Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
„Wir philosophieren nicht herum“
IG-Metall-Regionalchefin Helene Sommer über Gewerkschaftsarbeit in Corona-Zeiten und den ZF-Tarifvertrag
FRIEDRICHSHAFEN - Die Welt für die Menschen verbessern, um nichts Geringeres geht es Helene Sommer bei ihrer Arbeit für die IG Metall. Seit einigen Tagen führt sie als Erste Bevollmächtigte für Deutschlands größte Einzelgewerkschaft die Geschäftsstellen in Friedrichshafen und Singen. Martin Hennings und Benjamin Wagener haben die 31-Jährige nach der Aufgabe von Gewerkschaft in Wirtschaftskrisen, dem ZFTarifvertrag Transformation und nach ihrem bekannten Vater gefragt.
Frau Sommer, kaum im neuen Amt haben Sie beim „Tarifvertrag Transformation“mitgewirkt, der alle Jobs und Standorte beim Zulieferer ZF bis Ende 2022 sichert. Traumstart, oder?
Die Corona-Krise und ihre Auswirkungen auf uns alle sind natürlich kein Traumstart. Aber unsere Einigung bei der ZF mitten in einer der schwersten Wirtschaftskrisen ist ein wichtiger Schritt – da ist uns ein gutes Ergebnis gelungen, ich freue mich sehr darüber. Das war Teamwork, vor allem unser Bezirksleiter Roman Zitzelsberger hat da seinen Stempel aufgedrückt. Die Vereinbarung schafft Sicherheit in der Corona-Phase. Wir müssen jetzt an einzelnen Standorten keine Diskussionen mit dem Rücken an der Wand führen.
Haben Sie denn mit der Vereinbarung Standortschließungen nach 2022 zugestimmt?
Nein, das haben wir explizit nicht. Wir müssen jetzt über jeden Standort reden, die mit Blick auf Produkt, Größe, Beschäftigung und Rentabilität sehr unterschiedlich sind.
Wir fragen uns schon, ob auch die Arbeitnehmerseite bei dem TarifVertrag eine Kröte schlucken musste?
Ich denke schon, dass wir ein gutes Gesamtpaket geschnürt haben. Unsere Kröte, wenn sie so wollen, ist der Verzicht auf die 400-Euro-Sonderzahlung und die mögliche Absenkung der Arbeitszeit, wenn keine Kurzarbeit mehr möglich ist.
Wird denn all das halten, wenn sich die Lage verschärft, wenn eine zweite Welle kommt?
Den Vertrag haben beide Seiten unterschrieben. Und er bietet durchaus eine Reihe von Möglichkeiten, Unterauslastung abzufangen.
Kann der Tarifvertrag auch Vorbild für andere Unternehmen sein? Unsere Aufgabe ist es, in jedem Unternehmen für gute Lösungen im Sinne der Mitarbeiter zu sorgen, also Beschäftigung und Einkommen zu sichern. Die Pandemie wirkt sich ja auch je nach Branche sehr unterschiedlich aus. Die Automobilindustrie und damit ZF trifft es ganz unmittelbar, die zivile Luftfahrt noch härter. Manche Bereiche des Maschinenbaus werden eher später betroffen sein, viele Unternehmen sind auch Gott sei Dank sehr breit aufgestellt. Unterm Strich kann man sativität gen, dass es die Region BodenseeOberschwaben nicht so hart getroffen hat bis jetzt wie zum Beispiel Böblingen, Heilbronn oder Ingolstadt. Wir müssen für jede Firma eine passgenaue Lösung finden.
Welche Aufgabe hat eine Gewerkschaft in so einer Krisensituation? Wie gesagt: Beschäftigung und Einkommen sichern. Es gibt viele Manager, die sich jetzt vernünftig verhalten. Es gibt aber auch welche, die im Schatten von Corona das tun, was sie immer schon tun wollten: Jobs ins Ausland verlegen und Einkommen drücken. Wir müssen verhindern, dass Arbeitgeber die Krise auf dem Rücken der Beschäftigten austragen. Und das gelingt uns dort am besten, wo wir stark und gut organisiert sind.
Zunächst muss man festhalten, dass die Unternehmen bis mindestens 2018 eine jahrelange Phase der absoluten Hochkonjunktur erlebt haben. Sie haben in der Zeit richtig gutes Geld verdient. Und wir haben uns unsere Scheibe davon abgeschnitten. Groß war auch das Gejammer, dass wir über die T-Zug-Regelung bestimmten Gruppen die Möglichkeit eröffnet haben, Geld gegen Freizeit einzutauschen. Genau das wird jetzt in der Krise teilweise nahezu verpflichtend verordnet. So schnell wird Teufelszeug zum Heilsbringer. Und zum Thema „einfache Arbeit“: Wir werden bei den Lohnkosten nie mit Osteuropa oder meinetwegen Bangladesch konkurrieren können. Das heißt, dass wir das über Produkausgleichen müssen. Der Flächentarif verhindert zumindest, dass Unternehmen in Deutschland versuchen, sich gegenseitig über die Lohnkosten auszustechen.
Wie viele Mitglieder haben Sie aktuell?
In der Geschäftsstelle Friedrichshafen-Oberschwaben – das ist der Landkreis Ravensburg und der schwäbische Teil des Bodenseekreises – über 15 000, in Singen, von wo aus wir den Landkreis Konstanz und den badischen Teil des Bodenseekreises betreuen, sind es knapp 8000. Tendenz steigend. Damit können wir in einem Großteil der Betriebe die Arbeitsverhältnisse mitgestalten. Es gibt aber immer noch Firmen ohne Betriebsräte oder ohne gewerkschaftliche Anbindung.
Sie führen als Erste Bevollmächtigte die Geschäfte der beiden Geschäftsstellen, die vorher schon eng zusammengearbeitet haben. Steht da irgendwann eine Fusion an? Eine Fusion ist nicht geplant. Sie würde die wichtigen ehrenamtlichen Strukturen der beiden Geschäftsstellen beschneiden.
Werden Sie wie Ihr Vorgänger in den ZF-Aufsichtsrat einziehen?
Ja, ich bleibe zudem im Aufsichtsgremium von Rolls-Royce Power Systems. Mein Kollege Frederic Striegler wird die Arbeitnehmerbank im Aufsichtsrat von Zeppelin verstärken.
Über das Werk in Aulendorf sind Sie auch in den Konflikt zwischen der IG Metall und der Zollern-Geschäftsführung involviert, die mehrfach angekündigt hat, den Arbeitgeberverband zu verlassen. Wie beurteilen Sie das?
Das waren zähe und langwierige Verhandlungen mit einem eigentlich guten Ergebnis. Und dann schmeißt einer plötzlich den Tisch um. Das ist doch klar, dass das bei den Mitarbeitern Ängste auslöst. Es wird dem Arbeitgeber gar nichts anderes übrig bleiben, als wieder an den Verhandlungstisch zurückzukehren.
Sie sind 31 Jahre alt und führen als Frau zwei Geschäftsstellen der durchaus männergeprägten IG Metall. Außergewöhnlich, oder? Schon meine Vorvorgängerin war eine Frau, und es gibt aktuell viele Kolleginnen in vergleichbaren Positionen. Gar nicht so schlecht bei einer Frauenquote von 18 Prozent. Gut möglich, dass ich eine der Jüngsten bin, aber wir haben derzeit einen echten Generationenwechsel in der IG Metall, weil viele Kollegen in den Ruhestand gehen.
Ihr Vater, Michael Sommer, war von 2002 bis 2014 Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes. Nervt es die Gewerkschaftsfunktionärin, auf ihren berühmten Papa angesprochen zu werden?
Ja und Nein. Nein, weil ich meinen Vater liebe, weil ich froh bin, dass er mein Vater ist, und weil ich viel von ihm gelernt habe. Und Ja, weil ich möchte, dass man meine Arbeit bewertet und beurteilt und nicht die meines Vaters.
Sie habe eine akademische Laufbahn hinter sich, waren nie Jugendvertreterin oder Betriebsrätin. Wie wurden Sie zur leidenschaftlichen Gewerkschafterin? Ich bin in einem politischen Elternhaus aufgewachsen. Mein Vater war eben aktiver Gewerkschafter, meine Mutter hat als Journalistin für die Nachrichtenagentur AP gearbeitet. Ich habe mich lange gegen das politische Metier gesträubt, wollte bis zur zehnten Klasse Chemie studieren. Dann hatte ich eine fantastische Geschichtslehrerin und habe einfach festgestellt, dass es mir nicht egal ist, wie Gesellschaft funktioniert und ob es gerecht zugeht. Ich wollte konkret etwas für die Menschen tun, etwas verändern. Und das geht nirgendwo besser und direkter als mit Gewerkschaftsarbeit. Wir philosophieren nicht herum. Bei uns geht es um Löhne, um ordentliche Duschräume, um die Gründung weiterer Betriebsräte.
Können Sie sich einen Wechsel in die Politik vorstellen?
Das ist eher nicht mein Ding. Ich war als Studentin bei den Jusos aktiv, bin heute noch in der SPD, wobei ich Wert darauf lege, dass die IG Metall als Einheitsgewerkschaft parteipolitisch neutral ist. Mir ist es wichtig, dass es gerecht zugeht und dass es den Menschen gut geht. Ich glaube, mit Gewerkschaftsarbeit dazu am besten beitragen zu können.
Dann kommt für Sie ein Wechsel ins Management wahrscheinlich auch nicht Frage?
Nein. Das kommt für mich nicht in Frage. Ich bin gerade eben zur Ersten Bevollmächtigten zweier Geschäftsstellen gewählt worden. Jetzt lasst mich diesen Job erst mal machen.
Fragen Sie ihren Vater bei gewerkschaftlichen Themen um Rat?
Ich frage viele Leute um Rat. Und natürlich auch ihn. Ich nutze diesen kurzen Draht zu jahrzehntelanger Erfahrung gerne und sehe darin einen Vorteil für unsere Arbeit.