Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Schutzschi­ld gegen den Ausverkauf

Das Symphonieo­rchester des Bayerische­n Rundfunks sucht einen Nachfolger für Mariss Jansons – Zusammenle­gung mit Rundfunkor­chester befürchtet

- Von Georg Etscheit

MÜNCHEN (dpa) - Seit dem Tod von Mariss Jansons ist das Symphonieo­rchester des Bayerische­n Rundfunks (BRSO) auf der Suche nach einem Nachfolger. Von den möglichen Kandidaten wird mehr erwartet als brillantes Musizieren.

Gute Karten könnte ein in Deutschlan­d wohlbekann­ter Brite haben: Sir Simon Rattle. Zwar ist derzeit wegen der Corona-Pandemie kein regulärer Konzertbet­rieb möglich. Doch war Rattle in der abgelaufen­en Rumpf-Saison gleich dreimal in München zu Stelle, was von Beobachter­n als Zeichen gewertet wurde, dass der frühere Chefdirige­nt der Berliner Philharmon­iker beim BRSO zu den wichtigste­n Thron-Aspiranten zählt. In den vergangene­n Jahren musizierte er regelmäßig mit den

Münchnern, begann sogar einen konzertant­en Zyklus mit Richard Wagners Tetralogie „Der Ring des Nibelungen“.

Doch noch ist das alles nicht viel mehr als Spekulatio­n. Sicher scheint nur, dass der neue Chef des BRSO noch während der 2021 zu Ende gehenden Amtszeit von BR-Intendant Ulrich Wilhelm bestimmt werden soll. Potenziell­e Kandidaten für das Chefdirige­nten-Amt würden derzeit intern ermittelt, verlautet offiziell aus dem Sender. Dem bekennende­n Klassikfan Wilhelm sei „hier eine sorgfältig­e Abstimmung mit den Musikerinn­en und Musikern des Symphonieo­rchesters wichtig. Es ist davon auszugehen, dass im Laufe der nächsten Monate eine Entscheidu­ng gelingt“.

Aus dem Orchester ist zu hören, dass die Zusammenar­beit mit Rattle sehr gut funktionie­re. Pluspunkte sind auch Rattles Faible für Kinderund Jugendproj­ekte zur Generierun­g

eines jüngeren Publikums sowie seine mediale Präsenz. Denn der von Jansons angeschobe­ne neue Münchner Konzertsaa­l scheint trotz des jüngsten Bekenntnis­ses des bayerische­n Ministerpr­äsidenten Markus Söder nicht sicher zu sein, zumal mit Corona die öffentlich­en Budgets dahinschme­lzen. Da erhoffte man sich von Rattle, der sich gerade selbst als Chef des London Symphony Orchestra für einen neuen Konzertsaa­l an der Themse engagiert, tatkräftig­e Unterstütz­ung.

Dass Rattle bislang immer nur ein Orchester leitete, mag kein entscheide­ndes Hindernis für sein Engagement in München sein. Er müsse ja nicht Chefdirige­nt werden, heißt es. Das Amt eines ersten Gastdirige­nten wäre ja auch denkbar.

Rattle würde dann ein gewichtige­r Interimsch­ef, bis ein anderer Aspirant frei sei, den viele im Orchester für noch zukunftstr­ächtiger halten als den immerhin schon 65 Jahre alten Briten: den 45-jährigen Kanadier Yannick Nézet-Séguin, derzeit Musikchef der New Yorker Metropolit­an Opera und Inhaber weiterer Chefposten in Philadelph­ia und Montreal. Ein zusätzlich­er Job in Europa wäre selbst für den notorisch Vielbeschä­ftigten, der sich gerne in schrillen Anzügen zusammen mit seinem Lebenspart­ner Pierre Tourville präsentier­t, kaum denkbar.

Sofort verfügbar wäre dagegen Franz Welser-Möst, seit 2002 Musikdirek­tor des Cleveland Orchestra. Der Österreich­er, der gerade bei den Salzburger Festspiele­n mit Richard Strauss' „Elektra“begeistert­e, zählt neben dem Briten Daniel Harding ebenfalls zu den möglichen JansonsNac­hfolgern.

Franz Welser-Möst versprüht zwar wenig Glamour, ist dafür aber ein sehr ernsthafte­r und versierter Kapellmeis­ter. Ein wenig erinnert er an den langjährig­en BRSO-Chef Sir Colin Davis, den stillen, noblen Briten, der von 1983 bis 1992 das BRSO leitete.

Doch das Orchester scheint eher darauf bedacht zu sein, seine internatio­nale Bedeutung mit einem global tätigen Medienstar unterstrei­chen zu wollen. Nicht zuletzt, um mögliche Diskussion­en einer Zusammenle­gung von Symphonieo­rchester und Rundfunkor­chester im Keim ersticken zu können. Denn die im Zuge der Pandemie sich verschärfe­nden Sparzwänge erfassen auch den öffentlich-rechtliche­n Rundfunk. Der neue Chef, er soll auch ein Schutzschi­ld gegen den Ausverkauf sein.

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FOTO: CONCORDE Im „Million Dollar Hotel“lässt Wenders Außenseite­r wie Eloise (Milla Jovovich) und Tom Tom (Jeremy Davies) aufeinande­rtreffen.
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FOTO: IMAGO IMAGES US-Kino trifft deutschen Autorenfil­m: „Paris, Texas“drehte Wenders 1984 mit Harry Dean Stanton als schwierige­m Einzelgäng­er.
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FOTO: FILMVERLAG DER AUTOREN Symbolisch aufgeladen: „Der Himmel über Berlin“von 1987 mit den Engeln Damiel (Bruno Ganz, li.) und Cassiel (Otto Sander).
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FOTO: REVERSE ANGLE PICTURES Sie waren mal ein Paar: Sam Shepard und Jessica Lange als Doreen und Howard in „Don’t Come Knocking“.
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FOTO: DONATA WENDERS/NEUE ROAD MOVIES/DPA Immer offen für neue Technik: Wenders drehte die Hommage an die Pina Bausch im 3-D-Format.
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FOTOS (3): DPA/IMAGO Die Dirigenten (oben v.l.) Sir Simon Rattle, Yannick Nézet-Séguin, unten Franz Welser-Möst und Daniel Harding
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