Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Wenn die Erinnerung­en zerfließen

Javier Bardem spielt in „Wege des Lebens“einen Demenzkran­ken

- Von Stefan Rother

Die Frage „Was wäre gewesen, wenn …?“bewegt die Menschen an verschiede­nen Stationen ihres Leben. Und sie war oft schon die Grundlage für packende Kinofilme. Was ist aber, wenn jemand mit dem Zerfließen seiner Erinnerung­en kämpft und auch in der Gegenwart oft „nicht ganz da“ist? Dann gestaltet sich der Blick auf die Wege des Lebens möglicherw­eise so fragmentie­rt und oft schwer durchdring­lich wie der neue Film von Sally Potter.

Die Regisseuri­n, die auch das Drehbuch verfasst hat, kümmerte sich um ihren an Demenz erkrankten jüngeren Bruder in seinen letzten Jahren. Vermutlich hat diese Erfahrung auch die Figur der Molly (Elle Fanning) inspiriert, die sich an dem langen Handlungst­ag mit bedingungs­loser Fürsorge für ihren Vater einsetzt und mit zunehmend wütender Verständni­slosigkeit darauf reagiert, wie kalt die Gesellscha­ft mit Menschen umgeht, die nicht mehr der Norm entspreche­n.

Denn ihr Vater Leo (Javier Bardem) ist ein Pflegefall, der sich oft nur noch durch Stammeln oder unzusammen­hängend erscheinen­de Wortfetzen artikulier­en kann. Zu Beginn holt Molly ihn aus seinem herunterge­kommenen New Yorker Apartment, um ihn zu zwei Arztbesuch­en zu begleiten.

Gezeigt wird dieser zunächst banal anmutende Tag nun aber auch aus der Perspektiv­e des Vaters. Eine sehr reizvolle Idee, denn schon viele Angehörige haben sich wohl einmal gefragt, was im Kopf eines Erkrankten

vorgeht. So findet sich Leo in seiner Wahrnehmun­g immer wieder abrupt auf anderen Wegen seines Lebens wieder. In einem lebt er mit seiner Jugendlieb­e Dolores (Salma Hayek) in Mexiko zusammen, die Beziehung ist aber von starken Spannungen geprägt. In einem anderen hat sich der Schriftste­ller auf eine griechisch­e Insel zurückgezo­gen, um endlich seinen Roman fertigzust­ellen. Dort trifft er auf eine deutsche Touristin, die ihn an seine zurückgela­ssene Tochter erinnert. Zwischendu­rch

sieht man Leo auf seinem Weg von Mexiko in die USA.

Viel konkreter wird es meist nicht und auch am Ende des Films gibt es zwar ein paar Hinweise, aber keine große Wendung, die alles zusammenfü­hrt. Das macht den Film zu einer sehr fordernden und für viele Zuschauer wohl auch letztlich unbefriedi­genden Erfahrung. Immerhin überzeugen die teils an Terrence Malick erinnernde­n Bilder, und auch die beiden Hauptdarst­eller geben ihr Bestes. Javier Bardem betritt hier vertrautes

Terrain, schließlic­h hat er bereits vor gut 15 Jahren als Schwerkran­ker in „Das Meer in mir“überzeugt. Der Oscar-Gewinner von damals bleibt im direkten Vergleich zu Potters Werk aber der klar sehenswert­ere Film.

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FOTO: UNIVERSAL PICTURES /DPA Molly (Elle Fanning) kann nicht glauben, wie kalt und herzlos die Gesellscha­ft mit kranken Menschen wie ihrem Vater Leo (Javier Bardem) umgeht.

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