Harthausen landet man schließlich in Wolfschlugen – wieder direkt auf dem literarischen Radweg. Dort wurden einst Werke von Friedrich Schiller ins Lateinische übersetzt. Ort des Geschehens war das Pfarrhaus, das es heute allerdings nicht mehr gibt. Gut acht Kilometer weiter in Denkendorf werden die Dichterspuren wieder sichtbar. Bis dahin können die Beine sich kurz ausruhen. In den Ort führt ein abschüssiger, schattiger Waldweg, auf dem das Fahrrad ganz von alleine rollt.
Zwei Jahre verbrachte Hölderlin in der Klosterschule Denkendorf. Seine Mutter investierte viel in die Bildung ihres Sohnes. Für Hölderlin war der Klosterhof ein idyllischer Ort. In einem Text erinnerte er sich einst an den „See, wo die Ulme das alternde Hofthor übergrünt“. Der See ist vielleicht etwas klein geraten und erinnert mehr an einen Teich. Nichtsdestotrotz ist es ein ruhiger Fleck, wie gemacht für eine Pause, bevor es in den Endspurt geht.
Über Köngen erreicht man dabei noch den Punkt, den Thomas Schmidt als den spannendsten ausweist: den Ulrichstein im Ort Hardt, der zu Nürtingen gehört. Einer Sage nach versteckte sich der Herzog Ulrich von Württemberg im 16. Jahrhundert in dem Sandstein. Durch Steuererhöhungen hatte er die Bevölkerung gegen sich aufgebracht. Diese Geschichte verpackte Friedrich
Hölderlin in dem Gedicht „Der Winkel von Hardt“.
Nach einem kurzen Fußmarsch zum Ulrichstein über einen schmalen Waldweg geht es schließlich zurück in die Nürtinger Innenstadt. Dort gibt es neben Hölderlin auch Spuren zu anderen Persönlichkeiten aufzulesen. Zum Beispiel zu den Schriftstellern Peter Härtling und Klaus Harprecht. Wobei auch diese nicht ganz von Hölderlin loskommen: Harprecht trug als kleiner Junge Hölderlin-Gedichte vor, Härtling schrieb ein Buch über den Dichter.
Und so schließt sich in Nürtingen streckentechnisch und literarisch der Kreis. Die rund 41 Kilometer lange Tour ist kurzweilig, die Stadt liegt meistens in nur rund zehn Kilometern Entfernung. Je nach Laune lässt sich die Strecke daher beliebig kürzen. Kulturell dagegen lässt sich der Trip beliebig ausdehnen. Zum Beispiel mit einem Besuch im Museum. Im Nürtinger Stadtmuseum gibt es einen eigenen Hölderlin-Bereich.
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