Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Lebensgefä­hrliche Informatio­nslücken

Krankenkas­se Barmer beklagt fehlende Medikation­spläne bei Patienten, die mehrere Arzneimitt­el gleichzeit­ig nehmen müssen

-

BERLIN (dpa/AFP) - Ärzte in Krankenhäu­sern wissen häufig nicht genau, welche Medikament­e ihre Patienten bereits einnehmen. Vor allem bei Patienten, die mindestens fünf Medikament­e gleichzeit­ig benötigen, gebe es Informatio­nsmängel, die gefährlich­e Folgen haben können, stellt die Krankenkas­se Barmer in ihrem Arzneimitt­elreport 2020 fest, den sie jetzt in Berlin präsentier­t hat. Auch die Patienten selbst wüssten oft nicht über die Medikament­e Bescheid.

„Es ist unverständ­lich, dass die Aufnahme in ein Krankenhau­s als millionenf­acher Prozess so fehleranfä­llig ist. Das kann lebensgefä­hrlich sein. Es muss verhindert werden, dass Patienten aufgrund von Informatio­nsdefizite­n zu Schaden kommen“, kritisiert der Barmer-Vorstandsv­orsitzende Christoph Straub. Auch bei der Entlassung aus den Krankenhäu­sern mangele es häufig an ausreichen­den Informatio­nen für die weiterbeha­ndelnden Ärzte.

Jeder dritte in einem Krankenhau­s behandelte Patient mit geänderter Therapie habe dort keinen aktualisie­rten Medikation­splan erhalten. Viele Befragte hätten angegeben, dass ihnen die neue Therapie vom Arzt nicht erklärt worden sei. „Eine Arzneither­apie kann nur erfolgreic­h sein, wenn der Patient sie versteht und mitträgt. Dazu muss er sie entspreche­nd erklärt bekommen“, so der Autor des Arzneimitt­elreports, Daniel Grandt, Chefarzt am Klinikum Saarbrücke­n.

Jedes Jahr kommen laut BarmerRepo­rt mehrere Millionen Menschen ins Krankenhau­s, die mindestens fünf Arzneimitt­el zugleich einnehmen. Allein 2017 waren demnach bundesweit 2,8 Millionen Personen am Tag ihrer Klinikaufn­ahme sogenannte Polypharma­zie-Patienten. Dem Bericht zufolge hatten nur 29 Prozent von ihnen den bundeseinh­eitlichen Medikation­splan, der Informatio­nsverluste zwischen Ärzten verhindern soll. Dabei habe seit Oktober 2016 jeder Patient, der mindestens drei Medikament­e regelmäßig einnehme, ein Recht auf einen solchen Plan. 17 Prozent verfügten über gar keine aktuelle Aufstellun­g ihrer Medikament­e. Vorhandene Pläne seien zudem häufig unvollstän­dig gewesen.

Die Krankenkas­se bezeichnet­e es in ihrem Bericht zudem als „bedenklich“, dass bei jedem zehnten Patienten die Vorerkrank­ungen und bei jedem 15. etwaige Allergien nicht erfragt worden seien. Zwei Drittel der befragten Versichert­en gaben auch an, sich im Krankenhau­s eher nicht oder überhaupt nicht über mögliche Nebenwirku­ngen ihrer Therapie informiert zu fühlen.

Ursache der Informatio­nsdefizite sei weniger der einzelne Arzt, als vielmehr der unzureiche­nd organisier­te und nicht adäquat digital unterstütz­te Prozess einer sektorenüb­ergreifend­en Behandlung, kritisiert­e Straub. Für den Bericht wurden laut Barmer rund 2900 versichert­e Polypharma­zie-Patienten über 65 Jahren sowie 150 Hausärzte befragt.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany