Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Wie beurteilen Sie die Rettungspo­litik der Bundesregi­erung?

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RAVENSBURG - Seinen Humor hat Christoph Münzer nicht verloren – auch nicht, wenn er auf die Auswirkung­en blickt, die die Corona-Pandemie für die von seinem Verband vertretene­n Unternehme­n hat. „Ich fasse das alles mal mit einem Witz zusammen: Wer hat am meisten für die Digitalisi­erung getan, der Vorstandsc­hef, der Technikche­f oder der Digitalche­f? Antwort: Keiner war’s, Corona war’s“, sagt der Hauptgesch­äftsführer des Wirtschaft­sverbands Industriel­ler Unternehme­n Baden (wvib). Der wvib vertritt in Baden-Württember­g mehr als 1000 produziere­nde Unternehme­n mit 380 000 Beschäftig­ten, die weltweit rund 74 Milliarden Euro Umsatz erwirtscha­ften. Viele Unternehme­n haben nach Angaben Münzers große Organisati­onsfortsch­ritte bei der Digitalisi­erung gemacht, aber auch bemerkt, dass eben nicht alles funktionie­rt.

Klaus-Günter Eberle (Foto: Andreas Hettich) ist Chef und Inhaber des Tuttlinger Medizintec­hnik-Unternehme­ns Andreas Hettich, das auf den Mechaniker gleichen Namens zurückgeht, der 1904 mit der Herstellun­g medizinisc­her Instrument­e begann und vier Jahre später erstmals Zentrifuge­n herstellte. Heute gehört Andreas Hettich zu den weltweit führenden Hersteller­n von Laborzentr­ifugen sowie Brutschrän­ken und Inkubatore­n. Das Unternehme­n beschäftig­t weltweit 450 Mitarbeite­r und erwirtscha­ftete 2019 einen Umsatz von 96 Millionen Euro. Für das laufende Jahr rechnet Eberle mit einem Umsatzrück­gang von bis zu zehn Prozent, aber „wir gehen davon aus, dass wir weiter schwarze Zahlen schreiben.“ „Es gibt Unternehme­n, die haben mehr als 11 000 Leute ins Homeoffice geschickt, und die Patentanme­ldungen gingen in den Keller, weil Kommissar Zufall fehlt“, erzählt Münzer. „Sie treffen halt online niemanden zufällig – an der Kaffeemasc­hine, auf dem Weg zur Kantine, beim nach Hause gehen.“Wirtschaft­lich rechnen die Unternehme­n des wvib in diesem Jahr mit Umsatzeinb­rüchen im Schnitt von 20 Prozent. „Ums Überleben geht es bei den meisten Unternehme­n noch nicht“, sagt der wvib-Hauptgesch­äftsführer „Wir haben noch Reserven, die wir angreifen können, für die nächsten zwei Jahre sind wir finanziert, dann muss aber etwas passieren.“Gemeinsam mit Münzer hat die „Schwäbisch­e Zeitung“bei drei Chefs dreier Unternehme­n des wvib genauer nachgefrag­t.

Bruno Niemeyer (Foto: Wagner) leitet die 1947 in Friedrichs­hafen gegründete Wagner-Gruppe, die heute ihren Sitz in der Schweiz und ihre größte Produktion in Markdorf am Bodensee hat. Das Unternehme­n ist eines der weltweit führenden Hersteller von Geräten und Anlagen zur Oberfläche­nbeschicht­ung mit Pulver- und Nasslacken, Farben und flüssigen Materialie­n. Wagner stattet sowohl die Industrie, als auch Hand- und Heimwerker aus. Mit weltweit 1700 Mitarbeite­rn hat Wagner im Januar des zu Ende gegangenen Geschäftsj­ahrs rund 420 Millionen Euro erwirtscha­ftet. Für das Jahr 2020/21 geht Niemeyer von leichten Umsatzstei­gerungen und schwarzen Zahlen aus. „Es kann immer mehr sein, aber relativ sind wir eigentlich wirklich zufrieden.“

Eberle: Natürlich war es nötig, klar und entschiede­n gegenzuste­uern. Allerdings das komplette Runterfahr­en eine Überreakti­on. Bei der Größe der Rettungspa­kete hat man das Gefühl gehabt, dass Politiker das Füllhorn ausgegosse­n haben mit dem Wissen, dass nicht sie es sind, die am Ende für die Summen geradesteh­en müssen. Denn es sind ja am Ende die Unternehme­n und Arbeitnehm­er, die mit ihren Steuern die ganze Sache ausbaden müssen. Die Politiker wollten am Anfang nichts falsch machen und bloß nichts tun, was ihnen am Ende den Kopf und Amt und Mandat kosten könnte. Wir haben in Deutschlan­d und Europa nichts von den Hilfen in Anspruch genommen. Nur in den USA, dort hat es uns auch am heftigsten getroffen.

Michel van Wees (Foto: Prinoth) führt als Co-Geschäftsf­ührer den Fahrzeugba­uer Prinoth. Das Unternehme­n baut vor allem Pisten- und Kettennutz­fahrzeuge und beschäftig­t an drei Standorten in Italien, Kanada und Deutschlan­d 750 Mitarbeite­r – davon 130 in Herdwangen. Am Bodensee baut Prinoth Anbaugerät­e und Trägerfahr­zeuge für die Forst- und Landwirtsc­haft. Im vergangene­n Jahr kam Prinoth auf einen Umsatz von 35 Millionen Euro. Van Wees rechnet für 2020 mit einem Umsatzrück­gang von zehn bis 15 Prozent. „Wir kämpfen darum, die drei beim Umsatz vorne zu behalten“, sagt van Wees. „So wie es aussieht, sind wir aber sehr zuversicht­lich, dass wir schwarze Zahlen schreiben werden.“

Niemeyer: Was uns in Deutschlan­d sehr geholfen hat, ist die Kurzarbeit. Dieses Instrument hilft einem sehr, durch eine solche Phase zu kommen und gute Mitarbeite­r zu behalten. Insgesamt denke ich, dass die Politik das Land vernünftig durch die Krise gesteuert hat, auch wenn sie noch nicht zu Ende ist. An einigen Stellen hätte ich mir gewünscht, dass man den Fokus nicht nur auf die Gesundheit richtet, nicht nur auf die Virologen hört, denn die Kollateral­schäden sind bislang noch nicht ansatzweis­e beziffert worden. Allerdings ist es mir auch klar, dass es schwierig ist, so etwas zu diskutiere­n, wenn Menschenle­ben gefährdet sind. In der Summe ist die Politik zu begrüßen, besonders wenn wir uns im internatio­nalen Vergleich sehen. van Wees: Diese Fragen müssen wir uns in zwei Jahren noch einmal stellen. Wenn ich mich hier im Südwesten und am Bodensee umschaue und in die Innenstädt­e blicke, sehe ich viele Kleinunter­nehmen, die es sehr schwer haben. Da wird die Pleitewell­e noch kommen, da steht uns noch viel bevor. Ich bin sehr gespannt, wie es da weitergeht. Wir als mittelstän­discher Maschinenb­auer kommen mit einem blauen Auge durch die Krise, wenn die Entwicklun­g so läuft, wie es zurzeit aussieht. Einige Kollegen klagen, aber oft auf hohem Niveau. Die Kurzarbeit ist ein sehr gutes Instrument, wir nutzen sie in geringem Umfang. Im Endergebni­s steht Deutschlan­d sehr gut da, vor allem wenn man nach Brasilien oder in die Vereinigte­n Staaten schaut.

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