Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Corona-Impfstoff als Renditehoffnung
Tübinger Unternehmen Curevac startet stark an US-Börse – Erlöse fließen in Entwicklung von Mittel gegen Covid-19
BERLIN - Noch nie bewegte sich so viel Geld für die Entwicklung eines einzelnen Impfstoffs: Regierungen und Privatinvestoren schanzen den Forschern Milliardensummen zu, damit sie möglichst schnell einen wirksamen Schutz vor Covid-19 entwickeln. Die Tübinger Biotechnik-Firma Curevac hat sich nun an der New Yorker Börse frisches Kapital verschafft, um seinen Impfstoffkandidaten zur Marktreife bringen zu können. Am Freitag startete dort der Handel mit Curevac-Aktien im Technik-Segment Nasdaq. Das Unternehmen hat für seine neu ausgegebenen Anteilsscheine 245 Millionen Dollar eingesammelt – mehr, als Analysten erwartet hatten. Curevac will das Geld nach eigenen Angaben in die Praxistests des Impfstoffs und den Aufbau von Produktionsanlagen stecken.
Bisher war Curevac nicht an der Börse gelistet. Zwei der wichtigsten Investoren waren der Milliardär Dietmar Hopp und die Bundesregierung, die über ihre Förderbank KfW mit 300 Millionen Euro eingestiegen war. Wirtschaftsminister Peter Altmaier wollte das Unternehmen auf diese Weise vor Übernahmen schützen. US-Präsident Donald Trump hatte zuvor laut über einen Kauf der Tübinger Firma nachgedacht, um sich den Impfstoff für Amerika zu sichern. Weitere Kapitalgeber war der Staatsfonds der Emirats Katar und der Pharmakonzern Glaxo-SmithKline (GSK), der nun auch als Vertriebspartner auftritt.
Hopp, der Mann hinter Curevac, wollte das Unternehmen allerdings nie komplett an die Amerikaner verkaufen und hält auch jetzt noch einen Anteil, der ihm die Kontrolle sichert. Er ist in seiner Heimatregion auch als Geldgeber für den Fußballverein TSG 1899 Hoffenheim bekannt. Hopp ist reich, weil er Anfang der 70er-Jahre den Softwarekonzern SAP mitgegründet hat. Nach seinem Ausstieg aus einer aktiven Rolle in der IT-Branche hat er in Biomedizin investiert.
Curevac stellt Impfungen auf Basis von genetischen Botenstoffen her. Diese Therapieform nutzen die Chemiefabriken in den körpereigenen Zellen, um den Wirkstoff vor Ort herzustellen. Sogenannte Boten-RNS programmiert dafür die Zellen darauf, Proteine zu bauen, die genauso aussehen wie die Stachel auf dem CoronaVirus. Der technische Trick liegt darin, die empfindliche Botensubstanz erfolgreich in die Zellen zu schleusen.
Das ist die besondere Technik, für die Curevac so geschätzt wird.
Es gibt nur zwei weitere Firmen weltweit, die das so beherrschen: Biontech aus Mainz und Moderna aus dem US-Bundesstaat Massachusetts. Pro Dosis ist bei dem RNS-Verfahren nur eine winzige Menge Wirkstoff notwendig, sodass sich innerhalb von Wochen genug davon für die Bevölkerung ganzer Länder herstellen lässt. Investoren weltweit sind derzeit ganz wild darauf, sich an diesen Unternehmen zu beteiligen. Schließlich bieten sie eine Hochtechnik-Lösung für das Covid-Problem an. Daher konnte Curevac einen Preis am oberen Ende der ohnehin hoch angesetzten Preisspanne für seine neuen Aktien erzielen.
Die Privatwirtschaft und der öffentliche Sektor liefern sich damit so etwas wie ein Rennen, wer mehr Geld für die Impfstoffproduzenten bereitstellen kann. Allein die US-Regierung hat bereits 12,3 Milliarden Dollar mobilisiert. Das Ziel der Amerikaner lautet, bis Januar 2021 einen sicheren Wirkstoff anbieten zu können. Dafür verteilt der Investmentarm der Regierung Fördergeld auf alle erreichbaren Firmen – in der Hoffnung, damit auch den ersten erfolgreichen Kandidaten zu erwischen. Der unmittelbare Curevac-Konkurrent Moderna hat rund zwei Milliarden Dollar aus diesem Topf erhalten.
Die deutsche Bundesregierung steht also mit ihrer Investition in Curevac keineswegs alleine da – und hat sich noch zurückgehalten. Der Anteil von 23 Prozent, den die KfW im Juni erworben hat, schrumpft nun durch die Ausgabe der neuen Anteilsscheine
auf 17 Prozent. Ihr Wert verändert sich dadurch grundsätzlich nicht; wenn die Aktie wie erwartet an der Börse schwer nachgefragt ist, dürfte für den Steuerzahler sogar ein Gewinn herausspringen.
Biontech wiederum hat Mittel von der amerikanischen Pharmafirma Pfizer erhalten, die ihrerseits vom Geldsegen aus Washington profitiert. Parallel hat Biontech einen Vertrag mit einem chinesischen Konglomerat geschlossen, der Fosun-Gruppe. Der Wirkstoff könnte also auf drei Kontinenten gleichzeitig auf den Markt kommen. Ein Problem gibt es damit nicht, schließlich lassen sich mit dem fortschrittlichen Verfahren Hunderte von Millionen von Impfdosen in wenigen Wochen herstellen.
Curevac hatte die US-Technikbörse Nasdaq für die Erstnotiz gewählt, weil hier besonders kapitalstarke Geldgeber zu finden sind. Der deutschen Börsenszene ist gleichwohl Enttäuschung anzumerken, dass ein weiteres hochkarätiges Unternehmen seine Aktien in Übersee ausgegeben hat statt in Frankfurt – oder einfach in Stuttgart. „Die erneute Wahl der Nasdaq durch ein junges deutsches Unternehmen legt die mangelnde Attraktivität von Börsengängen in Deutschland schonungslos offen“, sagt Christine Bortenlänger, Chefin des Deutschen Aktieninstituts (DAI) in Frankfurt.
In Deutschland fehle eine Aktienkultur, die es mit sich bringe, dass die Bürger Geld fürs Alter an der Börse anlegen. Pensionsfonds seien aber wichtige Geldgeber für innovative Unternehmen wie nun Curevac, sagt Bortenlänger.