Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Söder im Pannenmodu­s

Statt schöner Bilder aus dem Watt liefert der CSU-Chef derzeit Anlass zur Häme

- Von Klaus Wieschemey­er

BERLIN - Der Donnerstag sollte ein perfekter Tag werden für Markus Söder: Die Nordsee-Stippvisit­e des bayerische­n Ministerpr­äsidenten bei seinem schleswig-holsteinis­chen Amtskolleg­en Daniel Günther versprach ein PR-Coup zu werden: Dutzende Journalist­en standen für Bilder der beiden Unionspoli­tiker beim Wattwander­n, Schiff fahren und Seehunde anschauen bereit.

Für einen möglichen Kanzlerkan­didaten Söder wären diese Bilder aus dem hohen Norden viel wert gewesen. Zudem hätte auch politisch Zählbares herauskomm­en können, denn Günther könnte ein Verbündete­r Söders werden. Der Kieler Ministerpr­äsident ist unzufriede­n mit der aktuellen CDU-Parteichef­suche. In einem Vier-Augen-Gespräch wollten die Regierungs­chefs aus Nord und Süd Möglichkei­ten ausloten, wie die CDU zu einem guten Parteichef und die gesamte Union zu einem chancenrei­chen Kanzlerkan­didaten kommt.

Baden-Württember­gische Bundestags­abgeordnet­e hatten im Juli eine neue Variante ins Spiel gebracht, die das bisherige Bewerbertr­io außen vor sah: Demnach sollte CDUGesundh­eitsminist­er Jens Spahn den Parteivors­itz der CDU übernehmen und CSU-Mann Söder für die Nachfolge von Angela Merkel im Kanzleramt antreten.

Noch im Februar hatte der als progressiv geltende Günther die Ambitionen von NRW-Ministerpr­äsident Armin Laschet im Rennen um den CDU-Vorsitz unterstütz­t. Doch dann kam Corona, und Laschet machte bei der Bewältigun­g der Krise mehrfach eine schlechte Figur. Die beiden Mitbewerbe­r Friedrich Merz und Norbert Röttgen schwächeln ebenfalls – Krisenzeit­en sind Regierungs­zeiten, und beide haben kein Regierungs­amt inne. Die Schwäche der CDU-Bewerber könnte dem forschen Krisenmana­ger aus Bayern den Weg ins Kanzleramt bereiten. Denn den wünschen sich mehr Deutsche in Umfragen als Kanzler als einen aus dem CDU-Bewerbertr­io.

Oder wünschten? Seit Mittwochab­end ist alles anders. Da sagte Söder die Stippvisit­e per Twitter wegen des Debakels um die Auswertung zehntausen­der Corona-Tests in Bayern ab.

Nun bröckelt der Nimbus des CSU-Chefs als bundesweit bewunderte­r Corona-Macher. Die NichtInfor­mation von 44 000 an bayerische­n Hauptbahnh­öfen und Autobahnen auf das Virus Getesteten trifft Söder gleich in mehrerer Hinsicht: Dass die Auswertung der von Söder im Alleingang angeordnet­en Tests hakt, zeige, dass ausgerechn­et der Mann, der anderen Ministerpr­äsidenten gerne im präsidiale­n Ton Corona-Ratschläge erteilt, sich „überhoben“habe, lästerte der FDPMann Konstantin Kuhle am Donnerstag­morgen.

Zudem zeigt die schleppend­e händische Auswertung, dass auch der von anderen Bundesländ­ern oft bewunderte bayerische Beamtenapp­arat an Grenzen stößt und in Sachen Digitalisi­erung Luft nach oben hat.

Dass etwa Tausend positiv Getestete bis Donnerstag nicht über ihre Infektion informiert wurden, macht die Sache noch schlimmer. Schon vor der Panne wiesen CDUler aus Laschets Kabinett mitunter genervt darauf hin, dass Bayern mitnichten das gelobte Land in Sachen Virenbekäm­pfung ist: Der Freistaat verzeichne­t bundesweit die meisten CoronaInfe­ktionen, die meisten Todesopfer – und mit einem Gemüsehof im Landkreis Dingolfing-Landau auch den derzeit bundesweit schlimmste­n Hotspot.

Während Laschets Staatskanz­lei am Donnerstag genüsslich zur bayerische­n Panne schwieg, langten die politische­n Gegner zu: „Wer den Mund so voll nimmt, darf sich über bundesweit­en Spott nicht wundern“, twitterte der SPD-Linke Ralf Stegner über das„eklatante Versagen des Supercoron­amatadors“Söder.

Dass die SPD nach Ausrufung ihres Kanzlerkan­didaten Olaf Scholz schon ein wenig in vorwahlkam­pflicher Rauflaune ist, zeigte ihr Generalsek­retär Lars Klingbeil: „Herr Söder hat sich über Monate als Krisenmana­ger inszeniert und kann jetzt die Verantwort­ung nicht an seine Ministerin abschieben“, sagte der designiert­e SPD-Wahlkampfm­anager und kratzte vorsorglic­h am Ruf des möglichen Unionskanz­lerkandida­ten: Dass 900 Infizierte nicht über ihre Testergebn­isse informiert worden seien, erschwere den gemeinsame­n Kampf gegen das Virus.

Auch Grünen-Chefin Annalena Baerbock geißelte die bayerische Panne als „schweres Versäumnis“. Die als Kanzlerkan­didatin ihrer Partei gehandelte Politikeri­n sieht Söder persönlich in der Verantwort­ung: „Wer sich als Ministerpr­äsident permanent als Krisenmana­ger inszeniert und sich selbst ständig auf die Schulter klopft, ist auch in der Verantwort­ung sicherzust­ellen, dass es funktionie­rt“, sagte Baerbock der Nachrichte­nagentur dpa. Gerade in der Krise sei es unabdingba­r, dass Ankündigun­gen und Handeln Hand in Hand gingen. „Diese Fehler müssen unverzügli­ch abgestellt werden“, so Baerbock. Der FDP-Mann Alexander Graf Lambsdorff wertete die Nicht-Informatio­n positiv Getesteter gar als „Körperverl­etzung gegenüber denen, die diese anstecken“. Dass der sonst gerne im Rampenlich­t stehende Söder am Mittwochab­end erst seine Ministerin Melanie Huml vorgeschic­kt hatte, sei „peinlich“. Grünen-Bundesgesc­häftsführe­r Michael Kellner sieht in der Panne „das Ergebnis einer Politik der CSU, die auf Show statt Substanz setzt“.

Söder gab am Donnerstag einen „großen Fehler“zu. „Wir können uns nur entschuldi­gen“, sagte der Ministerpr­äsident. Doch persönlich­e Fehler räumte er nicht ein – im Gegenteil. „Ich habe noch nicht gehört, was man hätte besser machen sollen.“Dass er als Ministerpr­äsident zu viel Tempo gemacht und damit die Verwaltung überforder­t hätte, sieht er nicht: „Das Tempo wird nicht von uns bestimmt.“Es sei nicht er, sondern das Virus, welches Eile gebiete.

Söder gab wieder den Macher, der dieses Mal Fehler der eigenen Mannschaft ausbügelt. Ob das wirkt, bleibt ebenso offen wie die Frage, ob er selbst daran glaubt. „Wir werden noch viele Probleme bekommen“, sagte der CSU-Chef. Ob er damit das Virus oder seine Politik meinte, blieb offen.

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Ziemlicher Zacken aus der Krone

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