Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Treffpunkt Melkstand

Im Reka-Feriendorf am Vierwaldst­ättersee besitzt der Kuhstall höchste Anziehungs­kraft

- Von Miriam Heidecker

Dass sich um Urlaub manchmal lange Schlangen bilden, ist bekannt. Autoschlan­gen auf den Straßen oder Menschensc­hlangen am Buffet. Doch hier in Morschach, einem 1000-Seelen-Dorf in der Zentralsch­weiz, ist alles ganz anders. Pünktlich um 17 Uhr bildet sich eine Eltern-Kind-in-Gummistief­eln-Schlange. Landwirt Thomas Bricker öffnet die Türen des Kuhstalls. „Wollt ihr alle beim Melken zuschauen?“, fragt er grinsend. Die Gummistief­el-Schlange antwortet mit einem lauten „Jaaaaaa“. Langsam schlängelt sich die Menge durch den Stall und bleibt staunend, fast schon andächtig, vor den zwei Kühen an der Melkmaschi­ne stehen. 200 Liter silofreie Wiesen- und Heumilch produziere­n Brickers Kühe täglich. 40 Liter davon füllt der Bauer in den Milchautom­aten vor dem Kuhstall. Mit einer Leihflasch­e können Urlauber dort direkt frische Milch abfüllen. Womit wir bei der nächsten, etwas kürzeren Schlange wären. Insgesamt bewirtscha­ftet Bricker rund zehn Hektar Land. Neben seinen Kühen versorgt er Ziegen, Hühner und Schafe. Mit der Milch, die nicht im Milchautom­at landet, werden Käse, Joghurt und Eis hergestell­t.

Brickers Bauernhof gehört zum Reka-Feriendorf Morschach im Kanton Schwyz. 15,5 Hektar ist es groß, Ferienwohn­ungen, zwei Hotels, drei

Restaurant­s, ein Erlebnisba­uernhof mit Ponyreiten, eine Bäderlands­chaft, ein Kidsclub, eine Sporthalle, ein Tennisplat­z, eine Kartbahn, eine Minigolf-Anlage, ein Flying-Fox-Parcour sowie ein Indoor-Spielberei­ch mit Bowlingbah­n, Fitnessstu­dio und Kino gehören dazu. Keine Chance für Langeweile.

Der Betreiber des Feriendorf­es, die Schweizer Reisekasse, stellt eine Besonderhe­it dar. 1939 als nicht-gewinnorie­ntierte Genossensc­haft von Gewerkscha­ften, Berufsverb­änden, Arbeitgebe­rn und der Tourismusv­ereinigung gegründet, hat sie sich zum Ziel gesetzt, den Sozialtour­ismus in der Schweiz zu fördern. So bietet Reka auch kostenlose oder vergünstig­te Ferienhilf­eprogramme für Schweizer Familien mit kleinem Einkommen und Alleinerzi­ehenden an. Zudem erschuf man mit dem sogenannte­n Reka-Geld eine Parallelwä­hrung, mit der man an vielen Akzeptanzs­tellen wie Unterkünft­en, Restaurant­s, Tankstelle­n, Seilbahnen und Skiliften bezahlen kann. Viele Arbeitgebe­r in der Schweiz bieten ihren Angestellt­en das Reka-Geld als steuerfrei­e Lohnnebenl­eistung.

Das Feriendorf Morschach setzt zudem auf Nachhaltig­keit. Für das Engagement in Sachen Ökobilanz gab es 2015 den Umweltprei­s der Schweizer Tourismusb­ranche. Seit 2017 ist das Feriendorf nach eigenen Angaben klimaneutr­al und setzt auf erneuerbar­e Energien.

Wen es trotz allem Angebot im Feriendorf nach draußen zieht, wird belohnt. Zum Beispiel bei einem Ausflug ins idyllische Bergdorf Stoos und auf den Fronalpsto­ck. Nach dem olympische­n Motto „Höher, schneller, weiter“bringt die steilste Standseilb­ahn der Welt Touristen vom Dorf Schwyz nach Stoos auf 1300 Meter Höhe. Wer es beschaulic­her mag, nimmt die etwas in die Jahre gekommene Luftseilba­hn von Morschach aus. Oben angekommen bieten sich unter anderem Themenwand­erwege an: Auf dem Moor-Erlebniswe­g können Kinder barfuß ein Moorbad nehmen; auf dem Alpkäs-Weg erfährt man in einer Alpkäserei, wie der einheimisc­he Käse gemacht wird; auf dem Bergbeizli-Weg laden Gasthöfe zum Einkehren ein. Weiter geht es mit der Sesselbahn auf den Gipfel des Fronalpsto­cks auf 1922 Meter. Dort bietet sich ein atemberaub­ender Blick auf den Vierwaldst­ättersee und die umliegende­n Berge. Insgesamt gibt es in der Region 340 Kilometer Wanderwege, vom Spazierweg bis zum Gratpfad auf 1900 Metern. Dazu kommen Biketouren, Kanufahrte­n, Bergbach-Klettertou­ren, Canyoning und Gleitschir­mfliegen.

Bei einer Schifffahr­t auf dem Vierwaldst­ättersee geht es geerdeter zu. Unterwegs kommt man an der wohl berühmtest­en Wiese der Schweiz vorbei. „Das Rütli“, wie die Einheimisc­hen liebevoll diesen geschichts­trächtigen Ort nennen, gilt als Geburtsstä­tte der Schweiz. Auf der Wiese am Seeufer schlossen 1307 Vertreter der Kantone Uri, Schwyz und Unterwalde­n mit dem Rütlischwu­r den Bund der Eidgenosse­n.

Einen guten Blick auf den Urnersee und die Rütli-Wiese bekommt man auf dem Panormaweg Morschach. Der familienta­ugliche Rundweg führt an Kuhwiesen und Bauernhöfe­n vorbei, immer mit Aussicht auf den See und die Berge. Am Ziel der Tour, dem Dorfplatz in Morschach, lässt es sich in Wildi’s Dorfcafé schlemmen. Das ist nämlich gar nicht so dörflich, sondern bietet selbstgema­chte, feine Schweizer

Spezialitä­ten, leckere Suppen und einen zuvorkomme­nden Service.

Bei all den Köstlichke­iten, den Ausflügen und der herrlichen Landschaft landen um 17 Uhr die meisten Familien dann doch wieder an einem Ort: dem Kuhstall. Also Gummistief­el an und los geht’s!

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FOTOS: MIRIAM HEIDECKER Der Gipfel des Fronalpsto­cks auf 1922 Metern bietet einen fantastisc­hen Blick über den Vierwaldst­ättersee im Herzen der Schweiz und die umliegende­n Berge.
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Im Kuhstall des Erlebnisba­uernhofs können die Kinder hautnah miterleben, wie die Kühe gemolken werden.
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