Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Feinde zu Freunden

Die Gewinner und Verlierer der Vereinbaru­ng zwischen Israel und den Emiraten

- Von Thomas Seibert

ISTANBUL - Die historisch­e Vereinbaru­ng zwischen Israel und den Vereinigte­n Arabischen Emiraten (VAE) wird ab sofort den Nahen Osten prägen. Carlo Masala, Professor an der Bundeswehr-Universitä­t in München, sieht die Vereinbaru­ng als „Zeitenwend­e“in der Region. „Das hat schon Camp-David-Qualitäten“, sagte Masala der „Schwäbisch­en Zeitung“in Istanbul in Anspielung auf den Durchbruch bei der Annäherung von Ägypten und Israel. Der wurde 1978 auf dem Landsitz des US-Präsidente­n bei Washington erzielt und führte ein Jahr später zum Friedensve­rtrag zwischen beiden Ländern.

In der Region entstehe ein Bündnis gegen Iran, bei dem die Teilnehmer ihre Differenze­n beiseitesc­hieben, sagte Masala. „Wir sehen eine klassische Allianzbil­dung nach dem Motto ‚Der Feind meines Feindes ist mein Freund.‘“Laut Masala bildet die Auseinande­rsetzung mit Teheran das neue Grundthema im Nahen Osten: „Zentral ist nicht mehr der Konflikt zwischen Israel und den Palästinen­sern, sondern der Konflikt mit dem Iran.“Auch wenn Saudi-Arabien nicht offiziell den gleichen Schritt tun werde wie die VAE, sei das Königreich sehr wohl Partner in dem anti-iranischen Bündnis: Masala sprach von einem „strategisc­hen Dreieck Israel-VAE-Saudi-Arabien“.

Die Gewinner: Als Teil dieses Dreiecks gehört Israel zu den Gewinnern der neuen Konstellat­ion. Der jüdische Staat, der in seiner Nachbarsch­aft bisher nur Friedensve­rträge mit Ägypten und Jordanien hatte, kann nun zum ersten Mal offizielle Beziehunge­n zu einem der reichen arabischen Golfstaate­n aufnehmen. Die Isolation Israels im Nahen Osten gehört damit endgültig der Vergangenh­eit an. Mit den VAE und SaudiArabi­en hat Israel mächtige Verbündete im Kampf gegen Iran gewonnen.

Im Gegenzug muss Ministerpr­äsident Benjamin Netanjahu nicht einmal dauerhaft auf seine aggressive Siedlungsp­olitik verzichten: Netanjahu sagte, die geplante Annexion von Gebieten im Westjordan­land sei lediglich verschoben, nicht abgesagt. Die VAE und Saudi-Arabien sind ebenfalls Sieger. Eine Entspannun­g im Verhältnis zu Israel passt zu ihrer außen- wie innenpolit­ischen Bedrohungs­analyse: Außenpolit­isch ist Iran der gemeinsame Gegner, und innenpolit­isch fürchten die VAE und Saudi-Arabien vor allem die MuslimBrud­erschaft, deren palästinen­sischer Ableger Hamas zu den Erzfeinden von Israel gehört.

Auch Donald Trump kann zufrieden sein. Der amerikanis­che Präsident kann sich zugutehalt­en, einen neuen Grundlagen­vertrag in Nahost eingefädel­t zu haben. Bahrain könnte bald einen ähnlichen Vertrag mit Israel

abschließe­n. Saudi-Arabien dürfte wegen seiner Position als Hüter der heiligen islamische­n Städte Mekka und Medina vorsichtig­er sein, doch die engen Beziehunge­n Riads zu den VAE bedeuten, dass SaudiArabi­en auch ohne offizielle­n Vertrag mit im Boot ist.

Die Verlierer: Iran dagegen ist noch isolierter als vorher. Teheran wird sich im Dauerstrei­t mit SaudiArabi­en um die Führungsro­lle in der islamische­n Welt nun erst recht als aufrechter Kämpfer für die palästinen­sische Sache präsentier­en. Dennoch bleibt die Einigung ein schwerer Rückschlag für die Iraner. Immerhin lautet das strategisc­he Ziel der Islamische­n Republik, die USA aus dem Nahen Osten zu verdrängen und Israel zu bedrohen. Beides wird nun erheblich schwierige­r.

Die Palästinen­ser werden durch das neue Bündnis ebenfalls geschwächt: Die Golfstaate­n haben offiziell den Grundsatz über Bord geworfen, die Anerkennun­g Israels von Zugeständn­issen an die Palästinen­ser abhängig zu machen. Damit verlieren die Palästinen­ser ein wichtiges Druckmitte­l.

Auch für die Türkei wird es im Nahen Osten ungemütlic­her. Ankara hat als Verbündete­r der Muslim-Bruderscha­ft enge Kontakte zur Hamas, aber außer Katar keinen staatliche­n Partner im Nahen Osten. Präsident Recep Tayyip Erdogan erwägt nun, aus Protest gegen die Einigung mit Israel die diplomatis­chen Beziehunge­n zu den VAE auf Eis zu legen. Ankara ist auch anderswo weitgehend auf sich allein gestellt: Israel und die VAE erzielten ihr Übereinkom­men in einem Moment, in dem sich die Türkei im östlichen Mittelmeer einer Allianz aus Griechenla­nd, Zypern, Frankreich und Ägypten gegenübers­ieht. Israel, die VAE und Saudi-Arabien werden nicht nur durch ihre Feindschaf­t mit Iran geeint, sondern auch durch ihre Abneigung gegenüber der Türkei.

Die Folgen: Die drei Staaten im neuen „Dreieck“sind wirtschaft­lich, politisch und militärisc­h stark genug, um Iran in Bedrängnis zu bringen. Daraus könnten neue Eskalation­en entstehen, etwa in Syrien. Staatschef Baschar al-Assad ist zwar ein Partner von Iran, bemüht sich seit einiger Zeit aber auch um eine Normalisie­rung seiner Beziehunge­n zu den Golfstaate­n. Syrien könnte deshalb zu einem Schauplatz des Machtkampf­es zwischen dem neuen Nahost-Trio und Iran werden.

In der konfrontat­iven Stimmung ist die Zukunft des internatio­nalen Atomvertra­ges mit Teheran düster: Wie Trump lehnen Israel, die VAE und Saudi-Arabien den Vertrag ab. Iran wird deshalb unter Druck geraten, Zugeständn­issen in der Atomfrage zuzustimme­n. Zugleich dürfte die neue Frontbildu­ng im Nahen Osten den Friedenspr­ozess zwischen Israel und Palästinen­sern auch ohne neue Annexionen vorübergeh­end zum Stillstand bringen. Möglich sind außerdem neue Gewalttate­n: Schon in der Vergangenh­eit aktivierte Iran seine Partner wie die Hisbollah im Libanon, proiranisc­he Milizen im Irak oder die Huthis im Jemen, um Schläge gegen seine Gegner zu führen. Der neue Nahe Osten wird womöglich nicht sicherer sein als der alte.

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FOTO: MOHAMMED TALATENE/DPA Menschen in Gaza haben am Freitag gegen die Einigung protestier­t.

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