Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Feinde zu Freunden
Die Gewinner und Verlierer der Vereinbarung zwischen Israel und den Emiraten
ISTANBUL - Die historische Vereinbarung zwischen Israel und den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) wird ab sofort den Nahen Osten prägen. Carlo Masala, Professor an der Bundeswehr-Universität in München, sieht die Vereinbarung als „Zeitenwende“in der Region. „Das hat schon Camp-David-Qualitäten“, sagte Masala der „Schwäbischen Zeitung“in Istanbul in Anspielung auf den Durchbruch bei der Annäherung von Ägypten und Israel. Der wurde 1978 auf dem Landsitz des US-Präsidenten bei Washington erzielt und führte ein Jahr später zum Friedensvertrag zwischen beiden Ländern.
In der Region entstehe ein Bündnis gegen Iran, bei dem die Teilnehmer ihre Differenzen beiseiteschieben, sagte Masala. „Wir sehen eine klassische Allianzbildung nach dem Motto ‚Der Feind meines Feindes ist mein Freund.‘“Laut Masala bildet die Auseinandersetzung mit Teheran das neue Grundthema im Nahen Osten: „Zentral ist nicht mehr der Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern, sondern der Konflikt mit dem Iran.“Auch wenn Saudi-Arabien nicht offiziell den gleichen Schritt tun werde wie die VAE, sei das Königreich sehr wohl Partner in dem anti-iranischen Bündnis: Masala sprach von einem „strategischen Dreieck Israel-VAE-Saudi-Arabien“.
Die Gewinner: Als Teil dieses Dreiecks gehört Israel zu den Gewinnern der neuen Konstellation. Der jüdische Staat, der in seiner Nachbarschaft bisher nur Friedensverträge mit Ägypten und Jordanien hatte, kann nun zum ersten Mal offizielle Beziehungen zu einem der reichen arabischen Golfstaaten aufnehmen. Die Isolation Israels im Nahen Osten gehört damit endgültig der Vergangenheit an. Mit den VAE und SaudiArabien hat Israel mächtige Verbündete im Kampf gegen Iran gewonnen.
Im Gegenzug muss Ministerpräsident Benjamin Netanjahu nicht einmal dauerhaft auf seine aggressive Siedlungspolitik verzichten: Netanjahu sagte, die geplante Annexion von Gebieten im Westjordanland sei lediglich verschoben, nicht abgesagt. Die VAE und Saudi-Arabien sind ebenfalls Sieger. Eine Entspannung im Verhältnis zu Israel passt zu ihrer außen- wie innenpolitischen Bedrohungsanalyse: Außenpolitisch ist Iran der gemeinsame Gegner, und innenpolitisch fürchten die VAE und Saudi-Arabien vor allem die MuslimBruderschaft, deren palästinensischer Ableger Hamas zu den Erzfeinden von Israel gehört.
Auch Donald Trump kann zufrieden sein. Der amerikanische Präsident kann sich zugutehalten, einen neuen Grundlagenvertrag in Nahost eingefädelt zu haben. Bahrain könnte bald einen ähnlichen Vertrag mit Israel
abschließen. Saudi-Arabien dürfte wegen seiner Position als Hüter der heiligen islamischen Städte Mekka und Medina vorsichtiger sein, doch die engen Beziehungen Riads zu den VAE bedeuten, dass SaudiArabien auch ohne offiziellen Vertrag mit im Boot ist.
Die Verlierer: Iran dagegen ist noch isolierter als vorher. Teheran wird sich im Dauerstreit mit SaudiArabien um die Führungsrolle in der islamischen Welt nun erst recht als aufrechter Kämpfer für die palästinensische Sache präsentieren. Dennoch bleibt die Einigung ein schwerer Rückschlag für die Iraner. Immerhin lautet das strategische Ziel der Islamischen Republik, die USA aus dem Nahen Osten zu verdrängen und Israel zu bedrohen. Beides wird nun erheblich schwieriger.
Die Palästinenser werden durch das neue Bündnis ebenfalls geschwächt: Die Golfstaaten haben offiziell den Grundsatz über Bord geworfen, die Anerkennung Israels von Zugeständnissen an die Palästinenser abhängig zu machen. Damit verlieren die Palästinenser ein wichtiges Druckmittel.
Auch für die Türkei wird es im Nahen Osten ungemütlicher. Ankara hat als Verbündeter der Muslim-Bruderschaft enge Kontakte zur Hamas, aber außer Katar keinen staatlichen Partner im Nahen Osten. Präsident Recep Tayyip Erdogan erwägt nun, aus Protest gegen die Einigung mit Israel die diplomatischen Beziehungen zu den VAE auf Eis zu legen. Ankara ist auch anderswo weitgehend auf sich allein gestellt: Israel und die VAE erzielten ihr Übereinkommen in einem Moment, in dem sich die Türkei im östlichen Mittelmeer einer Allianz aus Griechenland, Zypern, Frankreich und Ägypten gegenübersieht. Israel, die VAE und Saudi-Arabien werden nicht nur durch ihre Feindschaft mit Iran geeint, sondern auch durch ihre Abneigung gegenüber der Türkei.
Die Folgen: Die drei Staaten im neuen „Dreieck“sind wirtschaftlich, politisch und militärisch stark genug, um Iran in Bedrängnis zu bringen. Daraus könnten neue Eskalationen entstehen, etwa in Syrien. Staatschef Baschar al-Assad ist zwar ein Partner von Iran, bemüht sich seit einiger Zeit aber auch um eine Normalisierung seiner Beziehungen zu den Golfstaaten. Syrien könnte deshalb zu einem Schauplatz des Machtkampfes zwischen dem neuen Nahost-Trio und Iran werden.
In der konfrontativen Stimmung ist die Zukunft des internationalen Atomvertrages mit Teheran düster: Wie Trump lehnen Israel, die VAE und Saudi-Arabien den Vertrag ab. Iran wird deshalb unter Druck geraten, Zugeständnissen in der Atomfrage zuzustimmen. Zugleich dürfte die neue Frontbildung im Nahen Osten den Friedensprozess zwischen Israel und Palästinensern auch ohne neue Annexionen vorübergehend zum Stillstand bringen. Möglich sind außerdem neue Gewalttaten: Schon in der Vergangenheit aktivierte Iran seine Partner wie die Hisbollah im Libanon, proiranische Milizen im Irak oder die Huthis im Jemen, um Schläge gegen seine Gegner zu führen. Der neue Nahe Osten wird womöglich nicht sicherer sein als der alte.