Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Eine Landadelig­e aus dem Bilderbuch

Unermüdlic­h unterwegs im Namen der Wohlfahrts­monarchie: Die britische Prinzessin Anne wird 70

- Von Sebastian Borger

LONDON - Dass ihr Geburtstag an diesem Samstag mitten in die Ferienzeit fällt, diesmal zudem wegen Covid-19 nicht einmal die Glocken von Westminste­r Abbey läuten wie gewöhnlich – dieser Jubilarin wird es recht sein. Noch nie hat Prinzessin Anne, die Princess Royal des britischen Königshaus­es, viel Aufsehen um sich gemacht, und wenig spricht dafür, dass sie zu Beginn ihres 71. Lebensjahr­es daran etwas ändern will.

Die einzige Tochter von Königin Elizabeth II kam knapp zwei Jahre nach Thronfolge­r Charles zur Welt. In dessen Schatten hat sie es sich Zeit ihres Lebens gut eingericht­et. Als unermüdlic­he Botschafte­rin von mehr als 200 grösseren und kleineren Organisati­onen verkörpert Anne Elizabeth Alice Louise jene „Wohlfahrts­monarchie“, welche die Windsors seit mehr als 100 Jahren projiziere­n: Symbol der Nation nicht als glamouröse Celebritie­s, sondern stets im Einsatz für die unterschie­dlichen Belange gesellscha­ftlicher Gruppen, nicht zuletzt der Benachteil­igten und gern Übersehene­n. Dazu gehört seit 50 Jahren die Kinderorga­nisation „Save the Children“. Regelmässi­g führt sie die royale Rangliste offizielle­r Termine an.

Fast unvermeidl­ich hat der Jahrzehnte lange Dienst im Vorfeld des 70. Geburtstag­es zu Vergleiche­n geführt, die wenig schmeichel­haft ausfallen: zu ihrem jüngeren Bruder Andrew beispielsw­eise, dessen Freundscha­ft mit dem Sexualverb­recher Jeffrey Epstein ihm die Verbannung aus dem engsten Kreis der Royals beschert hat; oder zur Herzogin von Sussex, deren „Megxit“von der britischen Öffentlich­keit je länger, desto kritischer gesehen wird. Ohne das mit einer Silbe anzusprech­en – Journalist­en sieht die Prinzessin wenn möglich noch kritischer als die US-Schauspiel­erin –, wirkt Anne dieser Tage wie der Prototyp der Anti-Meghan.

Dabei bot die draufgänge­rische junge Prinzessin durchaus eigene Schlagzeil­en. Erin Doherty hat sie in „The Crown“sehr treffend verkörpert – frisch, voller Energie, stets einen flotten Spruch auf den Lippen, der lebendige Gegenentwu­rf zu ihrem grüblerisc­hen Bruder Charles. Von der Mutter erbte sie die Begeisteru­ng für den Reitsport, wurde im Vielseitig­keitswettb­ewerb immerhin Europameis­terin. Ihren Vater Philip inspiriert­e die Leidenscha­ft der einzigen Tochter zu dem wunderbare­n Satz: „Was nicht furzt oder Heu frißt, interessie­rt sie nicht.“

Das war höchstens die halbe Wahrheit. Die Männerwelt erfreute sich durchaus des intensiven Interesses der jungen Frau, die 1973 den ebenso Pferde-begeistert­en Hauptmann Mark Phillips heiratete. Dass die Eheleute einander keineswegs immer treu blieben, brachten in den 1980er-Jahren Boulevardz­eitungen ans Licht – gewiss einer der Gründe für Annes tiefes Mißtrauen gegenüber der vierten Gewalt. Der Scheidung folgte 1992 bald darauf die zweite, bis heute stabile Ehe mit dem Marineoffi­zier Timothy Laurence.

Früh und besser als anderen Mitglieder­n der Familie gelang es Anne, die Funktion aus ihrem Privatlebe­n herauszuha­lten. Bußgelder wegen zu schnellen Fahrens akzeptiert­e sie ohne Murren; vorbestraf­t ist „Mrs. Laurence“, seit ihr Bullterrie­r 2002 im Windsor Great Park zwei Kinder anfiel. Ausdrückli­ch verzichtet­e sie für ihre Kinder, den heute 42-jährigen Peter und Zara, 39, auf den Titel als „Königliche Hoheit“. Gleichzeit­ig machte sie sich die frugalen Neigungen ihrer Eltern zueigen. Wie selbstvers­tändlich erhielt Peter einen leicht umgenähten Kinderanzu­g seines 13 Jahre älteren Onkels Edward. Die Prinzessin selbst erschien 2008 zur Hochzeit einer Nichte im selben Kostüm, das sie 27 Jahre zuvor bei der Eheschließ­ung ihres Bruders Charles mit Lady Diana Spencer getragen hatte.

Lange Jahre war Anne vor allem in Schottland präsent, im Sommer segelt sie gern mit Vizeadmira­l Laurence durch die malerische Inselwelt der Inneren Hebriden und besichtigt Leuchttürm­e – mehr als die Hälfte der 206 Exemplare der britischen Inseln hat sie bereits in Augenschei­n genommen.

Mit dem unermüdlic­hen Einsatz im Norden des Vereinigte­n Königreich­es wird Anne ihren Beitrag dazu geleistet haben, dass in den Unabhängig­keitspläne­n der schottisch­en Nationalis­ten nie von einer Abschaffun­g der Monarchie die Rede ist.

Dabei bleibt die schlanke Dame mit dem immergleic­hen Dutt – eine seltene Zeugin beschreibt ihre Haare als „ebenso lang wie in ihren Zwanzigern“– der Inbegriff der englischen Landadelig­en, beheimatet im Herrenhaus von Gatscombe Park in der westenglis­chen Grafschaft Gloucester. Dort läuft die Prinzessin herum, wie es sich in ihren Reiterkrei­sen gehört, nämlich in bequemer Hose, Barbourjac­ke, Tweedhütch­en und Sonnenbril­le – eine Alltagsklu­ft, mit der sie schon mehrfach Polizeibea­mte in tiefe Verlegenhe­it gebracht hat. Die wollten wissen, was denn die wenig glamouröse Frau auf dem weitläufig­en Gut der Prinzessin zu suchen habe. „Macht ja nichts, konnten Sie ja nicht wissen“, soll Anne die Beschämten getröstet haben.

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FOTO: NILS JORGENSEN/IMAGO IMAGES Prinzessin Anne vergangene­s Jahr in Ascot.

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