Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Worum es im Streit um Raser-Strafen geht
Grüne pochen erneut auf schärfere Sanktionen – Wie Erfolg versprechend ihr Vorstoß ist
STUTTGART - Kommen härtere Strafen für Temposünder? Darüber streiten Bund und Länder seit Monaten. Nun haben fünf Grünen-Verkehrsminister einen neuen Plan. Was das für Autofahrer bedeutet.
Wer streitet sich – und warum? Seit Jahren debattieren Politik, Polizei und Wissenschaftler darüber, ob härtere Strafen für Verkehrssünder notwendig sind. Winfried Hermann (Grüne), Verkehrsminister von Baden-Württemberg, sagt: „Das Risiko für tödliche Unfälle etwa für Fußgänger steigt erheblich, je höher das Tempo ist.“Jeder müsse sich an Regeln halten, auch kleine Verstöße seien kein Kavaliersdelikt. Von zehn angefahrenen Fußgängern überleben laut der Beratungsstelle für Unfallverhütung drei bei Tempo 50, neun bei Tempo 30. Auch Polizeigewerkschaften plädieren deshalb für härtere Strafen. Im Februar beschloss der Bundesrat unter anderem schärfere Sanktionen. So soll den Führerschein für einen Monat verlieren, wer innerorts mehr als 20 Stundenkilometer zu schnell ist, außerorts mehr als 25 km/h. Bislang droht das erst bei 31 beziehungsweise 41 km/h über dem Limit. Die Änderungen traten im April in Kraft. Doch das Bundesverkehrsministerium beging einen Formfehler, seit Juli gelten wieder die alten Strafen. Seither geht der Streit in eine neue Runde. Gegenwind kommt von den Automobilclubs ADAC und „Mobil in Deutschland“. Letzterer startete eine Petition, der sich 161 000 Menschen angeschlossen haben. Die Erhöhung aller Sanktionen, insbesondere bei „kleinsten“Tempoverstößen, sei übertrieben und nicht notwendig. Denn die Zahl der Verkehrstoten sei mit knapp 3050 so niedrig wie nie zuvor. Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) schloss sich dem in Teilen an. „Jeder muss sich an die Regeln halten. Aber manchmal kommt es zu Härten, die wieder in eine Verhältnismäßigkeit gebracht werden müssen“, sagte er. Es sei nicht angemessen, den Führerschein bei relativ geringen Tempoüberschreitungen zu entziehen. Er will deshalb nicht nur den Formfehler im Gesetz beheben, sondern diese Strafen abmildern.
Was schlagen die Grünen vor? Die Verkehrsminister von BadenWürttemberg, Berlin, Bremen, Hessen und Hamburg wollen, dass nur der Formfehler im Gesetz beseitigt wird. Die Strafen aber sollen wie geplant wieder in Kraft treten – und Fahrern bei Verstößen auch wieder schneller der Führerschein entzogen werden. „Wir wollen, dass das, was im Bundesrat schon mal mit großer Mehrheit beschlossen worden ist, rechtskonform wiederhergestellt wird“, betonte Winfried Hermann. Dass Scheuer den Rechtsfehler nutze, um inhaltliche Korrekturen durchzusetzen, sei „an Dreistigkeit nicht zu überbieten“. Das neue Gesetz sei ohnehin ein Kompromiss. „Wir halten auch die nun vorgesehenen Strafen nicht für besonders hart“, so der Grüne. Ziel müsse sein, die Sanktionen in einem weiteren Schritt an die im europäischen Ausland anzupassen. In Ländern wie der Schweiz oder den Niederlanden sei Rasen erheblich teurer als in Deutschland.
Was sagt der Bundesminister? Eine Sprecherin von Minister Scheuer sagte der „Schwäbischen Zeitung“, man äußere sich nicht zu laufenden Gesprächen. In den kommenden Wochen werde es zu dem Thema erneut ein Treffen mit Ländervertretern in Berlin geben. Scheuer hatte vor einigen Wochen selbst einen
Vorschlag vorgelegt. Er sieht vor, dass bei geringen Tempoverstößen nur höhere Bußgelder fällig würden, aber kein Fahrverbot droht. Das haben die Grünen jedoch schon abgelehnt. Scheuer betont, der große Rest der neuen Regeln sei gut und richtig. Viele der Neuerungen sollen vor allem Radfahrer und Fußgänger besser schützen.
Was bedeutet das für Temposünder, die nach den neuen Regeln Bußgeld zahlen mussten oder den Führerschein verloren haben?
Die neuen Regeln waren nur kurz in Kraft – zwischen April und Juli. Doch allein im Südwesten erhielten in dieser Zeit nach Schätzungen des Ministeriums mehrere Tausend Autofahrer Bußgelder oder Fahrverbote nach neuem Recht. Wer seinen Führerschein verlor, bekommt diesen zurück. Dabei wird es auch bleiben, selbst wenn die neuen Sanktionen irgendwann wieder gelten. Wer sein Bußgeld widerspruchslos zahlte, erhält diese Summe jedoch nicht erstattet – so sieht es das Gesetz in anderen Fällen auch vor. Nur wer Einspruch gegen das Knöllchen eingelegt hat, kann rechnen. mit
Erstattung
Wie geht es weiter?
Die Grünen wollen das Thema bei der nächsten Bundesratssitzung Mitte September debattieren. Ihr Vorschlag benötigt dort eine Mehrheit aller Landesregierungen. Ob diese zustande kommt, ist schwer zu sagen. Die Grünen sind zwar an elf Landesregierungen beteiligt. Doch sie regieren nirgendwo alleine und brauchen die Zustimmung ihres jeweiligen Koalitionspartners. Noch ist sogar offen, ob die mitregierende Südwest-CDU den Vorstoß von Hermann unterstützt. Justizminister Guido Wolf (CDU) hat erhebliche Bedenken: „Es ist äußerst zweifelhaft, dass die Härte der Sanktion in einem Verhältnis zum Verstoß steht. Sanktionen müssen aber verhältnismäßig sein – das schreibt unsere Verfassung vor.“Selbst wenn das Grünen-Papier erfolgreich ist, bleibt Bundesminister Scheuer am Zug. Sein Haus kann Einwände erheben. Vor Ende des Jahres dürfte kaum mit einer Lösung zu rechnen sein.